Star-Trompeter: "Ich bitte meine Nachbarn, nachts das WLAN abzuschalten"

Herr Stockhausen, Sie sind in Gütersloh vor rund 30 Jahren als Interpret der Musik Ihres Vaters aufgetreten, spielen Klassik und Jazz in verschiedenen Spielarten: In Ihrem musikalischen Reich geht sozusagen die Sonne nicht unter. Woher kommt diese Vielseitigkeit? Markus Stockhausen: Das erbt man vielleicht – im übertragenen Sinne. Ich habe ja meinen Vater erlebt, der es sich zum Ziel gemacht hat, mit jedem neuen Werk etwas Neues, Außergewöhnliches in die Welt zu bringen. Er hat sich immer Aufgaben gestellt, sei es im Tonmaterial, in der formalen Struktur, im Klang, in der Aufführungspraxis, in der Notation. Er war wie ein Wissenschaftler, der sich gefragt hat, was wurde noch nicht gemacht, wohin kann es weitergehen. Dieses Denken hat mich stark geprägt. Ich habe dann auch, unabhängig von meinem Vater, gemerkt, dass mich Wiederholungen langweilen. Gab es da ganz bestimmte Momente? Stockhausen: Ich kann das Haydn-Konzert gut spielen, das habe ich etwa 50 Mal gemacht, auch mit guten Orchestern, das war toll. Aber irgendwann hatte ich genug davon. 2008 habe ich entschieden, es zum letzten Mal aufzuführen. Es gibt so viele andere Trompeter, die das gut spielen können. Ich sehe jetzt meine Aufgabe darin, Dinge zu tun, die nur ich so tun kann, wie ich sie tue. Und darin bekomme ich viel Bestätigung. Man muss zwar auch immer viel auf sich nehmen, um neue Projekte zu starten. Und auf der anderen Seite ist der Markt auch sehr kurzlebig, man will immer etwas Neues vom Künstler hören. Woran bemerken Sie diese Kurzlebigkeit? Stockhausen: Man sieht das bei Jazzmusikern, die in ständig wechselnden Formationen spielen, um interessant zu bleiben. So bin ich nicht ganz veranlagt. Ich bin eher ein treuer, beständiger Mitmusiker. Das betrifft auch das Duo mit Florian Weber, das sehr langsam Fahrt aufgenommen hat, mit einer Kontinuität, die mir sehr am Herzen liegt. Es gibt aber in der Musik, die wir zusammen machen, und in der persönlichen Entwicklung genug Erneuerung, damit es spannend bleibt. Wäre das nicht gegeben, wenn es nicht mehr lebendig wäre, würde auch das zu Ende gehen. Zudem ist auch mein Geist nicht zu bremsen, es kommen Impulse von außen, die mich anregen, schöpferisch tätig zu sein. Das ist mein Lebensinhalt: im Fluss zu sein, schöpferisch zu sein. Auf Ihrer Homepage sind mehr als zehn Projekte mit ganz unterschiedlichen Musikern aufgelistet. Was müssen die mitbringen, damit Sie sich für sie interessieren? Stockhausen: Sie müssen Könner ihres Instrumentes sein, und mir in irgendeiner Weise nahe stehen, damit ich eine Beziehung aufbauen kann zu der Musik, die sie machen. Nehmen wir aus gegebenem Anlass als Beispiel Florian Weber. Stockhausen: Er ist ein ganz außergewöhnlicher Instrumentalist. In meinen Augen ist er einer der zehn weltbesten Pianisten im improvisatorischen Bereich. Das sage ich nicht, um für ihn anzugeben. Er ist ein absolutes Ausnahmetalent. Er hört sehr gut, dadurch können wir intuitiv und schön musikalisch miteinander kommunizieren. Seine Intensität und seine Ausdrucksskalen entsprechen mir, und sie fordern mich auch. Da muss ich schon ganz wach sein. Die gemeinsame Konzentration erzeugt eine besondere Musik und Stimmung, und die überträgt sich auch auf das Publikum. Da entsteht eine mehrdimensionale Musik. Hinter den Klängen öffnen sich Räume, das geht schon in mystische Bereiche hinein, zumindest in Bereiche, die sich unserer Ratio entziehen. War es eher leicht oder schwer für Sie, in einer mit so starken Charakteren ausgestatteten musikalischen Familie einen eigenen Weg zu gehen? Stockhausen: Das Positive hat weitaus überwogen, weil ich schnell in die professionelle Welt hineingewachsen konnte und gesehen habe, wie das läuft in der Welt der zeitgenössischen Musik. Ich habe da wunderbare Startchancen bekommen, wie kaum jemand anderes. Ich habe mit meinem Vater an vielen tollen Orten der Welt, etwa der Mailänder Scala oder Covent Garden in London, spielen und Hauptrollen in seinen Opern übernehmen können. Das waren unvergessliche Erlebnisse, auch sehr fordernde, weil das extrem schwierige Stücke waren. Aber sie haben mein Bewusstsein erweitert, weil die Musik meines Vaters oftmals eine kosmische ist, sehr freiheitlich, innovativ angelegt. Das macht etwas mit einem jungen Menschen. Aber Sie hatten auch Freiräume? Stockhausen: Ich habe aber parallel dazu seit meiner Jugend immer auch Jazz und Klassik gemacht. Und im Jazz bin ich meine eigenen Wege gegangen. Es gab auch Konflikte, weil ich dachte, ich müsste mich entscheiden für das eine oder andere, bis ich merkte: Nein, ich mache alles genau so weiter. Erst 2001, als ich mich bewusst von meinem Vater getrennt habe, weil ich deutlich spürte, dass die Zeit gekommen war, meine ganz eigenen Wege zu gehen, habe ich mich auf die Entwicklung meiner komponierten und vor allem intuitiven Musik besonnen. Sie bieten auch Seminare an. Eines heißt: Heilsame Klänge. Hat Musik für Sie auch etwas Therapeutisches? Stockhausen: Das kann sie haben. Der gute Musiker ist eigentlich immer ein Therapeut, weil er eingreift in das Energiesystem des Zuhörers. Und der Zuhörer öffnet sich ja auch bereitwillig der Musik. Denn er hat Sehnsucht nach Schönheit, nach etwas, das ihn emporhebt, das ihm Energie verleiht, das ihn froh nach Hause gehen lässt. Das ist ja die unterschwellige Erwartung des Hörers an ein Konzert. Ich will ja nicht betrübt herauskommen und zerbrochen, sondern gestärkt. Und was stärkt mich? Das sind Harmonien, das sind Energien, die mich aufbauen. Nicht alle Musik macht das und will das, aber wenn man versucht, Kunstmusik auf höherem Niveau zu machen, hat es immer auch mit dem Wahren, Guten, Schönen zu tun. Dem ist man automatisch verpflichtet, wenn man ernsthaft Musik macht wie ich. Von Ihrem Vater scheinen Sie nicht nur Ihre Begabung, sondern auch die Vorliebe fürs Ländliche geerbt zu haben. Er wohnte in Kürten im Bergischen Land, sie in Erftstadt. Warum nicht in einer Metropole? Stockhausen: Köln ist ja vor der Tür. Aber ich habe damals mit meiner ersten Frau nach einem Ort gesucht, wo wir Landwirtschaft machen könne, weil sie gelernte Landwirtschaftsgehilfin war und eigenes Land haben wollte. Diesen Bereich kannte ich gar nicht, das war völlig neu für mich. Dazu kamen Überlegungen, dass man in Krisenzeit unabhängig ist, etwas Eigenes hat. Jetzt haben wir hier mit zwei Familien zusammen einen sehr schönen Hof aufgebaut und können jeden Tag aus dem Garten essen. Und Schafe und Hühner sind auch auf dem Hof. Helfen Sie auf dem Hof mit? Stockhausen: Nein, nur wenig, dazu bin ich zu häufig unterwegs. Aber ich bin Nutznießer der Situation. Es ist so, wie man sich das erträumt: Die Garage ist Musikraum geworden, die Scheune ist umgebaut zum Konzertsaal. Klar könnte ich mir auch andere Dinge vorstellen. Aber so interessant und bequem es in der Stadt auch ist, so sind die Unruhe, die unsaubere Luft, die tausenden von WLAN für mich sehr störend. Gerade auch der Elektrosmog hat sehr zugenommen. Ich habe mich gerade intensiv mit 5G befasst, was ja für Deutschland kommen soll. Der bestehende Elektrosmog und der, der dann noch hinzukommt, ist etwas, was mich sehr umtreibt. Davon haben viele Menschen keine Ahnung. Die sehen nur die Neuerung und die noch höhere Bequemlichkeit. Aber dass das für uns alle sehr schädlich sein wird, das sehen sie noch nicht. Ist Ihre Musik eine Gegenposition zu dieser Entwicklung? Stockhausen: Musik ist Musik, die werde ich immer machen. Aber man muss Verantwortung übernehmen für Dinge, die man vermeiden kann. Solange wir die Möglichkeit haben, Dinge abzuwenden, die uns schädigen, tue ich das natürlich. Wir etwa haben gar kein WLAN zuhause, und unsere Nachbarn bitte ich, das nachts abzuschalten. Ich versuche mich abzuschirmen, so gut es geht gegen die elektromagnetische Einstrahlung. Und die würde mit 5G zunehmen. Musik ist aber nicht da, um gegen etwas zu sein, sondern sie ist ein Königsweg der Künste, die größte Kunst überhaupt, wie mein Vater immer sagte. Musik berührt den Hörer unmittelbar, jenseits aller Grenzen. &bdquo;Musik ist die Sprache der Seele", sagte der Musiker und Sufimeister Hazrat Inayat Khan. Egal wo ich bin erlebe ich, dass ich die Menschen unmittelbar erreiche. Und die Verbindung von Musik und Spiritualität, die ich auch in meinen Seminaren anstrebe, tut den Menschen einfach gut. Mir übrigens auch. Ich kann mir nichts Besseres vorstellen.

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