Bielefelderin arbeitet 70 Stunden pro Woche - und hat jetzt noch ein Patenkind

Bielefeld. Studium, Nebenjob im Café und fünf jüngere Geschwister: Lena Rohling (20) hat gut zu tun und könnte jetzt als Studentin fernab der Heimat auch froh sein, mal keine kleinen Kinder um sich zu haben. Ist sie aber nicht. Sondern "total glücklich" dank einer zusätzlichen Aufgabe, dank eines quirligen Vierjährigen, den sie seit April als Patin über den Kinderschutzbund betreut. Von echtem Glück, Unbeschwertheit, Leichtigkeit und einer Menge Spaß mit den ihnen anvertrauten Kindern berichten auch andere Patinnen. Ihr Fazit: absolut empfehlenswert und erfüllend. Und unbedingt nachahmenswert, denn "rund 20 Kinder stehen noch auf unserer Warteliste", berichtet Dorothee Redeker, Geschäftsführerin des Bielefelder Kinderschutzbundes. Der kleine Sohn von Magdalena R. (Name von der Redaktion geändert) hat Glück gehabt. Er hat bereits seit einigen Monaten schon eine Patin, die ihn aktuell etwa zweimal pro Woche für zwei bis vier Stunden abholt, einfach Zeit nur für ihn hat. "Ohne, dass ich nebenher noch die Wäsche machen oder tausend andere Sachen erledigen muss", sagt Britta Dreyer. Ihre beiden eigenen Kinder sind mittlerweile 14 und 19 Jahre alt. "Ich war nie berufstätig, habe mich immer zuhause um die Familie gekümmert und das sehr genossen", sagt die Sozialpädagogin. Sie habe sich immer mal wieder für unterschiedliche Projekte engagiert, jetzt noch mal irgendetwas Interessantes, Schönes und Sinnvolles gesucht. Da sei ihr das Patenprojekt des Kinderschutzbundes ins Auge gefallen. Gemeinsam mit dem Anderthalbjährigen etwas Schönes zu unternehmen, wie einen Rundgang durch den Tierpark zu machen, bereite auch ihr ganz viel Freude. Minicoaching zum Umgang mit Gefühlen des Kindes "Wir haben Spaß, und das tut auch seiner Mutter gut", sagt Dreyer. Magdalena R. ist vor sechs Jahren aus Rumänien nach Bielefeld gekommen. Ihr Mann arbeite Vollzeit in einem Metallbetrieb, habe zusätzlich noch einen Minijob in einer Reinigung und deshalb wenig Zeit, sie zu unterstützen. Dank der Patenschaft habe sie Zeit für eine Therapie, die sich seit einiger Zeit mache oder für ihre Tochter (10). Oder könne auch mal in Ruhe zum Zahnarzt oder sogar wieder zum Malen gehen. Auch für ihre Familie sei es bereichernd, dass jetzt ab und an wieder "ein ganz kleiner Mann" im Hause ist. Wie oft, wann und wo sich die insgesamt etwa 160 Paten um "ihre" Kinder kümmern, werde ganz individuell abgesprochen, ergänzt Redeker. Auch gäbe es selbstverständlich vorab Treffen zum Kennenlernen. "Zudem bekommen die Paten vor Start eine Art Minicoaching, wo wichtige Themen wie Datenschutz, Aufsichtspflicht, Umgang mit Gefühlen des Kindes, Grenzen setzen oder besondere Herausforderungen in der Patenschaft besprochen werden", ergänzt Nadine Klocke, Mitarbeiterin des Kinderschutzbundes. Sie ist Sozialpädagogin, Erzieherin und Systemische Beraterin. Das, und dass es immer wieder Infoabende und regelmäßigen Austausch zu aktuellen Themen wie beispielsweise Erste Hilfe am Kind, psychische Erkrankungen oder Traumatisierung gibt, mache für sie die Patenschaft zusätzlich attraktiv, ergänzt Dreyer. "In erster Linie geht es aber darum, dass man mit seinem Patenkind einfach eine schöne, unbeschwerte Zeit genießt." Ob sie schon gehen muss, frage ihre Patentochter ganz oft, wenn sie den Nachmittag bei ihr verbracht hat, berichtet Gudrun Schulz (66) gerührt. Bei ihr sei es immer so himmlisch ruhig, und sie habe so schön viel Platz. Die Rentnerin ist seit knapp zwei Jahren Patin eines heute zehnjährigen, eher zurückhaltenden Mädchens, älteste Tochter einer alleinerziehenden Mutter. Zuhause stehe immer die kleinste, sehr forsche Schwester im Mittelpunkt. Sie habe keine eigenen Kinder oder Enkel, habe etwas Sinnvolles machen wollen, als sie in den Ruhestand gegangen ist, sagt Schulz. 48 Jahre lange habe sie Vollzeit gearbeitet, 30 davon in einer Großwäscherei. Alleinerziehende, Familien, psychisch belastete Eltern "Die Kinder haben in der Coronazeit am meisten gelitten, dabei sollten sie doch fröhlich sein", sagt Schulz. Genau das seien sie jetzt beide bei ihren Treffen. "Wir haben uns gesucht und gefunden, genießen die gemeinsame Zeit sehr – und ich bringe immer ein glückliches Kind zurück nach Hause." Ähnliches habe kürzlich auch eine Patin berichtet, die in führender Position in der Wirtschaft arbeite, berichtet Klocke. Sie arbeite bestimmt 60 oder 70 Stunden in der Woche. Aber sich trotzdem die Zeit für das Kind zu nehmen, nur für es da zu sein, sei unglaublich wohltuend. Für beide. Das bestätigt auch Studentin Lena Rohling. Ihr Patensohn bringe sie immer sehr zum Lachen. Alleinerziehende, Familien, die nicht aus Deutschland kommen oder die keine Großeltern hier haben und oft nicht so vermögend seien, psychisch belastete Eltern: Ganz unterschiedliche Menschen nutzten das Patenprojekt für ihre Kinder im Alter zwischen ein und 15 Jahren, so Klocke. Es seien die unterschiedlichsten Menschen als Paten dabei. Wie auch eine Mutter, die selbst ein schwerstbehindertes Kind hat. Das zusätzliche Bindungsangebot tue den Mädchen und Jungen unglaublich gut, stärke ihre mentale Widerstandskraft. Das sei gerade in der aktuellen Zeit sehr hilfreich für die Entwicklung und den weiteren Lebensweg. Der Kinderschutzbund Bielefeld sucht weitere Paten, die sich mindestens für ein Jahr lang binden wollen. Der Bedarf sei in den Stadtteilen sehr unterschiedlich, aktuell in Sennestadt oder Hillegossen und Ubbedissen besonders groß. "Wir gucken, dass die Patenperson, das Kind und die Familie gut zusammenpassen, achten aber auch darauf, dass die Anfahrtswege nicht zu weit sind", ergänzt Klocke. Fahrtkosten würden aber auch erstattet. Weitere Infos und Kontakt: www.kinderschutzbund-bielefeld.de

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