Nach 63 Jahren: Schuster am Bielefelder Jahnplatz schließt - Nachmieter steht fest

Bielefeld. Diese feine Staubwolke aus Schleifpartikeln von Schuhen und Sohlen, überlagert von einem ganz speziellen leicht brenzligen Geruch werden sie vermissen. Ebenso die jedes Gespräch übertönenden lautstarken Maschinen. Noch viel mehr allerdings werden den Kunden die zwei Menschen hinterm Tresen fehlen, Myriam und Wolfgang Lubritz, die guten Seelen der Schuh-Bar. Das Ehepaar schließt am 30. November seine Werkstatt am Oberntorwall. Damit ist Bielefeld um eine Institution ärmer. &bdquo;Express-Schuhbar – Immer eine gute Adresse seit 1961“ heißt es im Schaufenster. Eine gute Adresse war diese außergewöhnliche Reparaturwerkstatt tatsächlich. Wer den Laden betrat, kam häufig nicht nur, um Pumps, Loafer, Taschen oder Gürtel reparieren zu lassen. Ein Großteil der Kundschaft brachte auch Zeit mit. Man kennt sich hier und hält gern ein Schwätzchen – übers Wetter, die nachlassende Qualität allgemein und die der Laufwerkzeuge im Besonderen. Dass dies vorbei sein soll - auch ein Jahr nach der Ankündigung noch immer unvorstellbar. Kunden bringen Geschenke und extra viele Schuhe Überwältigt sind Myriam und Wolfgang Lubritz von den Reaktionen ihrer Kundschaft. &bdquo;Seit bekannt wurde, dass wir gehen, kamen die Menschen mit Geschenken und Dankschreiben zu uns“, erzählt die Chefin. Eine Künstlerin habe sogar ein Bild für beide gemalt. Zudem gab es bergeweise Arbeit. Reparaturbedürftige Schuhe, in Taschen und Koffern herbeigeschleppt oder von Chauffeuren herangefahren. Vom Keller über die Treppe bis in die Werkstatt verteilten sich die Treter, teure Luxusmodelle und auch solche, für die sich kein Handgriff mehr lohnt. Pünktlicher Feierabend, freie Wochenenden? Konnten der Schuhmacher und seine Frau ein Jahr lang vergessen. Eine Unterbrechung ihres Arbeitstags war auch früher nie vorgesehen. &bdquo;In der Mittagspause kommen viele, um ihre Reparaturen zu bringen“, sagt Myriam Lubritz. Gegessen haben sie und ihr Mann zwischen Tresen und Maschinen eher im Vorbeilaufen - Snacks von zu Hause, dazu ein Schluck aus der Wasserflasche. Seit 63 Jahren eine Institution am Bielefelder Jahnplatz 63 Jahre existiert der Betrieb. Gegründet hat ihn damals der Vater von Myriam Lubritz, Friedrich-Wilhelm Meyer, einige Hundert Meter weiter im heutigen Krispy-Kebab an der Ecke Notpfortenstraße. Mit Fertigstellung der Passage im Gebäudekomplex Oberntorwall 23 c zog der Schuhmacher 1963 an den aktuellen Standort. Seine Tochter und Ehemann Wolfgang Lubritz folgten 1983, nachdem sie ihre Werkstatt in der Citypassage aufgegeben hatten. Mehr als 40 Jahre sind seitdem vergangen, vieles hat sich verändert, vor allem das, was sich die Kundschaft über die Füße streift. Sneaker statt Stöckelschuhe, derbe Boots statt Ballerinas und statt edler Budapester eher robuste Latschen à la Birkenstock. Der Zeitgeist habe sich verändert, viele Modelle seien weniger reparaturanfällig, beobachten beide: &bdquo;Es wird bevorzugt Billigware gekauft. Da lohnt sich die Reparatur oft nicht mehr.“ Lesen Sie auch: Ein Leben ohne Schuhe: Darum läuft ein Bielefelder seit 12 Jahren barfuß Jahnplatz-Umbau war Katastrophe fürs Geschäft Viel heftiger als der Wechsel der Schuhmode traf die beiden die Corona-Pandemie. &bdquo;Das hat uns zugesetzt“, erinnert sich Wolfgang Lubritz. &bdquo;Wochenlang waren wir nicht erreichbar für unsere Kundschaft.“ Ebenso schmerzhaft getroffen habe sie die zwei Jahre dauernde Jahnplatz-Umgestaltung. &bdquo;Eine Katastrophe.“ Nun soll es auch gut sein nach so vielen Jahren. Die Maschinen werden für immer stillstehen. Nachfolger sind nicht in Sicht. &bdquo;Wer Schuhmacher werden will, muss nach Lübeck zur Berufsschule“, so Lubitz und fragt: &bdquo;Wer nimmt das denn wohl auf sich?“ Eine reguläre Ausbildung werde in Nordrhein-Westfalen schon lange nicht mehr angeboten. Deswegen wundert er sich auch nicht darüber, dass niemand die Ausstattung seiner Werkstatt übernehmen will. Lesen Sie auch: Hier läuft’s: Das Erfolgsgeheimnis einer kleinen Bielefelder Einkaufspassage Uhrmacher geht in Räume der Express-Schuhbar Stattdessen steht der Nachmieter fest. Ein alter Bekannter, fast schon ein Bielefelder Original, freut sich auf den neuen Standort. Ali Kojie, besser bekannt als Uhrmacher Ali, tritt aus der zweiten Reihe hervor in die erste. 2023 hatte der beliebte Tüftler und Helfer in manch verzwickter Lage (wenn Handy, Laptop oder die Uhr streiken) das Jahnplatz-Forum verlassen müssen. Eine neue Bleibe fand er in der Passage gleich hinter der Schuh-Bar. Und wie geht es weiter bei Myriam und Wolfgang Lubritz? &bdquo;Erst einmal ausruhen“, sind sich beide einig. &bdquo;Mal gucken, was kommt, vielleicht verreisen.“ Der Zukunft sehen sie entspannt entgegen, im Herzen viele Erinnerungen und ganz tiefe Dankbarkeit - auch für die zahlreichen treuen Kunden. &bdquo;Dass wir in all den Jahren gesund geblieben sind, darüber freue ich mich am meisten“, sagt die Ehefrau. Zum Thema: Außergewöhnlicher Bielefelder Betrieb gibt nach fast 100 Jahren auf

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