Bielefeld. Bethel hält sich viel darauf zugute, offen und kritisch mit der eigenen Geschichte umzugehen. Nun erhebt eine Autorin schwere Vorwürfe: Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen weigerten sich, ungeklärten Todesfällen während der NS-Zeit nachzugehen. Bethel dementiert heftig.
Juristin Barbara Degen beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der NS-Geschichte. Ihr eigener Großvater, so erzählt die Bonnerin, sei Opfer des Euthanasieprogramms der Nazizeit geworden. Bethel habe sie kennengelernt als Ort des Widerstands gegen die menschenverachtende Ideologie des unwerten Lebens - immerhin hatte sich der damalige Anstaltsleiter Friedrich v. Bodelschwingh schon früh gegen die Euthanasie ausgesprochen, hatte innerhalb und außerhalb der Kirche versucht, das Morden zu verhindern. Um so erschrockener sei sie gewesen, berichtet Degen, als sie in Archiven auf die hohe Zahl an Sterbeanzeigen vom Kinderkrankenhaus Bethel gestoßen sei: Mehr als 2.000 Kinder seien während der NS-Zeit im Haus "Sonnenschein" gestorben - eine deutlich höhere Sterberate als in der Weimarer Zeit.
Für Degen, damals Gastprofessorin an der Uni Bielefeld, Anlass zu weiterer Recherche, die nun in einem Buch mündete: "Bethel in der NS-Zeit - Die verschwiegene Geschichte" (VAS-Verlag, Bad Homburg). Ausgehend von der hohen Sterberate, trägt Degen Indizien zusammen, die aus ihrer Sicht für eine zumindest indirekte Beteiligung am Euthanasieprogramm sprechen.
Das Stichwort, das sie im Gespräch betont, ist "Hungerpsychiatrie". Schlechte Ernährung in Kombination mit Epilepsiemitteln seien geradezu eine "klassische Todesformel". Degen räumt zwar ein: "Ich weiß nicht hundertprozentig, woran die Kinder gestorben sind." Aber die Fakten reichten aus, um kritische Fragen zu stellen. Vor allem danach, ob in Bethel bewusst oder zumindest fahrlässig getötet wurde - in "vorauseilendem Gehorsam".
Reaktion aus Bethel auf Vorwürfe: "Völlig unhaltbar"
Die Vorwürfe wiegen schwer, und entsprechend heftig reagiert Bethel auf die Veröffentlichung. "Völlig unhaltbar" seien Degens Schlussfolgerungen, nicht historisch belegt, konstruiert und nur "vermeintlich wissenschaftlich", nicht zuletzt auch "rufschädigend". Auf fast 20 Seiten listen die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Punkte auf, an denen sie die Autorin bei Fehlern erwischt haben wollen. Auch die Grundannahme des Buchs, dass im Haus "Sonnenschein" in der NS-Zeit besonders viele Kinder zu Tode gekommen sind, wird bestritten. Denn auch in der Nachkriegszeit sei die Sterberate kaum niedriger gewesen. Und in Kriegsjahren sei die Versorgungslage eben generell schlecht gewesen, die Rationierung habe Pflegeeinrichtungen härter getroffen als die Durchschnittsbevölkerung.
Degen zeigt sich ob der heftigen Reaktion irritiert. "Selbst wenn meine Schlussfolgerungen an den Haaren herbeigezogen wären - ich habe zumindest so viele Fakten zusammengetragen, dass man in Bethel nachdenklich werden und versuchen sollte, der Sache selbst auf den Grund zu gehen."