Gütersloh

Interview mit Ex-Arbeitsminister Guntram Schneider

„Gütersloh hat mich geprägt“

Johannes Hülstrung
03.09.2016 | 03.09.2016, 15:26

Gütersloh. Ex-NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider ist in Gütersloh geboren. In der NW verrät er, wieso er wirklich aus dem Amt ausschied, wie er seine Geburtsstadt sieht und dass er seinen 65. Geburtstag dort an einem ganz bestimmten Ort nachfeiern will.

Herr Schneider, erinnern Sie sich noch an den 21. September 2015?
Guntram Schneider:
Ehrlich gesagt nicht.

An diesem Tag verkündete Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Ihr Ausscheiden aus dem NRW-Kabinett zum 1. Oktober. Ein trauriger Moment für Sie?
Schneider:
Nein, das war ja geplant und abgesprochen. Dass ich aufhöre, war klar. Ich bin jetzt 65 Jahre alt, da wird es Zeit, in den Ruhestand zu gehen. Die Ministerpräsidentin hatte die Absicht, das Kabinett zu verjüngen. Und die beiden Ministerinnen, die mit mir ausgeschieden sind, Familienministerin Ute Schäfer und die Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten Angelica Schwall-Düren, gehören zur selben Altersklasse wie ich.

War denn trotz der Absprache ein bisschen Wehmut dabei?
Schneider: Natürlich, weil ich meine Ministerarbeit sehr gerne gemacht habe. Aber ich wusste schon etwa drei Wochen vorher Bescheid. Da er nicht überraschend kam, war dieser Moment für mich auch kein Negativerlebnis.

Hatte Ihr Abschied tatsächlich gesundheitliche Gründe?
Schneider: Überhaupt nicht. Dieses Gerücht war eine Ente. Es waren keine gesundheitlichen Gründe. Das einzige Handicap, das ich habe, ist ein lädiertes Knie, aber ansonsten bin ich voll leistungsfähig.

Also hätten Sie noch weitermachen können?
Schneider: Ich wollte eigentlich am Tag der NRW-Landtagswahl, dem 14. Mai 2017, aus dem Kabinett ausgeschieden. Das war die ursprüngliche Planung. Aber wenn solche Wahlen anstehen, will man neue und jüngere Gesichter haben.

Sie gelten ja als ehrlicher Mensch. Spielte für den Zeitpunkt Ihres Rücktritts die kurz zuvor überschrittene Fünfjahresfrist auf einen Pensionsanspruch als Minister eine Rolle?
Schneider:
Nein, die spielte keine Rolle. Meine Altersversorgung fiele gegenüber anderen Menschen in diesem Land auch ohne die Ministeraltersbezüge ganz ordentlich aus.

Ebenfalls am 21. September 2015 wurde Christina Kampmann als neue Familienministerin vorgestellt, die, wie Sie, in Gütersloh geboren wurde. Wie ist Ihr Verhältnis?
Schneider: Sehr gut! Ich habe mich gefreut, dass es jemand aus Ostwestfalen wurde. Und noch mehr habe ich mich darüber gefreut, dass es jemand aus Gütersloh wurde, der sehr qualifiziert ist.

Gütersloh scheint ein gutes Geburtsklima für NRW-Minister zu haben.
Schneider: Warum auch nicht? Gütersloh ist eine interessante Stadt mit sehr vielen Facetten, auch politisch. Das ist aber nicht ausschlaggebend für die Besetzung des Kabinetts. Es ging um regionale und natürlich politische Gesichtspunkte.

Inwiefern sind Sie von Gütersloh geprägt worden?
Schneider: Ich bin in Gütersloh aufgewachsen und habe dort bis zum 18. Geburtstag gelebt. Das prägt natürlich. Ich habe nach wie vor gute Bekannte, Freunde und Verwandte im Kreis Gütersloh. Denken Sie an Klaus Brandner, der jetzt in Verl lebt.

Was unterscheidet Ihren Geburtsort Gütersloh von Ihrem Wohnort Dortmund?
Schneider: Eine ganze Menge! Gütersloh gehört sicherlich in NRW und darüber hinaus zu den Städten mit einem sehr hohen Lebens- und Wohlstandsniveau. Das hängt mit der Wirtschaftsstruktur zusammen. Eigentlich gilt das sogar für den ganzen Kreis Gütersloh. Und Dortmund ist eine Metropole mit über 600.000 Einwohnern. Dort hat man soziale Brüche und einen rasanten Strukturwandel, der weiterhin anhält. Im Übrigen unterscheidet Dortmund von Gütersloh auch der Fußball. Aber darüber wollen wir nicht reden.

Das wäre für Gütersloh eher traurig, für Sie als BVB-Fan sicher erheiternd. Abgesehen vom Fußball: Was ist für Sie eher Ihre Heimat – Ostwestfalen oder das Ruhrgebiet?
Schneider: Meine Heimat ist das Ruhrgebiet. Ich lebe immerhin seit 36 Jahren in Dortmund. Aber ich komme sehr gerne nach Gütersloh und Ostwestfalen zurück. Mein Bruder lebt in Isselhorst und das verbindet. Ich habe im Juli meinen 65. Geburtstag begangen, und natürlich wird die „Nachfeier" im September bei Ortmeier in der Gaststätte „Zur Linde" in Isselhorst stattfinden.

Sie sind schon fast seit einem Jahr aus dem Ministeramt ausgeschieden. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Schneider: In den letzten Monaten habe ich mich vor allem mit europapolitischen Fragen beschäftigt, weil ich im Landtag dem Ausschuss „Europa und Eine Welt" angehöre. Das macht mir riesigen Spaß. Ich habe noch genug zu tun, aber es ist natürlich weniger. Sehr schön sind die Tage, an denen ich morgens frühstücke, eine Stunde lang die Zeitung lesen kann und weiß, es steht kein Wagen vor der Tür, der darauf wartet, dass ich raus komme, um zur Arbeit zu fahren.


Tut es Ihnen weh, das Regierungsgeschäft jetzt nur noch aus der Ferne beobachten zu können?

Schneider: Wir haben allwöchentlich Fraktionssitzungen, bei denen auch die Regierungspolitik besprochen wird. Aber Sie haben recht, ich bin nicht mehr so nah dran. Ein Ministeramt ist allerdings ein Amt auf Zeit, das war mir immer klar. Insofern hält sich der Trübsinn in Grenzen.

Sie sind nach wie vor eine starke Stimme und mischen sich weiterhin ein auch – bundespolitisch. Mitte Juni haben Sie eine Erhöhung des Mindestlohns um 2,5 Prozent gefordert, also von 8,50 Euro auf 8,71 Euro. Jetzt soll er aber zum 1. Januar 2017 laut Mindestlohnkommission sogar auf 8,84 Euro steigen. Dann müssten Sie jetzt ja vor Freude im Kreis springen, oder?
Schneider: Nein, ich wäre froh gewesen, wenn es höher ausgefallen wäre! Aber volkswirtschaftlich passt das schon. Wenn jemand 12 Euro Mindestlohn fordert, ist das illusionär. Das geht nicht.

Nach der Wahl 2017 werden Sie sich aus dem Landtag verabschieden.
Schneider: Ja, ich werde nicht wieder kandidieren. Das sollen Jüngere machen. Ich beschäftige mich seit über 40 Jahren mit Politik. Das werde ich auch weiter tun, das geht gar nicht anders, aber an anderer Stelle und mit anderen Intentionen verbunden. Ich will nicht immer das Gleiche machen.

Was machen Sie ansonsten danach?
Schneider: Das weiß ich noch nicht. Ich will Ihnen nicht erzählen, dass ich mir einen Hund kaufe oder eine Katze oder was weiß ich. Ich habe bestimmte Interessen, werde viel mehr lesen. Sehr gerne lese ich Biografien, aber auch Belletristik. Ich werde viel mehr verreisen. Dafür muss ich aber erst einmal mein Knie in Ordnung bringen, bevor ich sechs, sieben Wochen wegfahren kann. Politisch beobachte ich etwa die Entwicklung rechten Gedankenguts mit großer Sorge. Im Kampf gegen alte und neue Nazis war ich immer aktiv und daran wird sich auch künftig sicher nichts ändern.