Lärm, Bedrohung, Angst: Nachbarn in Bielefeld können nicht mehr schlafen

Bielefeld. Die Brackweder Hauptstraße hat es derzeit sehr schwer. Die große Baustelle und die fehlende Stadtbahnanbindung sorgen auch für eine fehlende soziale Kontrolle. Dealer haben mit ihren illegalen Drogengeschäften (oft ist Kokain gefragt) seitdem leichteres Spiel in Brackwede, sie agieren teilweise ungeniert und offen. Überhaupt hat sich das Leben vieler junger Männer hierher verlagert, insbesondere zu später Stunde. Das teilweise rücksichtslose, weil lautstarke Freizeit- und Partyverhalten bestimmter Gruppen rechts und links der Baustelle hält seitdem die Anwohner im wahrsten Sinne des Wortes wach. Das berichtet Anwohnerin Svenja Schmidt (Name geändert), die im nördlichen Teil der Straße lebt. Schon im Sommer 2023 hatte sie mit anderen Betroffenen versucht, sich gegen laute Musik und jaulende Motoren (als die Straße noch offen war), stundenlange Diskussionen und späte Zusammenkünfte auf der Straße zu wehren. Im Juli kam es wegen einer Prügelei sogar zu einem größeren Polizeieinsatz. &bdquo;Die sind sich damals untereinander an den Kragen gegangen. Das ging oft bis um vier Uhr früh.“ Beschwerden der Bielefelder fruchten nicht Doch die Hoffnungen der Anwohner, dass die Behörden Abhilfe schaffen könnten, erfüllte sich nicht. Das alarmierte Ordnungsamt konnte bei mehreren Kontrollen (acht im Jahr 2023) keine Ruhestörungen feststellen. Die Polizei wurde zwar zu zwei Ruhestörungen gerufen, bei denen Beamte auch eingegriffen haben, eine überdurchschnittliche Problematik sei aber nicht festzustellen gewesen, hieß es in einer Stellungnahme der Stadt. Lesen Sie auch: Deutlicher Anstieg der Kriminalität in Bielefeld Das erfuhren die Anwohnerin und zahlreiche andere lärmgeplagte Nachbarn in der Bezirksvertretung, wo das Problem durch eine CDU-Anfrage immerhin auch politisch thematisiert worden war. Über den Winter beruhigte sich das Geschehen. Doch im Sommer 2024 wurde es wieder laut. Die Anwohner stellten fest, dass insbesondere eine Kneipe, eine Hinterhof-Teestube und ein Kulturverein in unmittelbarer Nähe zueinander zum beliebten Anziehungspunkt geworden waren &bdquo;Wann es hier laut wird, ist nicht vorhersehbar.“ Brackwede habe sich rund um die Hauptstraße stark verändert, sagt Schmidt: &bdquo;Nicht nur oben an der Kirche, auch bei uns – weiter unten Richtung Bahnhof Brackwede.“ Sie bezeichnet ihre Wohngegend inzwischen sogar als &bdquo;Problemviertel“. Aggressionen, Drohungen, Angst Denn zunehmend sahen sich die Anwohner mit aggressiven Reaktionen konfrontiert. Formulierungen wie &bdquo;Halt die Fresse“ seien noch die mindeste Reaktion auf das Bitten der Anwohner um mehr Ruhe gewesen. Ein Mann soll sogar gedroht haben: &bdquo;Wenn ihr euch weiter beschwert, dann wird was passieren.“ Schmidts Ehemann soll bei einer Auseinandersetzung in seinem Vorgarten sogar in eine Rangelei geraten sein. Ein Mann habe ihn geschubst, sagt die Brackwederin. Die Nerven der Anwohner liegen blank. Inzwischen kommt auch Angst dazu. Die Bielefelderin betont: &bdquo;Polizei und Ordnungsamt nehmen uns immer ernst und versuchen zu helfen.“ Doch wenn die Fahrzeuge von Stadt oder Polizei vorfahren, seien oft bereits Stunden vergangen. &bdquo;Kein Wunder, dass sie die Lärmbelästigung dann nicht mehr feststellen können.“ Stadt Bielefeld weist auf Lärmvorschrift hin Zweimal allerdings, das berichtet das Ordnungsamt auf Anfrage, sei bei Kontrollen in diesem Jahr deutlicher Lärm festzustellen gewesen – durch Musik, die durch die geöffneten Fenster der Gaststätte drang, sowie durch Kneipengäste vor der Gaststätte. &bdquo;Es folgten mündliche Verwarnungen. Der Betreiber der Gaststätte wurde außerdem schriftlich auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und der Auflagen aus der Gaststättenerlaubnis hingewiesen. Seitdem liegen hier keine neuen Beschwerden vor“, berichtet Stadtsprecherin Carla Winkenjohann. Lesen Sie auch: Bielefelder Bar an der Lutter stillgelegt Das erkennt auch Svenja Schmidt: &bdquo;Es gab zwar noch einen Polizeieinsatz inzwischen. Aber den Etablissements dürfte sicherlich bewusst geworden sein, dass sie nun im Fokus der Behörden stehen.“ Tatsächlich wurde das Areal in den täglichen Streifenplan des Ordnungsamtes aufgenommen. &bdquo;Entsprechend erklärt sich, dass es im Augenblick etwas gemäßigter zugeht“, sagt die Brackwederin und hofft auf einen längeren Effekt. Vorher schien es eher so, als sei den Ansprechpartnern der Schlaf der Nachbarn schlichtweg egal. Doch wann beginnt eine Ruhestörung? Doch wie konkret lässt sich eine nächtliche Ruhestörung eigentlich feststellen? Die Stadt bleibt diplomatisch: &bdquo;Denn der Begriff ist kein Rechtsbegriff. Was die einen als Ruhestörung empfinden, ist für die anderen Ausdruck eines urbanen Lebens und erwünscht. Hinzu kommen noch unterschiedliche Lebensrhythmen.“ Die einen wollten ab 22 Uhr Ruhe, für die anderen fange das Leben um die Uhrzeit erst an. Ordnungsrechtlich lautet das dann so: &bdquo;Allgemein wird unter Ruhestörung die belästigende Immission von Schall verstanden.“ Ob eine Belästigung der Anwohner vorliegt, sei also immer eine Einzelfallabwägung, abhängig vom Ort, von der Dauer und Intensität sowie der Uhrzeit. Svenja Schmidt hofft sehr, dass diese Abwägung nicht mal so und mal so ausfalle. Für sie und die knapp 20 lärmgeplagten Anwohner des &bdquo;Problemviertels“ haben der nächtliche Stress und die anhaltenden Aggressionen in ihrem eigenen Wohngebiet ernste Folgen: &bdquo;Wir haben Angst, viele leiden deshalb leise und beschweren sich nicht mehr – oder sie suchen irgendwann das Weite.“ Und dann folgt ein Satz über die Sorgen der Anwohnerin, der drastisch klingt: &bdquo;Ich befürchte, dass wir irgendwann mal ein Messer im Rücken haben.“ Lesen Sia dazu: Bielefelder Experten geben Tipps: Wie man sich gegen Ruhestörung wehrt

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