
Gütersloh. Nicht zuletzt seinetwegen ist sie Journalistin geworden. Aber hätte sie ihn auch gern als Chefredakteur gehabt? "Nein und Ja", antwortete Stephanie Nannen, mit leichter Tendenz zu Ersterem. Zum 100. Geburtstag ihres Großvaters Henri Nannen (1913-96), dessen Name mit der 1948 von ihm gegründeten und dann über Jahrzehnte geprägten Illustrierten "Stern" verbunden ist, hat die Enkelin seine Biographie geschrieben. Jetzt war sie auf Einladung des Kreismagazins "Faktor 3" und der Buchhandlung Markus Gast im Parkhotel.
In den vorgelesenen Passagen aus "Henri Nannen. Ein Stern und sein Kosmos" und im Gespräch mit "Faktor 3"-Chef Markus Corsmeyer beschrieb Stephanie Nannen ihren Grovater als so empfindsamen wie gelegentlich cholerischen Charakter, der von seiner Redaktion durchaus gefürchtet gewesen sei. "Schnell, hart, klar und gnadenlos" hätten seine Urteile über Geschichten ausfallen können.
Er selbst wiederum habe nur das gemacht, was er konnte, das andere "die Besten machen lassen". Bei Konferenzen habe Nannen auch mal einschlafen können, "übrigens auch in Gütersloh bei den Vorstandssitzungen."
Und er habe nie zurückgeschaut. Das galt seiner Biographin zufolge für sein Leben vor dem "Stern" wie mit dem "Stern". Nannen sei kein Nazi gewesen, aber auch kein Widerständler, habe sich im Nachhinein, etwa 1979 im Rahmen der Debatte um die TV-Serie "Holocaust", für zu feige gehalten. "Er hat sein Leben danach gegen das davor gestellt." Was die Themen des Blattes betraf, habe für ihn gegolten: "Nur dumme Leute sagen 20 Jahre immer dasselbe." Und, so die Enkelin: "Er ließ sich sich den Blick nicht durch Vorurteile oder gar Fakten verstellen."
Das konnte den "Stern" zu einem Motor für Willy Brandts Ostpolitik und allerlei Kampagnen werden lassen. Hätte Nannen das Desaster um die "Hitler-Tagebücher" verhindern können? Er stand damals kurz vor dem Ausscheiden als Herausgeber.
Laut Stephanie Nannen wurde der vermeintliche Coup von der Chefredaktion und dem Verlag verantwortet. "Wo war noch mal der Verlag?", fragte sie im Hotel des Konzerns (der im Übrigen auch ihr Buch verlegt) rhetorisch in die Runde. Jedenfalls habe Nannen die sein Lebenswerk bedrohende Pleite mit den simpel gefälschten Führer-Kladden "schwer getroffen".
Durch den Großvater habe sie der Beruf seit frühen Jahren angezogen, sagte Stepanie Nannen. Beim Schreiben des Buches habe sie Nannen bei sich gespürt, "das war kein schlechtes Gefühl." Er selbst habe keine Biographie schreiben wollen, weil er gewusst habe, dass er dann die unguten Seiten wegließe. Ihn nun aber in allen Facetten zu zeigen, hätte er, so die Enkelin, sicher journalistisch richtig gefunden. Als Chefredakteur.
Stephanie Nannen: "Henri Nannen. Ein Stern und sein Kosmos. C.Bertelsmann. 400 Seiten. 19.99 Euro.