Bielefeld

Strafe für fleißige Arbeitslose

Klage gescheitert: Einmaliger Nebenverdienst muss doppelt abgezogen werden

22.06.2013 | 22.06.2013, 00:04
Rechtsanwalt Siegfried Kammel und seine arbeitslose Mandatin Maria K. wollen sich nicht damit begnügen, dass Kunden der Arbeitsämter und Jobcenter laut Gesetzeslage ungerecht behandelt werden. - © FOTO: OLIVER KRATO
Rechtsanwalt Siegfried Kammel und seine arbeitslose Mandatin Maria K. wollen sich nicht damit begnügen, dass Kunden der Arbeitsämter und Jobcenter laut Gesetzeslage ungerecht behandelt werden. | © FOTO: OLIVER KRATO

Bielefeld. Es ist ein Fall von Gesetzes-Nonsens, der offensichtlicher kaum sein kann: Die 48-jährige Bielefelderin Maria K. will ihr Arbeitslosengeld durch einen Nebenverdienst aufstocken. Sie verdient einmalig 450 Euro. Weil sie aber just in diesem Monat vom Arbeitslosengeld- (ALG I) in den Hartz-IV-Bezug (ALG II) wechselt, ziehen ihr beide Behörden 280 Euro von den sozialen Zuwendungen ab. Die fleißige Arbeitslose hätte 110 Euro mehr zur Verfügung gehabt, wenn sie zu Hause geblieben wäre.

Die studierte Volkswirtin (der Name ist der Redaktion bekannt) ist wegen einer chronischen Krankheit seit 2008 arbeitslos. Durch Nebenjobs verdiente sie aber etwas dazu. So auch im August 2011, als sie bei einem Weiterbildungsträger für 450 Euro Rechnungswesen lehrte. Um die Sozialkasse in solchen Fällen zu entlasten, zieht die Arbeitsagentur 280 Euro des Nebenverdienstes von K.s monatlichen Bezügen ab.

Dann lief ihr Arbeitslosengeld aus: Maria K. wurde von September 2011 an als Hartz-IV-Empfängerin geführt. Weil das Gehalt der 48-Jährigen für August erst Anfang September auf ihrem Konto eintrifft, sieht sich nun auch das Jobcenter Arbeitplus gezwungen, 280 Euro vom Zuverdienst abzuziehen.

Beide Behörden handeln strikt nach ihren Vorschriften: Die Agentur für Arbeit zieht das Geld im Monat der geleisteten Arbeit ab. Das Jobcenter im Monat, in dem das Gehalt auf dem Konto des Kunden eintrifft. Maria K. wird dadurch zweimal belangt. Sie verliert 560 Euro bei einem Zuverdienst von 450 Euro.

"Mein gesunder Menschenverstand hat mir gesagt: Da liegt ein Fehler vor", sagte sich die Bielefelderin zunächst. Aber ihre Widersprüche werden abgewiesen. K. konsultiert daraufhin einen Sozialrechtsexperten und auch der ist empört. Anwalt Siegfried Kammel nennt den Vorgang eine "Sauerei" und reicht je eine Klage gegen die beiden Behörden ein. "Ein Verdienst darf nicht doppelt angerechnet werden", begründet er. Den ersten Prozess gegen die Arbeitagentur hat K. allerdings bereits im Mai verloren. Begründung: Die Behörde hat nach dem klaren gesetzlichen Wortlaut gehandelt. Mit der gleichen Begründung dürfte auch die zweite Klage gegen das Jobcenter ausfallen, fürchtet Kammel. Prozesskostenhilfe für seine Mandantin wurde bereits abgelehnt. "Für sich genommen hat sich jede Behörde an ihre Vorschriften gehalten", gibt auch der Jurist zu.

Doch im Gerichtsaal sollen sowohl die Vertreterin der Arbeitsagentur als auch das Sozialgericht betont haben, dass diese Gesetzeslage eine "himmelschreiende Ungerechtigkeit" für die Bezieher darstelle. Das Problem der Doppel-Anrechnungen sei bekannt und keine Seltenheit, soll gesagt worden sein. "Den viel bemühten Satz ,Arbeit muss sich wieder lohnen‘ kann meine Mandantin so nur als blanken Zynismus empfinden", sagt er.

Ralph Lauhoff-Baker, Sprecher des Bielefelder Jobcenters, bestätigt: "Die Sozialgesetzbücher sind unterschiedlich konstruiert. In diesem Fall ist das unglücklich geregelt. Das hätten wir auch gerne anders." Bianca Sundermeyer von der Agentur für Arbeit bestätigt: "So etwas kann vorkommen." Beide sind sich einig, dass deshalb selten Beschwerden aufkämen. Beim Arbeitsamt sei bisher nur eine Beschwerde bekannt.

Immerhin: Das Sozialgericht ließ trotz des geringen Streitwertes (unter 750 Euro sind normalerweise nicht berufungsfähig) den Weg in die nächste Instanz zu. Weil die "streitige Frage bisher nicht höchstrichterlich geklärt wurde".

Verwunderlich ist das nicht: Das Kostenrisiko einer Klage sei für Hartz-IV-Empfänger hoch, so Kammel. Auch Maria K. kann sich keinen Berufungsprozess leisten. "Ich bin arm, habe keine Rechtsschutzversicherung." Ein voller Zug durch die Instanzen könne leicht 2.500 Euro kosten, so ihr Anwalt. Er sieht den Gesetzgeber in der Pflicht: "Andere Lücken werden ruckzuck geschlossen, aber hier geht es um eine Gruppe ohne Lobby." Für die 48-Jährige bleibt aus dem zweijährigen Kampf gegen die Gesetzes-Windmühlen ein zentrale Botschaft: "Der Ehrliche ist der Dumme. Ich habe mich an alle Vorschriften gehalten und werde dafür bestraft."