Urteil im Findelkind-Prozess erwartet

Gütersloh/Bielefeld. Mit dem letzten Klicken der Kameraauslöser kehrt Stille ein im Saal 26 des Bielefelder Landgerichts. Die Zuschauer halten vor der Urteilsverkündung den Atem an. Rechtsanwalt Knut Recksiek versucht seine Mandantin mit einem Lächeln zu trösten. Aber es gibt keinen Trost für die Frau, die ihren Sohn wenige Minuten nach der heimlichen Geburt in einem Rohbau in Plastiktüten gewickelt tief in einem dichten Gebüsch am Rande des Media-Markt-Parkplatzes versteckt hat. Mihaela C. muss ins Gefängnis. Die Zehnte Strafkammer verurteilte die Rumänin wegen versuchten Totschlags, Aussetzung und gefährlicher Körperverletzung zu vier Jahren Haft. Das Gericht folgte damit der Forderung der Staatsanwaltschaft. &bdquo;Sie haben ihr Baby ganz bewusst in eine Tüte gelegt, von der sie wussten, dass sie dem Säugling nicht lange Schutz bieten würde. Sie wussten auch, dass das Gebüsch nicht einsehbar war und dass an Sonntagen auch niemand zum Einkaufen auf das abgesperrte Grundstück des Elektronikmarktes kommen würde", sagte Jutta Albert in der Urteilsbegründung und fand damit deutliche Worte in Richtung Anklagebank. Am Ende, so die Vorsitzende Richterin, seien es &bdquo;viele glückliche Zufälle" gewesen, denen der kleine Junge sein Leben zu verdanken hat – vor allem jener Familie, die den stark unterkühlten Säugling am Abend des 14. Juni 2015 im Gebüsch hinter ihrer Gartenmauer gefunden hatte. Welche Spätfolgen die Aussetzung für das Kind haben wird, sei heute noch nicht abzusehen, sagte Albert. Die Richter hielten der Mutter zugute, dass sie sich während der Schwangerschaft und der Geburt in einer besonderen Stresssituation befunden habe. Ein von Gericht bestellter Gutachter hatte bei der Angeklagten eine dissoziative Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Für die Angeklagte wertete das Gericht auch das umfängliche Geständnis und die damit verbundene Reue der bislang nicht vorbestraften Frau. Aus diesem Grund sei die Kammer deutlich unter dem oberen Strafrahmen von elf Jahren geblieben, sagte Albert. Mihaela C. folgte den Worten der Kammervorsitzenden äußerlich regungslos. Nach der Verurteilung sei sie aber in Tränen ausgebrochen, sagte ihr Verteidiger. Ob die Mutter zweier weiterer erwachsener Kinder das Urteil akzeptieren oder dagegen Revision einlegen wird, vermochte Recksiek noch nicht zu sagen. Er hatte in seinem Plädoyer eine zweijährige Bewährungsstrafe für seine Mandantin gefordert. Dieses Strafmaß hätte auch Inge Bultschnieder von der Interessengemeinschaft &bdquo;WerkFAIRträge", die sich schon seit Jahren für Fremdarbeiter in der Fleischverarbeitungsindustrie einsetzt und sich auch um die ehemalige Tönnies-Leiharbeiterin Mihaela C. kümmert, für gerecht empfunden. Sie bedauerte, dass in der Beweisaufnahme kaum auf die Lebensumstände von Mihaela C. und ihre Arbeit bei Tönnies eingegangen worden sei. Immerhin, so die Initiatorin der Interessengemeinschaft, habe C. unter &bdquo;widrigen Umständen gelebt und gearbeitet". Da könne man durchaus einen Zusammenhang mit der Tat sehen, so Bultschnieder. Eine weitere Vertreterin der Interessengemeinschaft forderte indessen, dass auch der Vater des Kindes zur Rechenschaft gezogen werde. Der Mann, von dem die Verurteilte nach eigener Aussage nur den Vornamen kennt und der behauptet hatte, keine Kinder zeugen zu können, stehe ebenso in der Verantwortung wie Mihaela C, sagte die Frau. Mihaela C. war bereits am Dienstag auf richterlichen Beschluss von der Polizei im Franziskanerkloster in Rheda-Wiedenbrück festgenommen worden. Mit der vorzeitigen Inhaftierung wollten die Richter offenbar verhindern, dass sich die Angeklagte wegen der zu erwartenden Haftstrafe in ihre Heimat absetzt.

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