Bielefeld/Darmstadt. Weil sie einen Kollegen fälschlich beschuldigt haben soll, steht die Lehrerin Heidi K. seit gestern in Darmstadt vor Gericht. Und versucht, die Kammer davon zu überzeugen, dass ihr Unrecht getan wird.
Plötzlich kommen ihr dann doch die Tränen. Heidi K. presst sich die Hand vor den Mund und unterdrückt mit zuckenden Schultern ein Schluchzen. Ihre Stimme droht zu brechen, mühsam bringt sie ein "Entschuldigung" hervor. Doch genauso schnell, wie sie vom Weinen überfallen wurde, fängt sich die 48-Jährige wieder. Gefasst erzählt sie im großen Saal des Darmstädter Landgerichts ihre Geschichte zu Ende – die Geschichte einer Vergewaltigung, die es wohl nie gegeben hat. Die Geschichte, die einen Mann ins Gefängnis brachte und so sein Leben zerstörte.
Bis zum Tod auf Entschädigung gewartet
- 2002 verurteilt das Landgericht Darmstadt Horst Arnold wegen Vergewaltigung zu fünf Jahren Haft. Er bestreitet die Tat und sitzt die Haft bis zum letzten Tag ab.
- In einem Wideraufnahmeverfahren folgt 2011 der Freispruch. Das Kasseler Landgericht urteilt: Die Vorwürfe waren frei erfunden.
- Die Haftentschädigung von 25 Euro pro Tag, die Arnold zusteht, wird bis zu seinem Tod im Juni 2012 nicht ausgezahlt. Bis dahin lebt er von Hartz IV.
- Auch seine Stelle bekommt er nicht zurück.
Heidi K. muss deswegen nun zum dritten Mal vor Gericht erscheinen. Dieses Mal jedoch ist die Anklagebank der Platz der 48 Jahre alten Ex-Lehrerin, die auch an einer Schule in Bielefeld unterrichtet hat. Freiheitsberaubung lautet der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Heidi K. soll mit der erfundenen Vergewaltigung ihren Kollegen Horst Arnold für fünf Jahre ins Gefängnis gebracht haben – weil sie ihre Karriere anschieben wollte.
Die angebliche Tat liegt zwölf Jahre zurück: Im August 2001 sei sie von ihrem damaligen Kollegen Arnold im Biologieraum einer Schule im südhessischen Reichelsheim angegriffen und anal vergewaltigt worden, behauptete K. und zeigte den Kollegen an. Für ihn begannen daraufhin Verdächtigungen, Ermittlungen und ein Prozess. An dessen Ende schickte ihn das Landgericht Darmstadt 2002 wegen Vergewaltigung für fünf Jahre ins Gefängnis. Er saß die Haft komplett ab.
2011 jedoch entschied das Landgericht Kassel in einem Wiederaufnahmeverfahren: Den Übergriff auf Heidi K. hat Horst Arnold nicht begangen. Die Kammer sprach von einer "frei erfundenen Geschichte", die Heidi K. erzählt habe, und sprach Arnold frei. Darüber freuen konnte sich der ehemalige Lehrer nicht: Er starb im Juni 2012 mit 53 Jahren an Herzversagen.
Nun muss sich die inzwischen vom Dienst suspendierte Heidi K. selbst vor Gericht verantworten. Pikant: Das gleiche Gericht, das – allerdings in anderer Zusammensetzung – einst Arnold schuldig sprach, muss nun darüber befinden, ob Heidi K. wegen Freiheitsberaubung zu verurteilen ist. Die Konstellation könnte kaum ungünstiger sein, die Augen der Öffentlichkeit ruhen auf der Kammer. Pressevertreter und Zuschauer drängen sich im Gerichtssaal, als die Angeklagte, flankiert von drei Rechtsanwälten, zu ihrem Platz huscht.
Versteckt unter dunkelroter Langhaarperücke, die Augen hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen, schaut sie sich kurz um. Vielleicht spürt sie die Blicke und die unausgesprochenen Fragen, die wohl alle bewegen: Wer ist die Frau, die eiskalt eine Vergewaltigung erfunden haben soll? Und was sagt sie heute dazu?
Nicht viel: Sie bleibt bei ihrer Version. Ruhig und mit leiser Stimme berichtet sie von Jugend, Studium und ihren drei Ehen. Sie habe stets "Gewalt angezogen". Das habe sie in einer Therapie herausgefunden. Ein Leben voller Tragik, so scheint es. Zig Male wechselte K. ihre Arbeitsstelle, weil immer etwas nicht stimmte. Mal habe man versucht, sie zu vergiften, dann wieder habe man sie gemobbt.
Und ihre drei Ehemänner griffen sie an. Schließlich schildert K. die angebliche Vergewaltigung, und ihre Angaben werden ungenau. Horst Arnold müsste demnach mehr als zwei Arme gehabt haben, um Heidi K. so festgehalten und vergewaltigt zu haben, wie sie es beschreibt. Doch sie fährt fort. An zeitliche Zusammenhänge kann sich die 48-Jährige nicht erinnern. "Ich weiß nicht", ist dann der Standardsatz von Heidi K.
Während es im Zuschauerraum bei den Aussagen der Angeklagten allmählich unruhig wird, bleibt die Vorsitzende Richterin Barbara Bunk souverän. Dennoch: Sie schont Heidi K. nicht. Immer wieder hakt sie ein, fragt nach und versucht, Widersprüche aufzudecken. "Das haben wir so noch nicht gehört", bemerkt die Vorsitzende beim Blick in die Akten. Doch K. beharrt auf ihrer Aussage. Für den Prozess sind vorläufig sieben Verhandlungstage angesetzt.