Vor 30 Jahren: Die neuen Postleitzahlen sorgten für einen Aufschrei in Bielefeld

Bielefeld. Eigentlich ging es nur um eine einfache Zahl, die sich änderte. Und doch kochten die Emotionen vor 30 Jahren hoch. &bdquo;Die neuen deutschen Postleitzahlen sind verwirrend, ja schockierend!“ ereiferte sich ein Bielefelder Leserbriefschreiber in der Neuen Westfälischen. Durch das neue, chaotische Zahlenwerk würde Bielefeld, das zuvor durch die zwei Nullen in der Postleitzahl 4800 klar als &bdquo;bedeutendste Stadt der Region“ und Oberzentrum zu erkennen war, &bdquo;an den Schluss der Tabelle“ rücken. &bdquo;Vermutlich konnten sich die Schöpfer dieser neuen Ordnung unter Bielefeld nichts Bedeutendes vorstellen“, schimpfte der Leser. Mit seiner geharnischten Kritik war der Bielefelder im Jahr 1993 nicht alleine – wenngleich die meisten Gegner der neuen Postleitzahlen andere Argumente anführten, als dass ihre Heimatstadt durch das fünfstellige System degradiert werden würde. &bdquo;Teurer Irrsinn“, &bdquo;Postleidzahlen“ &bdquo;Amtswillkür“ oder &bdquo;Jetzt haben wir den Zahlensalat!“ waren die gängigeren Töne, die Kritiker der Deutschen Post entgegen hielten. Zu unverständlich schien das neue System, vielen erschloss sich schlicht der Sinn für das Mammutprojekt nicht. Auch die massive Werbekampagne, bei der eine quietschgelbe Hand namens Rolf den Slogan &bdquo;Fünf ist Trümpf“ gebetsmühlenartig wiederholte, stieß vielen Deutschen bitter auf – von den 400 Millionen D-Mark für das bundesweit an jeden Haushalt verteilte Postleitzahlenbuch ganz zu schweigen. Dabei war knapp drei Jahre nach der Wiedervereinigung eine Umstellung bei den Postleitzahlen nahezu unumgänglich. Auch, wenn sich dadurch ein ganzes Land zumindest postalisch neu erfinden musste. Dabei waren die vierstelligen Postleitzahlen keineswegs &bdquo;schon immer so gewesen“, wie viele Kritiker meinten. Im Gegenteil: Die vor 30 Jahren eingeführten fünfstelligen Zahlen gibt es inzwischen fast genau so lange, wie es die bis 1993 gültigen vierstelligen Postleitzahlen gegeben hat. Damals war es gerade einmal 32 Jahre her, dass Bielefeld seine &bdquo;4800“ erhalten hatte. 1961 führte die Bundespost ein neues System mit vierstelligen Postleitzahlen ein, welches das seit dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten eingeführte System der &bdquo;Postleitgebiete“ ablöste. Jöllenbeck war "Bielefeld 15", Hillegossen "Bielefeld 18" Statt der &bdquo;21a“ für Westfalen-Nord lag Bielefeld nun in der Leitzone 4, die den Norden von NRW und den Süden von Niedersachsen umfasste. Die 8 stand wiederum für den &bdquo;Leitraum“, der Bielefeld und weite Teile des Kreises Gütersloh umfasste. Als Großstadt brauchte Bielefeld dann allerdings keine weiteren Ziffern für die untergeordneten &bdquo;Leitgebiete“, wodurch schließlich die 4800 zustande kam. So richtig vierstellig war die Postleitzahl dann allerdings nicht: Nach dem Ortsnamen musste noch eine weitere Zahlenkombination für das &bdquo;Zustellpostamt“ angefügt werden – das Hauptpostamt in der Innenstadt hatte die 1, Jöllenbeck erhielt die 15 während Post nach Hillegossen mit &bdquo;4800 Bielefeld 18“ adressiert werden musste. Dies funktionierte bis zur Wiedervereinigung alles ganz wunderbar. Danach bestand allerdings das Problem, dass die Post der DDR ebenfalls ein vierstelliges Postleitzahl-System entwickelt hatte, das – im Gegensatz zum westdeutschen System – nicht auf ein geeintes Deutschland ausgelegt war. Entsprechend war nach dem 3. Oktober 1990 plötzlich nicht nur Bielefeld 4800, sondern auch das in Sachsen-Anhalt gelegene Naumburg. Herford und Zeitz teilten sich die 4900, Bad Salzuflen und Hassel (Landkreis Stendal) waren beide unter 4902 zu finden und so weiter – insgesamt gab es bundesweit 900 Dopplungen, denen zunächst mit einem &bdquo;W“ und einem &bdquo;O“ vor der Postleitzahl begegnet wurde. Dass diese &bdquo;Briefmauer“ keinen längerfristigen Bestand haben sollte, war den Verantwortlichen bei der Post schnell klar. Ende 1991 wurde ein neues, dann fünfstelliges System beschlossen, das sich im Kern an das bestehende System orientiert. Die Vorteile: Die fünf Ziffern ermöglichten eine Automatisierung der Briefverteilung, Großempfänger konnten eine eigene Postleitzahl erhalten und es gab einige Zahlenkombinationen als Reserve – von 100.000 theoretisch möglichen Postleitzahlen wird aktuell noch nicht einmal ein Drittel genutzt. Wie so oft: Kritiker machten viel Lärm um nichts All diese Argumente halfen nicht dabei, dass sich viele Menschen nur mit Widerwillen und zähneknirschend von ihrer alten Postleitzahl trennten. 4800 war eben Bielefeld – und jetzt sollte 48 für Münster stehen? Undenkbar! Und diesen 33-und-ein-paar-Zerquetschte-Kram wird sich eh kein Mensch merken können, unkten viele. Sie sollten aber daneben liegen. &bdquo;Bereits am 1. Juli 1993 waren 57 Prozent der Briefe richtig adressiert“, sagt Post-Sprecher Rainer Ernzer. Eine Woche später verwendeten bereits knapp 80 Prozent die richtige Postleitzahl. Zehn Jahre später, im Jahr 2003, fischte die inzwischen vollautomatische Anlage des Briefzentrums Bielefeld/Herford pro Tag nur noch einen Brief von Tausenden heraus, der mit der alten Postleitzahl versehen woren war. Heute, drei Jahrzehnte nach der großen Umstellung, ist die fünfstellige Postleitzahl eine Selbstverständlichkeit – verwirrend oder gar schockierend ist es eher für Jüngere zu erfahren, dass es früher mal eine vierstellige Postleitzahl gegeben hat. Auch die penetrante Werbefigur Rolf, vor 30 Jahren in Fernsehspots, als Aufkleber, auf Poststempeln oder sogar als Plüschfigur allgegenwärtig, gerät langsam in Vergessenheit. Und die &bdquo;4800 Bielefeld“ findet sich inzwischen nur noch auf historischen Postkarten – oder auf neumodischen T-Shirts von Nostalgikern jenseits der 40.

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