Ein Bier für zehn Pfennig

Drei Beispiele: Erbsenkrug, Vahle und Schinkenkrug gibt es seit mehr als 140 Jahren

Erbsenkrug-Inhaber Herbert Groß unterhält sich mit Stadtarchivarin Bärbel Sunderbrink über die Historie des Fachwerkhauses an der Johannisstraße in Schildesche. Ein Holzschuhmacher schenkte dort 1857 zuerst Bier und Schnaps aus. | © FOTO: SARAH JONEK

30.05.2009 | 30.05.2009, 00:00

Bielefeld. Ein erfrischendes Glas Bier, ein köstliches Stück Kuchen, ein deftiger Teller Kartoffelsalat. Schon in den 1850er-Jahren wussten die Bielefelder, was gut schmeckt - und dass alles noch besser schmeckt, wenn es serviert wird. Die ersten Wirte öffneten ihre Lokale. Der Erbsenkrug in Schildesche, Vahle an der Werther Straße und der Schinkenkrug in Ubbedissen sind nur drei Beispiele - es gibt einige uralte Gaststätten im Stadtgebiet.

Die Geschichte der Bielefelder Gastronomie sei leider noch nicht richtig erforscht, sagt Stadtarchivarin Bärbel Sunderbrink. Man könne nicht sagen, welches Restaurant das älteste im heutigen Stadtgebiet sei. Die Historikerin hat sich schon vor fünf Jahren auf die Spuren der Ausflugslokale in und um Bielefeld begeben. Dabei entstand das Buch "...und sonntags in die Sommerfrische".

Auch Thomas Keitel, Hauptgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) OWL, kennt viele sehr alte Gasthäuser. Aber auch er könne nicht das älteste Lokal in Bielefeld bestimmen. Das Wirtshaus "Zur Linde" in Isselhorst wäre mit seinen 332 Jahren ein Kandidat. Doch es liegt im alten Landkreis Bielefeld und gehört heute zum Kreis Gütersloh.

"Es gab eine städtische und eine ländliche Entwicklung", sagt Sunderbrink. Auf dem Land gab es direkt an der Kirche einen Krug. Dort kehrten die Gläubigen sonntags nach dem Gottesdienst ein. Die Wirte hatten das Privileg, Bier zu brauen. Die Bürger kamen mit ihren Krügen und holten sich Bier für Zuhause. "Leichenbier gab es nach einem Begräbnis", sagt Sunderbrink.

1866 hat der Bäcker August Vahle aus Hörste die Restauration Westend am Wertherweg gegründet. Heute ist der Name "Vahle", der Weg nun die Werther Straße und Michael Neumann seit neun Jahren mit seiner Frau Elisabeth der Betreiber. "Noch vor 35 Jahren haben Vahles Nachkommen das Restaurant geführt", sagt Neumann.

Beim Eintritt ins Lokal fühlt man sich in alte Zeiten versetzt. Kaiser Wilhelm II. blickt mit Pickelhaube von der Wand herab. Alte Kronleuchter, kakifarbene Tapeten und farbige Glasfenster zeugen von vergangenen Zeiten. "Alles muss so bleiben wie es ist. Wenn wir hier etwas verändern würden, hätten wir keine Gäste mehr", sagt Neumann. Wer zu Vahle geht, liebt eben genau diesen alten Charme.

"Früher haben die Leute fünf bis zehn mal mehr Bier getrunken", sagt Gastrokenner Keitel. Da habe das mit 0,25 Litern gefüllte Bierglas aber auch nur zehn Reichspfennige gekostet. Für Historiker sei interessant zu sehen, welche Menschen welche Lokale besuchten, sagt Bärbel Sunderbrink. "Das Bielefelder Bürgertum ging auf den Schützenberg, die Arbeiter ins Rütli", so die Buchautorin. Üblich sei es gewesen, dass die Betriebe anfangs eine Bäckerei oder ein Lebensmittelgeschäft waren, dann kam eine Kneipe dazu, später sogar manchmal zusätzlich mit einer Zapfsäule vor der Tür. Wie bei Vahle. Dort wurde erst Brot verkauft, dann kam der Bierausschank dazu, vor 40 Jahren war ein Teil des Restaurants sogar noch als Kolonialwarengeschäft abgetrennt.

Der Schinkenkrug in Ubbedissen war früher einmal ein landwirtschaftlicher Betrieb und ist seit jeher in den Händen der Familie Deppe. "Seit 1980 schlachten wir nicht mehr selbst", sagt Ute Deppe. Aber mit ihrem Sohn Simon (34) legt die 64-Jährige heute noch eigenen Schinken ein und macht selbst Mettwürste. 1869 gründete Simon Deppe den Gasthof. Weil es keine Gästezimmer gab, benannte Rudolf Deppe († 2008) das Lokal in Schinkenkrug um, als er es 1964 in vierter Generation übernahm.

Auf ein ganz stolzes Gründungsdatum bringt es der Erbsenkrug in Schildesche. Seit 1857 wird in dem Fachwerkhaus an der Johannisstraße 11, wo einst Pfarrwitwen ihren Lebensabend begingen, Bier und Schnaps ausgeschenkt. Nach eifrigen Bemühungen bekam der Holzschuhmacher Johann-Dietrich Flachmann 1857 in dem Haus, wo er Lebensmittel - vor allem leckere Erbsen - verkaufte, eine Konzession zur Betreibung einer Gastwirtschaft. Im Mai 2007 feierte Inhaber Herbert Groß das 150-jährige Jubiläum. Mit seinen heute 152 Jahren ist der Erbsenkrug ganz sicher eine der ältesten Gaststätten in Bielefeld.