BIELEFELD

Gibt es in Bielefeld Feindlichkeit gegen Deutsche?

Integrations-Debatte über das Zusammenleben in der Stadt

15.10.2010 | 15.10.2010, 09:35
Kai und Marc-Rene (von links) aus Deutschland ziehen gegen Daniel und Manuel aus Mazedonien (von rechts) in die Rasenschlacht. Diplom-Sozialpädagoge Maik Quernheim gibt die Regeln vor. - © FOTO: ANDREAS ZOBE
Kai und Marc-Rene (von links) aus Deutschland ziehen gegen Daniel und Manuel aus Mazedonien (von rechts) in die Rasenschlacht. Diplom-Sozialpädagoge Maik Quernheim gibt die Regeln vor. | © FOTO: ANDREAS ZOBE
Integration am Kicker-Tisch - © BIELEFELD
Integration am Kicker-Tisch | © BIELEFELD

Bielefeld. Schüler an Berliner Schulen werden von Migranten als Kartoffeln bezeichnet. Familienministerin Kristina Schröder gibt an, als Deutsche Schlampe beschimpft worden zu sein. Sie wertet das als eine Form des Rassismus, als Ausgrenzung Deutscher – und fordert eine Debatte. Profilierungsversuch oder Problem? In Bielefeld sind die Meinungen gespalten.

32,3 Prozent der Bielefelder haben ausländische Wurzeln. Einen größeren Anteil an Migranten weist innerhalb von NRW nur noch Köln auf. Doch geht die Rechnung "viele Ausländer gleich Ausgrenzung Deutscher" auf? Für den Diplom-Sozialpädagogen Maik Quernheim, tätig im Brackweder Jugendzentrum Stricker, gibt es keinen Anlass zur Sorge: "Manche unserer Angebote werden von Ausländern besucht, manche mehr von Deutschen, wir haben hier aber auch Multikulti-Gruppen und keine Probleme." Ausgegrenzt werde niemand.

"Würde ich etwaige Tendenzen spüren, würde ich einschreiten und mit den Betreffenden sprechen." So wie es im Stricker Tradition sei, offen zu reden. Über alles, was gerade bewegt. "Wir bringen hier die Ethnien zusammen. Und ins Gespräch."

Russlanddeutsche spalten sich ab

Robert Dammann, Leiter der Justizvollzugsanstalt Brackwede I, sieht deutliche Tendenzen zu Aus- und Abgrenzung. Sicher sei das Gefängnis nicht das echte Leben. Allerdings ein paralleles Universum mit Ähnlichkeiten.

Information

32,3 Prozent  Migranten

32,3 Prozent der Bielefelder haben ausländische Wurzeln. In Bielefeld leben 157 Ethnien. Die meisten stammen aus der Türkei (13.233), 2.925 kommen aus Griechenland. Es folgen Serbien und Montenegro (2.765), Irak (2.157) und Polen (1.893), Italien (1.169) und Russland (1.018).

"Das Gruppenverhalten ist gut zu beobachten", sagt Dammann. Die einen sind friedlich, andere nicht – und dann gibt es noch unendlich viele Zwischentöne. Ein großer Teil der Insassen allerdings spalte sich ab. "Das gilt besonders für die Russlanddeutschen." Die bildeten geschlossene Gruppen. "So extrem ist das bei keiner anderen Ethnie. Möglicherweise ist das Verhalten mit dem Leben außerhalb der Mauern vergleichbar." Der Gruppendruck sei groß. "Wer ausbricht, braucht Rückgrat."

Die angebliche Unwilligkeit der Muslime, sich zu integrieren, hält Dammann für herbeigeredet. "Gerade die Türken sind tatsächlich von Generation zu Generation besser integriert", empfindet Dammann. Auch im Gefängnis gebe es kaum Schwierigkeiten. Es sei alles eine Frage der Zeit. Die latente Angst vor der fremden Religion hält Dammann für dumm. "Die extremen Ausreißer, das sind Einzelfälle." Die Gefahr der Ausgrenzung Deutscher bestehe in Räumen und Regionen, in denen Deutsche in der Minderheit sind. "Wenn ich mir manche Grundschulklasse ansehe, frage ich mich allerdings, wie Türken sich integrieren sollen. Sie sind dort schließlich fast unter sich."

Deutsche fürchten sich verschleierten Frauen

Das sind sie auch in der Vatan-Moschee in Brackwede. Jedenfalls meistens. Zweimal im Jahr öffnet der Moschee-Verein seine Tore und führt Besucher durch die Räume. Kritiker behaupten, die Offenheit sei nicht echt und fragen: "Was passiert über den Rest des Jahres?" Nurcan Kayiplar vom Moschee-Verein versichert, dass Gäste nicht nur während der Veranstaltungen, sondern jederzeit willkommen seien. "Da findet sich immer jemand, der den Besuchern etwas erklärt – und natürlich Tee anbietet."

Oft habe sie erlebt, wie deutsche Gäste sich immer mehr öffneten, von ihren Vorurteilen sprechen. "Viele glauben, dass hinter den Moschee-Türen Merkwürdiges geschieht. Das stimmt aber nicht."

Nicht unbedingt Ausgrenzung, doch aber Abgrenzung spüren Bielefelds Immobilienmakler. Sind zwei Häuser von türkischen Familien bewohnt, werde sich für das dritte Haus in der Straße eher keine deutsche Familie finden, sagt Immobilienmakler Thomas Fredebeul. Seine deutschen Kunden fürchteten sich vor Lärm, exotischen Koch-Gerüchen und verschleierten Frauen in der Nachbarschaft. "Dabei sind die Migranten oft die besseren Kunden", sagt Fredebeul. Gerade in Sachen Zahlungsmoral könne sich inzwischen mancher Deutsche eine Scheibe von den Zuwanderern abschneiden.