Bielefeld. Der Streit um das Konzert von "Gangsta"-Rapper Kollegah entwickelt sich zu einer Grundsatz-Debatte in Bielefeld. Ein privater Veranstalter der Rapper-Szene wirft der Stadt Bielefeld "Kulturfaschismus" vor, weil ein weiteres Konzert, das im Falkendom stattfinden sollte, abgesagt wurde. Kollegahs Show wird jetzt vom Kamp ins Stereo verlegt. Von den Streitereien profitiert zumindest einer: Die Karten von Kollegah gehen weg wie warme Semmeln.
"Über 450 Karten sind schon verkauft", sagt Cayan Cankatli, Programmverantwortlicher des Kamp. Das seien schon jetzt, zwei Wochen vor Konzertstart, mehr als doppelt soviel wie erwartet. Damit seien die Kapazitäten des Kamp weit überschritten. "Wir haben gestern mit dem Stereo verhandelt. Kollegah wird dort auftreten", so Cankatli. Grund für die Verlegung sei ausschließlich das rasant ansteigende Interesse und nicht die Diskussion, ob ein Musiker wie Kollegah im Jugendzentrum auftreten sollte. "Aber dieser Umstand spielt jetzt natürlich allen Seiten zu und ist ein netter Nebeneffekt", so Cankatli.
Die Auseinandersetzung hat allerdings eine Grundsatzdiskussion in Bielefelder Kulturkreisen ausgelöst. Ein privater Konzertveranstalter, der versucht hat, die Band "Trailer Park" in den Falkendom zu buchen, wirft der Stadt "Kulturfaschismus" vor. "Konzerte und Veranstaltungen von Rappern und HipHop-Künstlern werden hier kategorisch verhindert", so der Bielefelder. Er sieht vor allem finanzielle Abhängigkeiten zwischen Jugendamt und den Falken, die als Jugendhilfeträger subventioniert werden und den Veranstaltungsort Falkendom und zum Teil das JZ Kamp unterhalten.
"Sie wissen, was sie tun."
Von "Vertrauen in die Kooperationspartner" spricht dagegen der stellvertretende Jugendamtsleiter Michael Wendt. "Die Häuser wissen, was sie tun." Und nicht alles, was dort passiert, müsse dem Geschmack Wendts gefallen. "Aber es gibt Auftritte, die über das tolerierbare und akzeptierbare Maß hinausgehen."Von "Kulturfaschismus" will auch Ulrich Gödde, Geschäftsführer der Falken, nichts wissen. Sie hätten das Konzert aus einem einzigen Grund nicht im Falkendom haben wollen: "Kritische Nachfragen haben uns gezeigt, dass die Texte als bedenklich eingestuft werden."
Hip-Hop-Szene stark unterstützt
Gegen den Vorwurf, die Szene untergraben zu wollen, wehrt er sich vehement: "Wir haben einige Jahre die HipHop-Szene in Bielefeld stark unterstützt", sagt Gödde. Das sei aber nach und nach schwieriger geworden. Anfeindungen zwischen den verschiedenen Interessen innerhalb der Szene hätten zugenommen. "Es gab auch Anschläge auf unser Haus", erinnert sich Gödde.Junge Erwachsene, die seit vielen Jahren die Subkultur Bielefelds verfolgen, sehen in der ganzen Diskussion eine Gefahr für die Meinungs-, Rede- und Kunstfreiheit. Die Stadt ließe sich als Zensur-Institution von linken Gruppen instrumentalisieren, sagt ein Bielefelder. "Die Leute müssen endlich an einem Tisch kommunizieren und nicht über die Zeitung."
Debatte hält an
Die Diskussion über den anstehenden Auftritt des "Zuhälter"-Rappers geht auch auf nw-news.de weiter. Mittlerweile haben mehr als 100 Leser kommentiert und 1.850 abgestimmt: 61,5 Prozent befürworten einen Auftritt Kollegahs in Bielefeld, 27,6 Prozent sind dagegen. Fans sehen in den Texten "Satire", andere nur "Ghetto-Geprotze".Der Medienpädagoge Uwe Sander von der Uni Bielefeld glaubt nicht, dass alle Hörer eine satirische Tendenz auch so verstehen. "Rapper bewegen sich bewusst an der Grenze oder überschreiten diese." Auf nw-news.de analysiert der Pädagoge die ambivalenten Texte Kollegahs.
INFORMATION
Aufklären statt meckern
Die Texte von Deutsch-Rapper Kollegah sind weniger Geschmacks- als viel mehr Haltungssache. Die Frage ist nicht, ob sie tatsächlich satirisch gemeint sind. Die Frage ist eher, wieviele der Kinder und Jugendlichen, die seine Musik hören, nur die bloßen Kraft- und Gewaltausdrücke verstehen.Nichtsdestotrotz leben wir in einem Land mit Meinungsfreiheit. Gerade Musik sollte die beste Plattform für (Anders)denkende sein, ihre Positionen zu verdeutlichen. Kein Jugendamt und keine studentischen Gruppierungen sollten sich anmaßen, sich zu Zensoren aufzuspielen.
Bielefeld ist bislang bekannt für sein vielfältiges und vielschichtiges kulturelles Angebot. Für vielschichtige Meinungen, die in Form von Kunst, Literatur und Musik zum Ausdruck kommen. Diskussionen um Inhalte sind gewünscht und sollten offenen geführt werden – Meinungen leben und wachsen damit.
Kollegah sollte in Bielefeld auftreten – die Kraft für sinnlose Diskussionen sollte allerdings viel sinnvoller investiert werden. In mediale und jugendgerechte Aufklärungsarbeit zum Beispiel, damit die Fans von Kollegah seine Texte nicht wörtlich nehmen. Damit sie wissen, dass Rap nicht gleich Rap ist. Damit sie keine tabulosen Worte aus Kollegahs Wortschatz in ihren eigenen übernehmen.
Das wäre sinnvolle Jugendarbeit, die direkt am Thema ansetzt. Um es mit Kollegahs Worten zu sagen: "Sach den Leuten ma was hier los is."
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