Dramatischer Liebesbetrug im Internet: Frau aus Kreis Gütersloh nimmt sich das Leben

Borgholzhausen. Ganz am Ende wusste Claudia S. nicht mehr weiter. Die ältere Frau aus Borgholzhausen, die in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt, war verzweifelt. Selbst bei Freunden und Bekannten stellte sie auf taub. Sie war einsam, in ihrer ganz eigenen Welt gefangen. Schließlich gab es für sie keinen Ausweg mehr. Sie nahm sich das Leben. Der tragische Fall von Claudia S. ist ein bedrückendes Beispiel dafür, wie man im Internet Liebesbetrügern aufsitzen und ihnen komplett verfallen kann. Die Polizei führt solche Vorfälle unter der Rubrik "Love-Scamming" oder "Romance-Scamming". Den Betrügern geht es einzig und allein darum, von ihren Opfern Geld zu erpressen. Die Vorgehensweise der Täter ist subtil. Sie durchkämmen Online-Partnerbörsen, Soziale Netzwerke oder andere Chats im Internet. So geschehen auch bei Claudia S., die "ihren" Daniel G. auf diese Art und Weise kennenlernt. Ein kurzer Chat oder eine nette Mail von einem Unbekannten - alles fängt ganz harmlos an. Der Mann gibt sich als britischer Militärarzt aus Der "Scamm-Mann" Daniel G. besticht durch seine besondere Lebensgeschichte. Er gibt sich als britischer Militärarzt aus, der bei Kampfeinsätzen im Jemen eine Beinverletzung erlitten hat und nun, nach dem Abzug seiner Einheit, im Jemen zurückgelassen worden ist. Claudia S. ist von dem Schicksal ihrer neuen Bekanntschaft berührt - sie hinterfragt nicht wirklich den Wahrheitsgehalt der Geschichte. "Seien Sie grundsätzlich misstrauisch, wenn Sie jemanden im Internet kennenlernen", rät Katharina Felsch, Pressesprecherin der Polizei Gütersloh: "Achten Sie auf Ungereimtheiten und Widersprüche und lassen Sie sich von fadenscheinigen Ausreden und Erklärungen nicht blenden." All dies geschieht im Fall von Claudia S. nicht. Sie und Daniel G. schreiben sich schon bald öfter - schnell regelmäßig. Im brüchigen Deutsch gelingt es dem vermeintlichen Militärarzt, das Herz von Claudia S. zu erobern. Es sind nette, bald mehrmals tägliche Nachrichten. Freundlich, liebevoll. Die Texte suggerieren Claudia S. ein Leben voller Farbe. Die Frau fühlt sich emotional verwöhnt. Sie hat nicht mit ihm telefoniert, noch nie ein Video-Gespräch geführt Sie verfängt sich in den Schmeicheleien, ist angefixt. Die große, weite Welt sei zu ihr gekommen, habe sie einmal gesagt. Sie hat sich mit dem neuen Kontakt im Bekanntenkreis geschmückt. Im Austausch mit Daniel G. fühlt sie sich interessant - interessanter als in ihrem Borgholzhausener Umfeld. Von diesem Punkt ist der Weg zur emotionalen Abhängigkeit (inklusive erotischer Fantasien) nicht mehr weit. Claudia S. steht mit den morgendlichen Liebkosungen von Daniel G. via WhatsApp auf, und sie geht mit einem zärtlichen Gute-Nacht-Gruß aus dem Jemen ins Bett. In Wirklichkeit weiß die Borgholzhausenerin von dem Mann aus dem Chat nichts. Sie hat nicht mit ihm telefoniert, noch nie ein Video-Gespräch mit ihm geführt - geschweige denn: ihn jemals persönlich getroffen. Es gibt ein Foto - aber ist das wirklich Daniel? Lediglich ein Foto hat der mutmaßliche Daniel G. ihr zukommen lassen. Das zeigt einen südländisch aussehenden Mann mittleren Alters. Wer das ist, weiß niemand. Ob es Daniel G. in Wirklichkeit gibt, ist ebenfalls unklar. Dennoch gelingt es dem Unbekannten, dass ihm Claudia S. nach einer Weile scheinbar blind vertraut - ihm beinahe hörig ist. Es kommt zur ersten Geldüberweisung. Wie kann das gehen? Beide hatten in den Wochen zuvor darüber geschrieben, sich zu treffen. Der Militärarzt wollte nach Hamburg kommen, sich dort ein neues Leben aufbauen. Eventuell ein Krankenhaus für Kinder eröffnen. Claudia S. sollte Teil des neuen Lebens des Betrügers werden. Die Frau denkt das erste Mal daran, sich von ihrem Mann scheiden zu lassen. Doch so einfach kann das avisierte Treffen in der Hansestadt nicht zustande kommen. "Komplikationen und Schwierigkeiten sind Teil der Masche", gibt Polizeihauptkommissarin Katharina Felsch Auskunft: "Die Betrüger erfinden immer wieder neue Hürden und Kniffe, mit denen sie dann weiteres Geld von ihren Opfern ergaunern wollen." Claudia S. räumt das Gemeinschaftskonto mit ihrem Mann Der angebliche Arzt gibt an, dass sämtliche Papiere und Gelder mit dem Truppenabzug des britischen Militärs in einem Container in den USA gelandet seien. Deshalb bittet Daniel seine Claudia, den Rücktransport der Unterlagen zu organisieren und ihm ein wenig Geld für die Reise nach Deutschland zu schicken. Claudia S. räumt das Gemeinschaftskonto, das sie mit ihrem Mann besitzt. Sie überweist zweimal eine vierstellige Summe. Claudias Ehemann, der die Internet-Liaison bisher lediglich als Spinnerei abgetan hat, die schon wieder vorbeigehen werde, ist nun alarmiert. Er stellt seine Frau zur Rede und fordert sie auf, das Geld zurückzuholen. Claudia S. schaltet eine Anwältin ein. Susanne Bender nimmt sich des Falles an. Die Rechtsanwältin aus Borgholzhausen schreibt die Bank an - ebenso die Firma Dan-Gulf Shipping, die für die Verschiffung des Containers mit den Papieren sorgen soll. Beides ohne Erfolg. Von der Dan-Gulf Shipping Inc. gibt es nicht mal eine Reaktion. Strafanzeige bei der Polizei wird schnell eingestellt Diese erhält die Anwältin allerdings von Daniel G., als sie ihm schreibt, dass er sich bitte einmal gegenüber ihr und Claudia S. mit einem Ausweis identifizieren möge. "Der wurde richtig pampig", sagt Susanne Bender. Was ihr einfallen würde, habe er geschrieben: Er müsse sich niemandem gegenüber ausweisen. Aufgrund dieser Reaktionen warnt die Rechtsanwältin ihre Klientin eindringlich davor, diese Beziehung fortzuführen. Sie gibt Claudia S. Info-Material zu dem Thema, nennt ihr Ansprechpartner und Beratungsstellen. Außerdem stellt sie Strafanzeige bei der Polizei - die allerdings schnell eingestellt wird. Mehrere tausend Euro von Nachbarn geliehen "Ich hatte schon damals den Eindruck, dass Claudia S. für Hilfe nur sehr wenig zugänglich war", sagt Susanne Bender: "Sie wirkte wie eine Süchtige, die keinen Stopp zu kennen scheint." Die Rechtsanwältin sollte recht behalten. Gut zwei Jahre später steht Claudia S. wieder in ihrer Kanzlei. Der Fall hat sich dramatisch zugespitzt. Claudia S. will jetzt definitiv die Scheidung von ihrem Mann. Der hat sie aus dem Haus geworfen und sämtliche Schlüssel (auch fürs Auto) abgenommen. Ferner liegen zwei Strafanzeigen von Nachbarn vor. Dort hatte sich Claudia S. mehrere tausend Euro geliehen und sie Daniel G. zukommen lassen. "Sie war völlig verzweifelt, weil ihr Verhalten in der Nachbarschaft öffentlich geworden war. Sie sagte, sie könne nun niemandem mehr in die Augen gucken. Es sei ein kompletter Gesichtsverlust für sie", erinnert sich Susanne Bender. Dann nimmt sich Claudia S. das Leben Dennoch hing sie ihrer Illusion - ihrem Daniel G. - weiter nach, obwohl es in der gesamten Zeit nie zu einem Treffen gekommen ist. Zwei Tage nach dem Besuch in der Rechtsanwaltskanzlei schreibt Claudia S. ihrer Internet-Liebe eine letzte Nachricht und verabschiedet sich von ihm. Danach wählt sie den Freitod.

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