Dramatische Kita-Krise in Bielefeld: Was die Eltern jetzt erwartet

Bielefeld. "Wenn möglich, lassen Sie Ihre Kinder bitte zu Hause": Hilferufe an die Eltern wie diese seitens der Kitas gehören mittlerweile zum Alltag. Ebenso immer wieder eingeschränkte Betreuungszeiten bis hin zu Gruppenschließungen. "Man hat sich schon damit abgefunden, das ist nichts Neues und fast schon normal - so traurig das ist", sagt Nadine Niewöhner, Mutter dreier Kinder und engagiert im Jugendamtselternbeirat. Eltern hätten mittlerweile resigniert, so ihr Eindruck. Das seit Monaten anhaltende Kita-Dilemma koste viel Kraft und Nerven. Zum neuen, im August startenden Kita-Jahr rechnet die Stadt mit noch mehr Bedarf. Es wurden 80 neue Plätze geschaffen, insgesamt stehen 14.335 Plätze zur Verfügung, 4.171 davon für Kinder unter drei Jahren, 10.164 für die Über-Dreijährigen. Ein neuer Höchststand. Aber es wird eng, ist in der jetzt veröffentlichten Planung der Stadt zu lesen. "Und die Plätze sind das eine", sagt Sozialdezernent Ingo Nürnberger. Knackpunkt sei der immer noch anhaltende Fachkräftemangel. Fehlende und freie Kita-Fachkräfte Die 18 Fachkräfte, die das Deutsche Rote Kreuz (DRK) jetzt überraschend und sehr kurzfristig aufgrund einer durch einen Cyberangriff verursachte Datenpanne entlassen hat, hätten riesige Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Auch bei der Stadt, denn allein dort fehlen in den Kitas rund 40 Fachkräfte. Die Mitarbeiterinnen seien sehr begehrt, sagt auch Marco Eltner, Vorstand und Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Bielefeld. Es gäbe auf Fachebene schon sehr konkrete Gespräche mit dem Evangelischen Kirchenkreis, der 28 Kitas in Bielefeld betreibt und aktuell 20 unbesetzte entsprechende Stellen in den Kitas hat. Hinzu kommt dort ein hoher Krankenstand unter den Mitarbeitern, wie bei den anderen Trägern auch. Deshalb wurden in den evangelischen Kitas die Eltern jetzt per Brief über eine Einschränkung informiert. Für Eltern von Kindern in den DRK-Kitas sei der Weggang aber nicht direkt mit verringerten Betreuungszeiten verbunden. "Wir liegen trotzdem noch knapp über dem Stellenplan, haben an einigen Standorten sogar immer noch einen leichten Überhang und bieten weiterhin die vom Kinderbildungsgesetz (KiBiz) abgeleitete personelle Ausstattung an", sagt Eltner. Der Puffer, etwa bei Krankheitsfällen, sei allerdings geringer geworden. Einschränkung der Betreuungszeiten Familien, die eine 35- oder 45-Stunden-Betreuung gebucht haben, können ihre Kinder bisher innerhalb eines um einige Stunden größeren Zeitfensters flexibel in die Kita schicken. Weil Personal fehlt, soll diese Möglichkeit im kommenden Kita-Jahr 2023/2024 in den Einrichtungen des Evangelischen Kirchenkreises ausgesetzt werden, um so Verlässlichkeit der Betreuung zu sichern und Gruppenzusammenlegungen und Schließungen zu vermeiden, berichtet Melanie Hoffmann, Geschäftsführerin des Kita-Bereichs. "Wir fragen gerade bei den anderen Trägern ab, ob sie entsprechende Angebote machen wollen", berichtet Nürnberger. Zwar gäbe es eine zusätzliche Landesförderung für flexiblere Öffnungszeiten und geringere Schließzeiten, und durchaus auch Bedarf. Aber solche Angebote seien personalintensiv und könnten in Zeiten des Fachkräftemangels kaum mehr erbracht werden. Trotz aller Anstrengungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei vielerorts aktuell im besten Fall die Grundversorgung gesichert, vieles darüber hinaus falle weg. Mehr Kinder und neue Kitas in den Stadtteilen Der Zuwachs an Kindern unter sechs Jahren insgesamt resultiere daraus, dass aufgrund von Zuzug oder Flucht weiterhin Kinder im Kita-Alter nach Bielefeld kommen, heißt es in der aktuellen Planung. Außerdem steige die Nachfrage der Eltern nach Plätzen für Unter-Dreijährige weiterhin an. Fast die Hälfte der Kita-Plätze für das Jahr 2023/24 sind als 45-Stunden-Plätze geplant, 47,7 Prozent als 35-Stunden-Plätze und lediglich 3,1 Prozent noch als 25-Stunden-Plätze. Seit 2018 seien 14 neue Kitas hinzugekommen, berichtet Nürnberger. Weitere fünf Einrichtungen mit jeweils drei bis vier Gruppen sollen in den Stadtbezirken Dornberg, Heepen, Mitte, Sennestadt und Stieghorst während des Kindergartenjahres 2023/24 an den Start gehen: in Babenhausen an der Grünewaldstraße, in Brake an der Naggertstraße, an den Heeper Fichten, Heinrich-Forke-Straße, in der Südstadt auf dem Schillinggelände und in Stieghorst an der Konrad-Zuse-Straße. Nach aktuellem Stand könne nicht davon ausgegangen werden, dass die schon seit längerem in der Planung befindliche neue Kita im Bereich Hollensiek/Hasbachtal in Dornberg bis zum Ende des Kindergartenjahres 2023/24 ihren Betrieb aufgenommen habe. Weiterer deutlicher Ausbaubedarf bestehe an mehreren Standorten in Brackwede, Stieghorst, Sennestadt, Heepen und Mitte sowie in Vilsendorf. "Insgesamt brauchen wir in den nächsten Jahren um die 14 neue Kitas", ergänzt Nürnberger. Volle Leistungen oder Erstattung von Kita-Beiträgen Volle Zahlung bei eingeschränkter Leistung: Dass Eltern nachfragen, ob ihnen Kita-Beiträge erstattet werden, sei nachvollziehbar, sagt Nürnberger. Die einkommensabhängigen Gebühren deckten jedoch nur einen Teil der Kosten, seien lediglich eine Beteiligung daran. Eine Erstattung sei nicht geplant. Oberstes Ziel sei es vielmehr, wieder aus der Notlage herauszukommen und den Familien wieder die vollen Leistungen zu bieten. Dafür sollen die Ausbildungsplätze an den Berufskollegs noch mal ausgebaut werden. "Wir wollen uns anstrengen und da auch kreativ sein", sagt Nürnberger. Vieles hänge aber am Land - und an der "dringend notwendigen, echten KiBiz-Reform". Es gehe auch um die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen, flexiblere Qualifikationsmöglichkeiten, bessere finanzielle Ausstattung und Unterstützung von Kitas, die ausbilden. "Das Land muss uns den Handlungsspielraum geben, zusätzliches Personal einstellen zu können", sagt Nürnberger.

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