Gütersloh. Im April hat Bertelsmann das Flüchtlingsprojekt "Be Welcome" gestartet, um elf jungen Flüchtlingen eine Perspektive auf dem regionalen Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Nach 100 Tagen sind die acht jungen Männer und drei Frauen ihrem Ziel nähergekommen.
Die Stimmung ist die einer normalen Schulklasse in der Pause: Die jungen Frauen und Männer lachen, unterhalten sich und feuern sich beim Wikingerschach an. Die gute Laune ist aber keine Selbstverständlichkeit: Alle kommen aus Syrien, wo seit fünf Jahren Bürgerkrieg herrscht. Sie sind seit bis zu drei Jahren in Deutschland und haben ganz unterschiedliche Fluchtgeschichten erlebt. Bei "Be Welcome" haben sie ein gemeinsames Ziel: ihren Weg ins Arbeitsleben in Deutschland zu finden.
In dem insgesamt einjährigen Programm stand zunächst intensives Sprachtraining auf dem Plan. Durch ein Praktikum in einem Unternehmen sollen die Teilnehmer nun herausfinden, welcher Job am besten zu ihnen passt. Im Idealfall bleiben sie dann in dem Betrieb und beginnen nach einem Jahr eine duale Ausbildung.
"Das Projekt läuft wesentlich besser, als erwartet", berichtet Projektleiterin Anna Terletzki. "Die Teilnehmer haben ihre Sprachkenntnisse gut weiterentwickelt. Am meisten beeindrucken mich aber der große Gruppenzusammenhalt und die hohe Motivation." In den ersten vier Monaten waren die Projektteilnehmer täglich zusammen beim Sprachkurs im Corporate Center von Bertelsmann. Ihre Fluchterlebnisse spielen im Lehrgang nur am Rand eine Rolle. "Alle wollen in die Zukunft blicken und sich eine Perspektive hier in Deutschland schaffen", so Terletzki.
Die meisten der jungen Flüchtlinge sind mit ihrer Familie, ihren Eltern oder Geschwistern nach Gütersloh gekommen. Sie alle sind anerkannte Flüchtlinge und wohnen nicht mehr in Notunterkünften, sondern mit ihren Familien in Wohnungen. Ihre Bildungshintergründe sind ganz unterschiedlich. Die einen haben einfache Schulabschlüsse erworben, die anderen wegen der Flucht ihr Studium abgebrochen. "Zu Anfang fiel uns auf, dass die Teilnehmer kaum Vorstellungen vom deutschen Bildungssystem hatten. Wie angesehen eine duale Ausbildung im Vergleich zu einer Hilfsarbeit ist und auch durchaus eine Alternative zum Studium sein kann, das haben wir zusammen erarbeitet", so Terletzki.
Mittlerweile haben die Teilnehmer konkrete Vorstellungen, welchen Beruf sie in Deutschland ergreifen möchten - vom Lagerlogistiker über den Drucker bis zur Köchin reicht das Spektrum. Der 21-jährige Shamoun hat in Syrien englische Literatur studiert. Als "das Leben zu schwer" in Syrien wurde, ist er mit seinen Eltern und Geschwistern nach Deutschland geflohen - nach Harsewinkel. "Mein Onkel und meine Tante wohnen schon lange hier. Wir sind jetzt alle Harsewinkeler", erklärt Shamoun. Im August beginnt er ein Praktikum bei Arvato Systems. Er möchte Fachinformatiker werden und kann sich vorstellen, im Kreis Gütersloh zu bleiben: "Große Städte sind so chaotisch. Gütersloh ist sehr praktisch. Ich möchte unbedingt eine Ausbildung machen und dann arbeiten oder vielleicht später studieren."
In Praktika bei Arvato, Mohn Media, Baxter, einer Grundschule oder in der Lagerlogistik können die Teilnehmer die Berufe kennenlernen. Entscheiden sich das Unternehmen und der Teilnehmer füreinander, beginnt eine einjährige Einstiegsqualifizierung. Dabei durchlaufen die Teilnehmer das erste Lehrjahr auf Probe. Im Anschluss kann dann die eigentliche Ausbildung starten. Betreut werden die jungen Männer und Frauen auch in dieser Phase von Terletzki und dem Sozialpädagogen Andreas Majewski. "Das Projekt ist sehr gut gestartet. Kein einziges Vorurteil gegenüber Flüchtlingen hat sich bestätigt. Untereinander und uns gegenüber sind die Teilnehmer stets hilfsbereit, freundlich, respektvoll und pflichtbewusst. Die Hälfte engagiert sich mittlerweile sogar ehrenamtlich in der Region."