"Fluch und Segen": So verändert ChatGPT das Schulleben in Bielefeld

Bielefeld. Den Text hat Schüler XY doch bestimmt von ChatGPT erstellen lassen und nicht selbst geschrieben. "Aber wirklich nachweisen kann ich das nicht", sagt Carolin Graf, Lehrerin am Oberstufenkolleg. Aber künstliche Intelligenz (KI) sei in Zukunft Teil der Realität. Deshalb sei es so wichtig, dass Schüler lernen, damit umzugehen - und zwar vernünftig. "Wir müssen alle akzeptieren, dass sich durch KI auch der Lehrerberuf und die Rolle der Schüler stark verändert", sagt Graf. Die 39-Jährige unterrichtet Deutsch, Pädagogik und Sport am Bielefelder Oberstufenkolleg und macht im Auftrag der Bezirksregierung Lehrerfortbildungen im Bereich KI. Gedichtanalysen, Kurzgeschichten, ganze Romane und Drehbücher: All das könne per ChatGPT erstellt werden. Die Frage sei, inwieweit Texte in zehn Jahren überhaupt noch von Menschen erstellt werden. Vor allem aber: Was macht das mit uns, mit der Gesellschaft und mit Literatur? Darüber mit den Schülern zu sprechen und immer wieder zu reflektieren, sei ganz wichtig. Und auch, KI als Werkzeug kennenzulernen, zu verstehen, zu nutzen - und so Chancen, Grenzen und Gefahren zu erkennen. "Das ist eine Riesenherausforderung, verbunden mit vielen Ängsten." Ziel sei, KI zielführend im Unterricht einzusetzen. Anregungen für Lernaufgaben, Arbeitsblätter und Lernhilfen, auch Diskussions- oder Quizfragen - alles in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen "Ich würde als Hausaufgabe zum Beispiel kein Gedicht aus der Romantik analysieren lassen, denn das kann KI sehr gut", ergänzt Graf. Mit der Epoche Postmoderne hingegen könne sie aufgrund fehlenden Inputs weniger anfangen. Auch über Marker, die KI entlarven, spricht die Pädagogin mit ihren Schülern. Wiederholungen, ähnlicher Satzbau, keinerlei Rechtschreib- oder Grammatikfehler, super-emotionale oder total sachliche Formulierungen gehörten dazu. "Wir haben eigene Texte eingegeben und von KI korrigieren lassen", berichtet die Pädagogin. Rechtschreibung, Grammatik, Kommasetzung: "Das macht ChatGPT sehr zuverlässig." Das kostenlose System könne Schwachstellen aufzeigen, den Stil verbessern und auch bei der Unterrichtsvorbereitung helfen. "Man kann sich viele gute Anregungen für Lernaufgaben, Arbeitsblätter und Lernhilfen geben lassen, auch Diskussions- oder Quizfragen - und das in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen", sagt Graf. "Das ist ein Riesengewinn für Lehrerinnen und Lehrer." Es lohne sich, sich da einzuarbeiten. Sie könne nur allen ans Herz legen, sich mit KI zu beschäftigen. Christine Quandt vom kommunalen Integrationszentrum der Stadt beschäftigt sich ebenfalls mit der Nutzung von KI im schulischen Kontext. Auch aus ihrer Sicht ist KI Fluch und Segen zugleich. "Aber wir dürfen nicht die Augen davor verschließen", sagt sie. Das Schulministerium habe im Februar einen umfangreichen Handlungsleitfaden zum Umgang mit textgenerierenden KI-Systemen veröffentlicht. Aufgabe von Schule sei es zu vermitteln, wie die Systeme funktionieren, welche Auswirkungen sie haben und worauf bei der Nutzung zu achten sei. Hier würde unter anderem thematisiert, wie Täuschungsversuche unterbunden und Schüler für den kritischen Umgang sensibilisiert werden können. Konkret geht es Quandt um die Möglichkeiten, mit Hilfe von KI Unterrichtsmaterialien für den sogenannten sprachsensiblen Unterricht zu differenzieren. Denn Kinder mit geringerem Zugang zur deutschen Bildungssprache profitierten sehr davon, wenn man mit überschaubarem Aufwand Unterrichtsmaterial in unterschiedlichen Leistungsniveaus oder mit abgestuften Hilfestellungen anbieten könne. Das betreffe nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund. "Wenn es zu schwer wird, machen manche Kinder dicht, schalten frustriert ab oder stören den Unterricht", sagt die Expertin. Mit entsprechender Unterstützung eine Chance zu haben, die Aufgaben erfolgreich zu meistern, motiviere hingegen. ChatGPT wird auch mit Falschinformationen gefüttert Für ihr Lehrkräfte-Netzwerk, das sich mit sprachsensiblem Unterricht beschäftigt, hat sie daher Möglichkeiten zusammengestellt, wie ChatGPT in diesem Kontext genutzt werden kann. Fachtexte sprachlich vereinfachen, zusammenfassen oder in eine andere Textsorte umwandeln, Lückentexte auf unterschiedlichen Sprachniveaus erstellen, Fragen, Argumente oder sprachliche Mittel zu einem Thema zusammenstellen: Bei vielem sei ChatGPT wirklich hilfreich, aber natürlich müsse das, was die KI als Ergebnis vorschlage, immer gründlich überprüft werden, sagt Quandt, die lange Jahre als Lehrerin an der Gertrud-Bäumer-Realschule gearbeitet hat. Auf diesen Aspekt verweist auch Graf: Da ChatGPT auch mit Falschinformationen gefüttert werde, käme manchmal auch absoluter Quatsch heraus, "schlimmer als bei Wikipedia". Es sei heutzutage noch wichtiger denn je, selbst zu denken und vernunftgeleitet immer wieder zu reflektieren, ergänzt Graf. Das sei auch ein Fazit aus der Unterrichtseinheit zum Thema KI. Welche Kompetenzen die Schüler benötigten, sei wirklich schwer zu sagen. Fakt sei, dass Schule, wie sie aktuell funktioniert, nicht lebensnah sei. Da müsse sich dringend sehr viel ändern. Schule müsse aufklären. Da gehöre ein Fach zum Thema Digitalisierung, das es bislang noch nicht gibt, unbedingt dazu. KI optimiert eine extra schlechte Charakterisierung Das sagt auch Frank Weritz, Konrektor am Gymnasium am Waldhof. Auch er beschäftigt sich mit seinen Schülern mit den Möglichkeiten und Gefahren von ChatGPT. Für den Deutschunterricht in der Mittelstufe habe er der KI beispielsweise eine extra schlechte Charakterisierung vorgelegt und sie um Tipps für die Optimierung gebeten. Acht der zehn Vorschläge, die innerhalb von wenigen Sekunden geliefert wurden, seien recht gut gewesen. "Der große alte Mann ist hässlich": Zum ersten Satz schreibt ChatGPT beispielsweise: "Verwende klare und präzise Beschreibungen: Statt 'hässlich' könntest du spezifische äußere Merkmale des Mannes beschreiben, wie zum Beispiel 'Er hatte ein unregelmäßiges Gesicht mit tiefen Falten'." Aber das sei natürlich nur die eine Seite der Medaille, ergänzt Weritz. Kritischer Umgang mit KI und die Fähigkeit, auch ohne ChatGPT Texte produzieren und interpretieren zu können, sei ganz wichtig.

Meistgelesen