SEK stürmte falsche Bielefelder Wohnung: Verfahren trotz Polizei-Irrtums eingestellt

Bielefeld. Die Ermittlungen gegen mehrere wegen einer schweren Gewalttat tatverdächtige Mitglieder der Hells Angels laufen auf Hochtouren. Viel Zeit bleibt den Mitgliedern des Kriminalkommissariates für Organisierte Kriminalität nicht. Am 26. Juli 2023 kommt es endlich zu dem Zugriff. Mehrere Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Polizei aus Bielefeld und Münster stürmen am frühen Morgen fünf Wohnungen gleichzeitig. Doch in einem Fall machen die Verantwortlichen einen folgenreichen Fehler. Ein Team stürmt die falsche Wohnung und verletzt bei der Festnahme einen unschuldigen Neurowissenschaftler. Vor allem die psychischen Folgen des Eingriffs in ihre Privatsphäre beschäftigen Hadis Imani und Amir Jahanian-Najafabadi bis heute. Lange Zeit waren beide arbeitsunfähig. Eine Rückkehr in die vom SEK gestürmte Wohnung war für sie nicht mehr möglich. Professionelle Hilfe benötigen sie bis heute. Nun wurde das Verfahren unter anderem &bdquo;wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Amt“ gegen die SEK-Beamten eingestellt. Philipp Kalbertodt, Sprecher der Staatsanwaltschaft, bestätigt: &bdquo;Das von Amts wegen eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde am 28. Juli mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.“ Aus Neutralitätsgründen hatte die Kripo in Dortmund die Ermittlungen übernommen. Der Bielefelder Neurowissenschaftler Amir Jahanian, der mehrfach geschildert hatte, dass er von den SEK-Beamten noch geschlagen und traktiert wurde, nachdem sie ihn bereits am Boden fixiert hatten, reagiert schockiert auf die abschließende Prüfung der Anklagebehörde. Er kündigte rechtliche Schritte gegen die Entscheidung an. Bielefelder Polizei kennt Dachwohnung des Rockers nicht Doch wie konnte es überhaupt zu dem Irrtum der Polizei kommen? Die Ermittlungen der Dortmunder Kripo ergaben, dass sich zwar an der Haustür mehrere mit Namen beschriftete Klingeln befanden, so Kalbertodt, nicht aber an den jeweiligen Wohnungstüren innerhalb des Gebäudes. Aufklärer der Kripo hatten vor der Stürmung herausgefunden, dass der gesuchte Rocker in einer Wohnung im 2. Obergeschoss lebe. &bdquo;Tatsächlich befand sich die Wohnung der Zielperson jedoch auf einem – den Beamten nicht bekannten – ausgebauten Spitzboden im Dachgeschoss des Hauses“, erklärt der Behördensprecher. Zum Thema: Blutüberströmt: SEK stürmt falsche Wohnung und verletzt Bielefelder Uni-Dozenten &bdquo;Konsequenterweise“ stürmten die SEK-Beamten aufgrund der Vorermittlungen die Wohnung im 2. Obergeschoss, &bdquo;in der irrtümlichen Annahme, es handle sich um die Wohnung der Zielperson“, so Kalbertodt. Erst nachdem die Wohnung durch die eingesetzten Beamten gesichert worden war, sollen diese festgestellt haben, dass es sich nicht um das eigentliche Zielobjekt handelte. Polizei verpasst Unschuldigem vier Faustschläge und fesselt ihn Und was sagt die Ermittlungsbehörde zu der Gewaltanwendung gegen den unschuldigen Wohnungseigentümer? Sie bestreitet sie nicht. Philipp Kalbertodt spricht von einer &bdquo;Anwendung unmittelbaren Zwangs“. Nach dem Ermittlungsergebnis hätten zwei SEK-Beamte dem Betroffenen zwei Faustschläge gegen dessen Kopf und zwei Faustschläge gegen dessen Oberkörper verpasst und ihn anschließend gefesselt. Zur Erklärung: Für die Beamten war angesichts des Rocker-Hintergrundes nicht auszuschließen, dass die vermeintliche Zielperson gegebenenfalls bewaffnet war. Rocker-Razzia: SEK stürmt falsche Wohnung und verletzt unschuldigen Bielefelder Doch Amir Jahanian betont, dass er auch noch traktiert wurde, nachdem er bewegungsunfähig war. Das wäre dann unverhältnismäßige Gewalt durch die Polizei. Außerdem soll einer der Beamten seinen Knöchel so stark verdreht haben, dass er monatelang nicht richtig gehen konnte. Die Ermittler konnten die Angaben Jahanians nicht mit Sicherheit beweisen. Die Schilderungen der eingesetzten Polizisten wichen von denen des 37-jährigen Wissenschaftlers deutlich ab. Laut Kalbertodt sprachen die Beamten sogar von Widerstandshandlungen. Die Frage nach Schlägen, nach der Fixierung des Bewohners hätten sie ausdrücklich verneint. Hartes Durchgreifen als Eigenschutz der SEK-Beamten Bei einer solchen &bdquo;Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation gelte im Strafverfahren, wenn es darüber hinaus an objektiven Beweismitteln mangele, der Grundsatz &bdquo;in dubio pro reo“ (also: &bdquo;im Zweifel für den Angeklagten“), erklärt Kalbertodt. Deshalb sei ein &bdquo;hinreichender Tatverdacht wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Körperverletzung im Amt“ gegen die Beamten zu verneinen gewesen. Eine rechtswidrige Handlung oder unverhältnismäßige Vorgehensweise sei nach hiesiger Bewertung nicht erkennbar gewesen, da eine Gefährdung der SEK-Beamten angesichts des Gewaltpotenzials im Rocker-Milieu durchaus bestand. Kurz gesagt: Durch entsprechendes Durchgreifen sollte jegliche Eigengefährdung ausgeschlossen werden. Auch mit der Möglichkeit einer fahrlässigen Körperverletzung im Amt haben sich die Ermittler beschäftigt. Weil die eingesetzten Beamten angesichts der Vorermittlungen aber nicht davon ausgehen mussten, dass sich tatsächlich noch eine weitere Wohnung auf dem Spitzboden des Dachgeschosses befindet, und die Bestimmung der vermeintlichen Zielwohnung nachvollziehbar erschien, kam die Behörde zu dem Schluss, dass auch keine Pflichtwidrigkeit zu erkennen war. &bdquo;Ein Albtraum, von dem wir uns bis heute nicht erholt haben“ Amir Jahanian ist nicht nur über die Widerstandsschilderungen der Beamten entsetzt. Er und seine Frau wollen den Vorgang nun von ihrem Anwalt prüfen lassen. Der 37-Jährige spricht von einer nicht sorgfältig geplanten Mission als Ursache für einen &bdquo;Albtraum, von dem wir uns bis heute nicht erholt haben“. So sei vor dem Zugriff weder der Vermieter befragt worden, noch andere Erkundigungen zu den Mietern eingeholt worden. Seine Frau und er seien &bdquo;ohne eigenes Verschulden“ in diese Situation gekommen. Ohne eigenes Verschulden hätten sie größere Gesundheitsschäden erlitten und es wären entsprechend hohe Kosten entstanden. Für die Strafverfolgungsbehörde ist der Fall nun aber abgeschlossen. Lesen Sie dazu: SEK stürmt 17 falsche Wohnungen – auch in Bielefeld

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