Bielefeld. Roberto Blanco, Bernhard Brink und Andy Borg im Café Europa? Na klar. Es gab Zeiten, da drückten sich die Gipfelstürmer der deutschen Schlagerparade in Bielefelds ältester Disko das Mikrofon der Reihe nach in die Hand. Zum 80. Geburtstag des Lokals steuert Ex-Geschäftsführer Karl Linnenbürger persönliche Erinnerungen bei – und alte Fotos.
"Was die damals alles gesungen haben, kriege ich nicht mehr auf die Reihe", sagt Linnenbürger. Mit einer Ausnahme: "Baccara", das erfolgreichste weibliche Gesangsduo der 70er und 80er Jahre hat er bis heute nicht vergessen. Wie die temperamentvollen Spanierinnen in Pluderhosen mit ihrem Hit "Yes Sir, I Can Boogie" das Publikum begeisterten . . . "So etwas gibts nie wieder." Der 74-Jährige lächelt wehmütig.
Tony Marshall war ebenfalls da. Die dauergewellte Stimmungskanone haute gleich zwei Abende hintereinander am Jahnplatz auf die Pauke – für 1.000 Mark Gage. "Damals war das möglich", sagt Linnenbürger mehr zu sich selbst. "Da konnten wir auch sechs festangestellte Mitarbeiter bezahlen.
Und heute?" Was heute ebenfalls kein Diskothekenbetreiber mehr machen würde: Das Café Europa war bis auf montags jeden Abend geöffnet. "Wenn wir um 19.30 Uhr aufschlossen, standen draußen die Leute schon Schlange." Alle schick in Schale. Wer von den Herren allerdings, wie es damals Mode war, seine Haare lang trug, musste draußen bleiben. Darüber ließen die Ordner nicht mit sich reden.
"Abendgarderobe erwünscht, jedoch nicht Pflicht", hieß es meist, wie in der Einladung zur Galaparty am 2. Oktober 1983. Wer mitfeiern wollte, war an diesem Abend mit 15 Mark dabei. Anlass: Linnenbürgers Geschäftspartner Roland Sanner, legte als "Don Rolando" zu diesem Zeitpunkt bereits im 20. Jahr Schallplatten auf.
Apropos Geld. Die Getränkekarte mit der eingedruckten Europa-Landkarte zeigt, dass Diskobesuche schon in den 80er Jahren nicht zu den billigen Vergnügungen zählten. "Deutsche Edelliköre" wie Zarenkaffe, Echt Stonsdorfer und Eierlikör gab es für 5 Mark. Apfelkorn kostete 3,50 und Bommerlunder "eiskalt aus eisigen Gläsern" 4 Mark. Unter der Rubrik "Europa-Spezial-Gedecke" sind Arrangements wie Cola mit Asbach Uralt (11 Mark) oder Orangensaft mit einem Pikkolo-Fläschchen Sekt (17 Mark) aufgeführt.
Und sonntags gabs Kuchen. Frisch vom Café Schumann, dem heutigen Passon. Ab 15.30 Uhr legte "Don Rolando" flotte Musik zum Tanztee auf. Das Publikum: "Ältere Gäste zwischen 25 und 50", so Linnenbürger.
Sobald sich meist gegen drei Uhr morgens die Tür hinter dem letzten Besucher geschlossen hatte, zog der Gastronom mit Freunden gern noch um die Häuser. Heute ist für ihn um 22.30 Uhr Schlafenszeit. "Dann ruft mein Bett."
Die Geschichte
1930: Am 1. Oktober, als Bielefeld Großstadt wird, stellt sich das Café Europa zum ersten Mal seinen Gästen vor.
1944: Am 6. August 1944 zerstören sieben Bomben das Gebäude. Von dem Café bleibt nichts übrig.
1951: Nach dem Wiederaufbau etabliert sich das Lokal als Forum für Big-Band-Sound und Tanzturniere.
1978: Karl Linnenbürger und Roland Sanner übernehmen das Lokal.
1985: Werner Held und Bernd Schadebrodt führen das "Europa" als "Zitti", eine eher komische Verdeutschung des Wortes City. Später folgten Namenswechsel zu "Swing, "Opera" und "Charlie Banana".
1988: Das "Europa" ist zurück. Einer der unvergesslichen DJs heißt "Othello".
1991: Nach langer Umbauphase eröffnet das "Orfeu Negro". Später folgen Umbenennungen in "Nachtrock", "Downtown" und "Cuba Libre".
1998: Das "Spartakus" mit seinem Darkroom soll Schwule, Transvestiten und Drag-Queens nach Bielefeld locken. Der Zuspruch hält sich in Grenzen. Die Disko schließt nach acht Wochen.
1999: Die neue Betreibergesellschaft CE GmbH mit Friederike von Spiegel verhilft dem "Café Europa" zu neuem Glanz. Bis heute ist das Lokal unter gleicher Leitung.