Bielefeld

Die unmögliche Mauer

Niemand will sie, niemand kann sie verhindern: eine Betongeschichte aus Bielefeld

22.05.2013 | 22.05.2013, 10:00
Ines Kochbeck blickt aus dem Fenster ihres Hauses auf die Baustelle nebenan. Die Wand nimmt jetzt einen unübersehbaren Teil des Blickfeldes ein. Der Hausbesitzerin gefällt das logischerweise gar nicht. - © FOTO: ANDREAS ZOBE
Ines Kochbeck blickt aus dem Fenster ihres Hauses auf die Baustelle nebenan. Die Wand nimmt jetzt einen unübersehbaren Teil des Blickfeldes ein. Der Hausbesitzerin gefällt das logischerweise gar nicht. | © FOTO: ANDREAS ZOBE

Bielefeld. "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten." Dieser weltberühmte Satz des DDR-Staats-Chefs Walter Ulbricht, kurz vor dem Mauerbau 1961 in Berlin, ist in die Geschichte eingegangen. Im Stadtteil Dornberg in Bielefeld, genauer an der Kreiensieksheide, hatte auch niemand die Absicht eine Mauer zu errichten. Doch dort steht eine: 8,50 Meter lang, 3 Meter hoch, 23 Zentimeter dick, Material Beton. Das mächtige Bauwerk wirkt bizarr: Es steht extrem nah am Haus Kreiensieksheide 49 und verdeckt dort sogar teilweise Fenster.

Ines Kochbeck wohnt im Haus Nummer 49. Für sie ist klar: "Die Mauer muss weg." Doch das wird wohl nichts. Ihr zukünftiger Nachbar Philip Bovensiepen erklärt: "Die Mauer ist eine Auflage der Feuerwehr, sie ist eine Brandschutzwand."

Bovensiepen hat das Grundstück neben Kochbeck gekauft. Er baut dort ein Haus und ein Carport. Die Genehmigung vom Bauamt hat er nur bekommen mit der Mauerbau-Auflage. "Darüber bin auch ich gar nicht glücklich", sagt Bovensiepen. Die Mauer war außerdem teuer: über 5.000 Euro. Er hätte lieber was weniger großes gebaut; und aus Holz.

Um zu verstehen, was dort in Dornberg passiert, und warum, ist ein Rückblick nötig ins Jahr 1984. Damals gab es schon die beiden unterschiedlichen Flurstücke an der Kreiensieksheide, aber sie waren noch im Besitz einer Familie. Das Haus Nummer 49 wurde zu nah am Nachbarflurstück gebaut, "aber damals hat man sich wohl gedacht, dass sich der Besitzer nicht selbst die Sicht verbauen wird", vermutet Dieter Ellermann vom städtischen Bauamt. Das Haus wurde also genehmigt, obwohl es nur rund 80 Zentimeter von der Grundstücksgrenze entfernt steht. Drei Meter sind sonst Pflicht.

Keinen hat’s interessiert, bis Ines Kochbeck das Haus 2010 kaufte, um wieder nahe bei ihren pflegebedürftigen Eltern zu sein. "Niemals habe ich damit gerechnet, dass das kleine Nachbargrundstück von 275 Quadratmetern Größe jemals bebaut wird", sagt sie. Doch so ist es gekommen. Für Bovensiepen passt es. Er will keinen Großgarten. Mit Nachbarin Kochbeck habe er mehrfach gesprochen, sagt er; ihr auch die Auflage mit der Brandschutzmauer erklärt.

Die hätte nicht hochgezogen werden müssen, wenn Kochbeck Haus und Grund verkauft hätte. Ein neuer Besitzer hätte das alte Haus wohl abgerissen und dort ein neues errichtet, weiter weg von der Grenze. Der Verkauf hat aber nicht geklappt, das Dilemma nahm seinen Lauf.

"Ich habe jetzt eine hundertprozentige Entwertung", klagt Ines Kochbeck. Sie will gegen die Betonwand rechtlich vorgehen. "Ich war schon bei Anwälten." Zu hoch sei sie, zu nah an ihrem Haus. Es stört sie, dass sie kaum noch in ihren Garten kommt. Der einzige Zugang ist zwischen Hauswand und Brandmauer. Er ist 80 Zentimeter breit. Mit Schubkarre oder Rollstuhl der Mutter geht es nicht.

"Ich bin schon von der Grenze mehr abgerückt als ich muss", sagt Nachbar Bovensiepen. Mehr konnte er nicht machen. Dieter Ellermann vom Bauamt sagt, wenn die Mauer nicht höher ist als drei Meter, sei alles rechtens. Kochbeck hat nachgemessen: Es sind 3,20 Meter – von ihrem Grundstück aus. Das Gelände nebenan liegt höher.Von dort sollen es drei Meter sein. "Das wird geklärt", sagt Ellermann. Ein Vermessungsingenieur der Stadt macht das.

Die Sache ist verfahren – zumal laut Bauamt das Fenster im Erdgeschoss von Haus 49 nach Aktenlage nicht genehmigt sei. Ines Kochbeck ist’s egal. "Dann mauere ich es eben zu." Doch die Mauer wird sie so nicht los. Ihr Nachbar kann auch nichts machen. Dass es zum Mauerfall kommt – wie 1989 in Berlin – erscheint derzeit unmöglich.