Hausbesetzer, Widerständler, Entertainer: Schillernde Bielefelder Persönlichkeit wird 70

Am Morgen nach seiner großen Geburtstagsfeier anlässlich seines 70. Geburtstages steht Christian Presch schon wieder im Mittelpunkt, dieses Mal mit seiner Bassgitarre um den Hals. Gemeinsam mit seinem alten Freund Klaus der Geiger und dem Gitarristen Hans Wild gibt das Maximum-Terzett ein spontanes Konzert auf dem Siegfriedplatz. Die drei haben Spaß beim Spielen, und er überträgt sich schnell auf das kleine Publikum vor der Supertram. Straßenmusik in seiner reinsten Form. Spaß scheint auf den ersten Blick auch das Lebenselixier des stadtbekannten Auktionators Christian Presch zu sein. Nicht nur mit dem Terzett, auch als Johannes Bethel bei der ältesten Boygroup Bielefelds, &bdquo;Se Bethels“, gemeinsam mit Paul, Schorsch und Ringo Bethel. Das Quartett komponierte nach eigenen Angaben Welthits am Fließband in den letzten 30 Jahren, so zum Beispiel &bdquo;Nack’-nack’-nackig vor Hedwigs Tür“. Presch: &bdquo;Wir machten Bethel zum Nabel der Welt“ &bdquo;Wir machten Bethel zum Nabel der Welt“, sagt Presch. &bdquo;Dem schlechtesten Gitarristen wurde immer die Bassgitarre umgehängt“, erinnert er sich an seine Anfänge bei den &bdquo;Fab Four“ aus Bethel, das war 2012. Eine Fügung des Schicksals. Bis heute genießt er ruhige Momente daheim mit seinem Kontrabass. 30 Jahre &bdquo;Se Bethels“ und 25 Jahre Weihnachtsgeschenke-Versteigerung mit Auktionator Christian Presch. Auch hier spielt der Spaß eine gewichtige Rolle. Im Minutentakt fällt bei dieser jährlichen Veranstaltung sein Auktionshammer, bei der er Präsente an den Mann und die Frau bringt, die keiner haben wollte unterm Tannenbaum. Auf seine witzig-launische Art gibt er den Entertainer: &bdquo;Alles geile Sonderposten hier!“ Die Erlöse dieser fröhlichen und sehr beliebten Auktionen werden immer einem guten Zweck zugeführt. Da kommen schon mal vierstellige Beträge zusammen. Aus dem Schwarzwald über Köln nach Bielefeld Christian Presch war und ist aber nicht nur lustig – im Gegenteil. Der aus dem Schwarzwald stammende Presch kam 1975 über Köln, wo er Klaus den Geiger kennenlernte und mit ihm in einer WG lebte, nach Bielefeld, um dort gemeinsam mit anderen, die Bielefelder Selbsthilfe, BIS, aufzubauen. Lesen Sie auch: Versteigerung von Grusel-Geschenken bringt 1.800 Euro für den guten Zweck Die BIS verstand sich als Organisation für von der Gesellschaft ausgegrenzte Menschen. Ihren Lebensunterhalt verdiente die Gruppe mit Gebrauchtmöbeln, Haushaltsauflösungen, Entrümpelungen und Kohlenverkauf. Die Gruppe fand ihre ersten Wohnungen im Kamphof-Viertel und in der Teichstraße und war so mitten in der Stadtsanierung und dem Bau des Ostwestfalendamms gelandet. &bdquo;Obwohl alle damals sagten, da kann man nichts mehr ändern, besetzte die BIS 1977 ein Haus in der Siechenmarschstraße. Gemeinsam mit der Initiative gegen Stadtzerstörung folgte zwei Jahre später dort eine weitere Besetzung. Die Räumung sorgte, wie er rückblickend nicht ohne Schmunzeln erwähnt, für den ersten SEK-Einsatz Bielefelds. Die Arbeit der BIS und der Initiative trugen mit dazu bei, dass die Bunte Liste 1979 in den Rat einzog. Überraschende Wende im Streit um besetztes Haus &bdquo;Als die nach der Wahl in den Ratssaal einzogen, ist den Abgeordneten die Farbe aus dem Gesicht gefallen“ – sagt er wieder mit einem Schmunzeln. Die jahrelange Auseinandersetzung um das besetzte Haus in der Siechenmarschstaße nahm dann eine überraschende Wende. Bei einer Demonstration am Spielhaus in der Teichstraße traf die BIS auf den damaligen Landesminister für Stadtentwicklung, Christoph Zöpel, der dann bereit war, das Haus zu besichtigen und in dem Konflikt zu vermitteln. Kurze Zeit später, so erinnert sich Presch, richtete der Minister eine Forderung an die Stadt: &bdquo;Einigen Sie sich mit der BIS, sonst fördern wir den Bau der Stadthalle nicht.“ Das Haus konnte dann die BIS renovieren und später erwerben. &bdquo;Mein loses Mundwerk hat mir schon in der Schule weitergeholfen“ In Köln arbeitete Presch als Erziehungshelfer. In dieser Zeit erkannte er auch: &bdquo;Sozialarbeit ist mein Ding!“ Jahre später schrieb er sich an der FH ein, Studiengang Sozialarbeit. &bdquo;Das Studium fiel mir relativ leicht, mein loses Mundwerk hat mir da, wie auch in meiner Schulzeit, immer weitergeholfen. Lediglich in Psychologie habe er sich sogar auf den Hosenboden gesetzt und gelernt. Thema: &bdquo;Die Epidemiologie psychischer Erkrankungen“. Seine Diplomarbeit schrieb er über &bdquo;Die Hintergründe einer Stadtsanierung“ und schloss mit der Gesamtnote &bdquo;Sehr gut“ ab. 1980 lernte er seine spätere Frau kennen, ihre gemeinsame Tochter wurde 1983 geboren und 1996 heiratete das Paar. Ende der 1990er Jahre gründete die BIS die &bdquo;Bring’s & Kauf AG“, Deutschlands erste von einer Arbeitsloseninitiative betriebene Aktiengesellschaft mit Presch als Vorstandvorsitzenden und eröffnete das Gebraucht- und Sonderpostenkaufhaus &bdquo;Bring’s und Kauf“. Über 20 Langzeitarbeitslose fanden dort für acht Jahre eine sozialversicherte Beschäftigung. Presch lieferte immer &bdquo;Impulse für die Stadtgesellschaft“. Ob das Parkhaus an der Jöllenbecker Straße (&bdquo;Das war anfangs ein Schwarzbau“) oder das Kamphof-Viertel – Presch lieferte immer &bdquo;Impulse für die Stadtgesellschaft“, wie er sagt. So hatte er ein Auge auf die Entwicklung der Wilhelmstraße, und vor allem mischt er aktiv mit bei den Planungen der Catherick- und Rochdale-Kasernen sowie des einst von Briten bewohnten Musikerviertels mit. Die von ihm mitgegründete &bdquo;Bielefelder Initiative für sozial-ökologische Stadtentwicklung“ BISS saß bis letztes Jahr am &bdquo;Runden Tisch Konversion“ (ins Leben gerufen 2015) und setzte sich dort dafür ein, die &bdquo;freigewordenen“ Areale nicht an Investoren zu verhökern. Mehr bürgerliche Teilhabe wollte die BISS, aber am Tisch erkannte Presch am Ende nur noch &bdquo;aggressives Desinteresse“. &bdquo;Wir reiten das tote Pferd nicht mehr“, sagte die BISS seinerzeit genervt und verließ den Runden Tisch. Lesen Sie auch: Initiative will Verkauf von Briten-Villen stoppen Presch wird aber auch in Zukunft seinen Blick auf die Entwicklung dieser &bdquo;Filetstücke“ richten. Ein Grund, warum er sich gegen eine politische Karriere entschied, das sei ihm alles zu &bdquo;zäh“. Er bleibt lieber der &bdquo;Stachel im Fleisch“, wie er sagt. &bdquo;Se Bethels“ spielen demnächst bei der &bdquo;RadKulTour“ in Eckhardtsheim. Christian Presch ist seit 2015 städtischer Sozialarbeiter im Ordnungsbehördlichen Dienst des Gesundheitsamtes (er muss auf Abruf entscheiden, ob jemand in einer psychischen Krise gegen seinen Willen untersucht oder behandelt werden muss). Er sieht sich nicht als Politiker, und er sieht sich auch nicht als Musiker, eher als Musikant. Und als Musikant ist er mit seinen &bdquo;Se Bethels“ zu sehen und zu hören am Sonntag, 1. September, bei der &bdquo;RadKulTour“, genauer am &bdquo;Kulturspot Eckardtsheim“.

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