Bielefeld. „Achtung, dieses Video enthält verstörende Inhalte!“ Eine Warnung, die uns aktuell häufig begegnet im Zusammenhang mit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners Tyre Nichols in Memphis. Es ist kein Problem, auf die einschlägigen Videos in diesem Zusammenhang zuzugreifen, auch über die Internetangebote seriöser Medien. Aber selbst wenn stets pflichtbewusst die zitierte Warnung vorangeschickt wird – wozu dient die Bereitstellung solcher Inhalte?
Mit dieser und und ähnlichen Fragen im Zusammenhang mit der Macht bewegter Bilder befasst sich auf höchst intelligente Weise das Theaterstück „Ich, Wunderwerk und How Much I Love Disturbing Content“ der jungen, bereits mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Autorin Amanda Lasker-Berlin, das unter der hochklassigen Regie von Marie Schwesinger am Samstag im TAMzwei im Theater am Alten Markt in Bielefeld Premiere feierte.
Es ist mehr als nur ein Kunstgriff, dass in einem Stück über Videos diese (fast) überhaupt nicht zu sehen sind. Stattdessen projizieren die drei Schauspielerinnen (durchweg überzeugend: Brit Dehler, Fabienne-Deniz Hammer und Carmen Priego) durch exakte Beschreibungen und mehr oder minder starke Reaktionen das aufgezeichnete Vorfallende – oder besser vor ihrem inneren Auge Ablaufende – gleichsam auf die inneren Leinwände in den Köpfen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Ein Blick in die hochkonzentrierten Gesichter des Publikums verrät, dass das Kopfkino die ganze Zeit auf Hochtouren läuft. Schwenkbare Metallrahmen, in und mit denen die Schauspielerinnen agieren (Bühne und Kostüme: Marion Schindler), lassen sich als „frames“ im Sinne von Einzelbildern eines Videos oder als Sucher einer Kamera interpretieren; sie fungieren außerdem als Reminiszenz an ein Gebäude, das im Zusammenhang mit dem Gladbecker Geiseldrama (eines der Motive, die verhandelt werden) eine Rolle spielt.
Amanda Lasker-Berlin nimmt auch bewegte Bilder im Privaten mit in den Blick. In der vielleicht beeindruckendsten – und durchaus verstörenden – Passage des Stücks geht es um ein altes Familienvideo, bei dem etwas Schlimmes manifest wird, das zuvor verdrängt wurde.
Für das Stück gilt nicht ohne Grund eine Triggerwarnung. Für alle, die sich trauen, bietet die Inszenierung faszinierende Perspektiven auf ein höchst strittiges Thema. Unbedingt sehenswert.
Weitere Vorstellungen: 4., 8., 23. Februar; 1., 5. März; Karten: Tel. 0521 51-5454.