Bielefeld im EM-Fieber: „Wir sind Müller, aber auch Tah und Gündogan“

Bielefeld. Der Ostwestfale an sich braucht ja bekanntlich immer etwas länger, die Dinge an sich heranzulassen. So hat auch die Fußball-EM etwas gebraucht, um wirklich in Bielefeld anzukommen - das dann aber geballt. Nur wenige Minuten nach Abpfiff der Partie Türkei gegen Georgien im fernen Dortmunder Westfalenstadion erklangen auch im Osten Westfalens Hupkonzerte und Hunderte Fans der siegreichen türkischen Auswahl machten sich auf den Weg in die Bielefelder Innenstadt. Mit Fahnen und Trikots ging es trotz Regenwetter auf den Jahnplatz. Dort sorgten sie singend und feiernd für Stillstand des Verkehrs. &bdquo;Und jetzt skandieren die Fans wieder: Türkiye, Türkiye. Was so viel heißt wie Türkei, Türkei“, hätte &bdquo;Mister Sportschau“ Heribert Faßbender sicher ob der grenzenlosen Freude allerseits liebevoll kommentiert. Nur einen Tag später brauchte der Ostwestfale sehr viel länger, um das Potenzial seiner Begeisterungsfähigkeit abzurufen. Erst weit über eine Stunde nach dem grandiosen Sieg der deutschen Nationalmannschaft über Ungarn kam der Verkehr auf dem Jahnplatz ob der Massen an Autos voller schwarz-rot-goldener Fahnenschwenker zum Erliegen. Auch Fahnen anderer Nationen Doch wer genauer hinschaute, bemerkte vielfach auch Fahnen anderer Nationen, die neben der bundesdeutschen Flagge mitgeführt wurden. Stolz hatte beispielsweise der Besitzer einer Nobelkarosse mit dazugehörigem Stern eine große albanische Flagge über seine Motorhaube gespannt, reihte sich damit problemlos und selbstverständlich auch hupend in den Autokorso ein. Vor der Partie der deutschen Mannschaft hatte Fußballzwerg Albanien nämlich Kroatien zumindest einen und damit auch ersten Punkt bei dieser Europameisterschaft abgeluchst - auch das musste gefeiert werden und am besten gleich auf großer Bühne. Aus einem Auto wurde rechts die deutsche und links die italienische Fahne in den Wind gehalten. Auch hier schlugen anscheinend bei den Insassen zwei Herzen in der Brust: eines für Deutschland, das andere für Italien. 146.000 Bielefelder haben eine Zuwanderungsgeschichte So spiegelte sich zugleich in dieser fröhlichen Feier die Wirklichkeit in unserer Stadt wider. Knapp 146.000 Bielefelder haben eine Zuwanderungsgeschichte, das sind 42 Prozent der heimischen Bevölkerung. Viele von ihnen sind hier geboren, haben einen deutschen Pass, fühlen sich aber der Heimat ihrer Eltern oder ihres Kulturkreises verbunden und zeigen dies auch gern einmal offen bei einer Festivität zu Ehren der Kicker des deutschen Fußballbundes. Und es fällt ihnen leicht, denn auch die deutsche Nationalmannschaft spiegelt die Vielfältigkeit dieses Landes wider. Nationalspieler Jonathan Tah hofft darauf, dass die Vielfalt der deutschen Auswahl die Zuschauer inspiriert: &bdquo;Wir sind eine Mannschaft, und im Sommer spielen wir ein Turnier, auf dem wir gemeinsam für Deutschland erfolgreich sein wollen. Und ja, wir sind Müller, aber wir sind auch Tah und Gündogan. Und wir verfolgen alle zusammen ein Ziel.“ Multikulturelle Nationalmannschaft zum Glück selbstverständlich Im Jahr 2024 ist eine multikulturelle Nationalmannschaft zum Glück selbstverständlich. Doch noch immer haben wir kein Verständnis als Gesellschaft dafür entwickelt, wie groß das Problem Rassismus im Alltag sehr vieler Menschen in Deutschland und damit auch in Bielefeld ist. Deshalb ist es wichtig, dass der Sport seine integrierende Kraft aufzeigt und stärkt. Ich glaube fest daran, dass die Europameisterschaft im eigenen Land dazu beitragen wird, unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Darum freuen wir uns doch einfach mal mit unseren türkischstämmigen Mitbürgern, wenn die Türkei am Samstagabend Portugal schlägt. Und diese wiederum, wenn am Sonntag Deutschland gegen die Schweiz den Gruppensieg manifestiert. Wie denken Sie darüber? Ich freue mich über Ihre Meinung unter stefan.gerold@nw.de

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