Schock für Bielefelder Polizisten nach tödlicher Messerattacke: „Wir sind immer in Gefahr“

Bielefeld. Am Wochenende starb ein Polizist in Mannheim bei dem Versuch, einen mit einem Messer wild um sich stechenden Mann zu stoppen. Auch für Bielefelder Beamte ist das ein Schock. Schließlich ist es noch nicht lange her, als ein Mann Mitte Januar einen Polizeibeamten in Bielefeld-Heepen unvermittelt mit einem Schraubendreher angriff und verletzte. Der Vorfall sorgte damals auch für Entsetzen, weil der Angriff des Mannes ins Gesicht des Beamten ging. Dieser hatte Glück und überstand den Angriff leicht verletzt. Beide Fälle zeigen, dass es für die Beamten auf der Straße trotz moderner Schutzausrüstung nie eine komplette Sicherheit gibt. Lesen Sie auch: Schraubenzieher-Attacke auf Polizisten: Der Beschuldigte handelte offenbar im Wahn Der 29-jährige Polizist in Mannheim wurde am Hals und Kopf getroffen. Am Sonntagnachmittag erlag er im Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Seitdem geht unter dem Hashtag #einervonuns eine Welle der Anteilnahme und Solidarität durch das Land. Polizeibeamte sammeln auf den Wachen Geld für die Angehörigen. Die Bilder der Videoaufnahmen von der Messerattacke, die vielfältig im Netz kursieren, treffen die Beamten tief. Bielefelder Polizisten betroffen: Täter stechen gezielt in Hals und Arme Kai Detlefsen, Kreisverbandsvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), ist selber im Streifendienst tätig und kennt daher genügend Situationen aus seinem Arbeitsalltag, die auch für ihn bedrohlich waren: &bdquo;Messer sind eine wahnsinnig tödliche Waffe auf kurzer Distanz. Wir wissen alle, dass auch uns so etwas jeden Tag passieren kann. Wenn es dann aber wirklich passiert, ist es immer sehr schlimm – für alle.“ Polizeisprecherin Sonja Rehmert bestätigt: &bdquo;Selbst kleine Messer können schwere Verletzungen hervorrufen oder im schlimmsten Fall sogar tödlich sein. Auch Stich- oder Schnittverletzungen an Armen oder Beinen können binnen kürzester Zeit lebensbedrohlich werden.“ Im Messerkampf geübte Personen kennen die Stellen an Armen und Beinen, wo die großen Schlagadern verlaufen. Wer dort getroffen wird, hat oft nicht mehr viel Zeit, bis er verblutet. Messer sind in der Bielefelder Drogenszene inzwischen Standard Ein erfahrener Beamter berichtet von den täglichen Erlebnissen im Einsatz: &bdquo;Ganz unabhängig von der Tat in Mannheim – die besondere Gefahr, die von Messertätern ausgeht, ist bei uns im Wachdienst ein ständiges Thema. Bei Angehörigen der Drogenszene sind mitgeführte Messer inzwischen Standard.“ Tatsächlich berichtet die Polizei inzwischen regelmäßig von Auseinandersetzungen mit Messern in der Drogenszene. Zwar seien sie primär zur Verteidigung innerhalb der Szene gedacht, sagt der Polizist. Sie stellten aber immer auch eine große Gefahr für die Kollegen in Uniform, sogar aber auch für die Käufer von Drogen dar, wenn es plötzlich zu Streit komme. Wir trauern um unseren Kollegen – um andere zu schützen hat er sein Leben gegeben!Am Freitag wurde unser Kollege vom PP Mannheim durch einen Messerangriff schwer verletzt und ist heute seinen Verletzungen erlegen.PM des LKA: https://t.co/Bf1VqoSxro#einervonuns#mannheim pic.twitter.com/0vLzqtvZ39 Polizei Mannheim (@PolizeiMannheim) June 2, 2024 Wie können sich die Beamten vor solchen Gefahren schützen? Jede Überprüfung und Durchsuchung von Personen der Drogenszene ist inzwischen ein potenziell lebensgefährlicher Moment. Entsprechend vorsichtig gehen die Beamten dabei vor. Sonja Rehmert betont: &bdquo;Im täglichen Einsatzgeschehen trifft die Polizei immer wieder auf Personen, die ein Messer oder einen gefährlichen Gegenstand bei sich haben oder verwenden. Bei der Aus- und Fortbildung werden Polizistinnen und Polizisten regelmäßig auf solche Einsatzsituationen vorbereitet und geschult. Sie sind darauf gefasst, dass Messer oder gefährliche Gegenstände, die zunächst verborgen sind, plötzlich eingesetzt werden.“ Eigensicherung in Gefahr, wenn die Personaldecke knapp ist Doch all die Vorbereitung ist für die Katz, wenn nicht die nötige Zahl an Beamten zum Tatort kommen kann. Ein Beamter äußert anonym Kritik, weil die knappe Personalsituation im Streifendienst durchaus die Gefahr für die Beamten auf der Straße vergrößern kann: &bdquo;Es passiert immer wieder, dass Führungskräfte wegen eines plötzlich erkrankten Kollegen alleine rausfahren müssen.“ Das sei ein ernstes Problem für die Eigensicherung. Zwar schütze die Schutzweste mit eingeschobenen Stichschutz gut vor Angriffen mit Klingen, sie könne aber nicht alle Bereiche des Körpers abdecken. &bdquo;Die Vergangenheit hat gezeigt, dass trainierte Messertäter die Schwachstellen kennen und gezielt nutzen“, sagt der Beamte. Das heißt, die Täter stechen gezielt zum Hals, oder greifen die Schlagadern an Armen und Beinen an. Polizei Bielefeld meldet 53 Prozent mehr Messertaten Detlefsen zufolge hat die Bereitschaft der Täter, ein Messer wirklich einzusetzen, in den vergangenen Jahren &bdquo;zumindest gefühlt zugenommen“. Nicht nur gefühlt: Auch objektiv ist die Zahl der Messertaten in Bielefeld im vergangenen Jahr deutlich angestiegen – um gut 53 Prozent. Die Polizei registrierte 2023 insgesamt 143 Messertaten. 122 davon waren Rohheitsdelikte, fünf sogar Straftaten gegen das Leben. Auf Nahdistanz gilt ein Messer als absolut tödlich. Der für den sicheren Einsatz geforderte Sicherheitsabstand von sieben Metern ist für Polizisten in der Praxis nur selten einzuhalten – entweder weil im Hausflur gar nicht genügend Raum dafür vorhanden ist. Oder weil der Angriff so plötzlich geschieht, dass keine Reaktion möglich ist. DPolG-Funktionär Detlefsen macht es deutlich: &bdquo;Wenn eine Person ein Messer zückt und damit angreift, dann ziehe ich zwar meine Dienstwaffe. Bis ich aber abgedrückt habe, hat der Messertäter mich schon längst erreicht. Das haben zahlreiche Tests bewiesen.“ In einem Tumult sei eine Abwehr sowieso kaum möglich, da oft gar nicht erkennbar sei, wer Freund und wer Feind ist. Messerverbot in Bielefeld mehrfach geprüft Das Mitführen bestimmter Waffen und Messer ist in der Öffentlichkeit generell verboten, betont Polizeisprecherin Rehmert. Darunter fallen unter anderem Butterfly-, Faust- und Fallmesser, bestimmte beidseitig geschliffene Springmesser mit einer Klinge von mehr als 8,5 Zentimetern, aber auch Stahlruten, Totschläger, Schlagringe, Reizstoffsprühgeräte ohne Zulassungs- oder Prüfzeichen (keine Tierabwehrsprays), Anscheinswaffen (also Spielzeug, das optisch den Eindruck scharfer Schusswaffen erweckt), Softairwaffen und Hieb- und Stoßwaffen wie Schlagstock, Säbel und Degen. Da sich die Täter von diesem Verbot ohnehin nicht abschrecken lassen, ist der Sinn von den oft geforderten Waffenverbotszonen zweifelhaft. Die Polizei Bielefeld hat in der Vergangenheit trotzdem sowohl die Einrichtung einer Waffenverbotszone als auch die Etablierung einer polizeilichen Videobeobachtung an den Problemorten der Stadt (Stadthallenpark/Tüte, Kesselbrink usw.) geprüft. &bdquo;Trotz der besonderen Entwicklung an einzelnen Orten in der Innenstadt liegen nach derzeitigem Stand aber die rechtlichen Voraussetzungen des Polizeigesetzes NRW für eine Videoüberwachung und nach dem Waffengesetz für die Einrichtung einer Waffenverbotszone nicht vor“, erklärt Rehmert. Dennoch würden diese Fragen von der Behörde immer wieder neu bewertet und geprüft. Bielefelder Polizisten hoffen auf eine spürbare Reaktion Die Beamten in Bielefeld sind – wie alle anderen Kollegen auch – nach den Vorfällen in Mannheim tief betroffen. Dem Gewerkschafter Detlefsen ist es daher umso wichtiger, dass nach der aktuellen Betroffenheit später nicht alle wieder zur Tagesordnung übergehen: &bdquo;Wir wollen eine Reaktion spüren. Angriffe auf Polizeibeamte und Rettungskräfte müssen mit aller Konsequenz verfolgt und später mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft werden.“ So eine Strafe müsse Signalwirkung haben und für die Täter abschreckend wirken. Auch die wiederholt von der DPolG eingeforderte landesweite Einführung von Taser-Elektroschock-Pistolen sei als zusätzliche Investition in die Sicherheit der Polizeibeamten wichtig: &bdquo;Innere Sicherheit kostet Geld. Wir verstehen nicht, warum einige Behörden diese Taser nutzen dürfen. Und es für andere nicht reicht – wie etwa in Bielefeld“, sagt Detlefsen. In einer Situation wie in Mannheim helfe ein Taser vielleicht nicht. Aber oft genug stellen die Beamten Personen mit Messern, die sie aus sicherer Entfernung mit einem Taser angriffsunfähig hätten machen können. Während Gütersloher und Paderborner Beamte über diese Möglichkeiten verfügen, bleiben anderen Kommunen unversorgt. Umgang mit Messern – das rät die Polizei: &bdquo;Lassen Sie das Messer zu Hause. In Konfliktsituationen kommen Sie erst gar nicht in Versuchung, das Messer einzusetzen.“ &bdquo;Bedenken Sie: Das bloße Mitführen eines Messers kann bereits eine Straftat darstellen.“ &bdquo;Auch als Selbstschutz sind Messer nicht geboten. Diese können sehr schnell gegen Sie eingesetzt werden und Sie selbst in Gefahr bringen.“ Als Alternative zu Messern, Pfefferspray und anderen Dingen bietet sich besser ein &bdquo;Schrillalarm“ (oder &bdquo;Taschenalarm“) an. Dieser kann insbesondere dann helfen, wenn sich noch weitere Personen in der Nähe aufhalten. Denn der laute, schrille Ton macht Umstehende auf das Geschehen aufmerksam. Ziel ist, dass der Täter angesichts möglicher Zeugen von der Tat ablässt.“ Mit einem Messer bedroht? So handeln Sie laut Polizei richtig: &bdquo;Wird bei einem Konflikt ein Messer eingesetzt, suchen Sie nicht die Konfrontation, sondern flüchten Sie.“ &bdquo;Wählen Sie umgehend den Notruf 110.“ &bdquo;Sind Sie Zeuge eines Messereinsatzes: Bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr, halten Sie Distanz und wählen Sie umgehend den Notruf 110. Schnelles Holen von Hilfe kann lebenswichtig sein.“

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