"Beginnender Schwachsinn": Journalist fassungslos über Porno-Plakat in Bielefelder Uni

Bielefeld. Der Blogger Klaus Kelle ist ein konservativer Journalist, Mitglied der CDU und der umstrittenen Werteunion. Auf seinem Internet-Blog &bdquo;Denken erwünscht“ moniert er aktuell unter der Überschrift &bdquo;ein sicheres Anzeichen für beginnenden Schwachsinn“ ein Plakat, das im Fenster des Schwulenreferates im Obergeschoss der großen Uni-Halle hängt. Es zeigt zwei nackte Männer beim Oralsex. Dass es schon 1992 Grundlage für einen Streit um Pornografie und AIDS-Aufklärung darstellte und sogar zu einem Fernseh-Eklat führte, weiß er offenbar nicht. Denn auf dem Plakat sieht man deutlich, wie einer der beiden Männer den erigierten Penis des anderen im Mund hat. Die Deutsche AIDS-Hilfe hatte das Plakat 1991 mit dem Slogan &bdquo;Blasen o.k. – raus, bevor’s kommt“ herausgegeben, um vor der Übertragungsgefahr des HI-Virus durch Sperma zu warnen. Ex-Bielefelder kritisiert ständige Präsenz der Pornografie Klaus Kelle, der früher an der Bielefelder Uni studiert hat und später hier auch als Journalist tätig war – heute lebt er im niederrheinischen Kempen –, hat offenbar ein Foto davon zugespielt bekommen. Er ist empört. In der ständigen Präsenz von Pornografie sieht er eine Gefahr für die Gesellschaft: &bdquo;Pornografie ist insbesondere schlecht für diejenigen, die durch die leider unbegrenzten Möglichkeiten des Internets süchtig danach werden und so ihre Fähigkeit verkümmern lassen, normale Beziehungen zu führen.“ Er denkt an Konsumenten, die andere Menschen &bdquo;vorrangig als Objekte der eigenen Lust betrachten“. Und der Blogger betont: &bdquo;Pornografie ist in Deutschland nur an Orten erlaubt, an denen Kinder und Jugendliche keinen Zugang haben.“ Dazu stellen sich zwei Fragen: Handelt es sich bei dem Präventionsplakat tatsächlich um Pornografie? Und hängt das Plakat an einem Ort, der auch Minderjährigen zugänglich ist? Porno-Plakat wird in der Uni Bielefeld beschlagnahmt Mit der ersten Frage hatte sich die Bielefelder Justiz bereits 1992 auseinandergesetzt. Das Plakat hing damals schon am Büro des Schwulenreferates. Das Bielefelder Landgericht hatte Ermittlungen aufgenommen und das Plakat im Februar sogar beschlagnahmen lassen. Man musste es aber wegen eines Formfehlers kurz darauf wieder aushändigen. Der Bundesgerichtshof definiert Darstellungen, die &bdquo;unter Ausklammerung aller menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher, anreißerischer Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf das lüsterne Interesse des Betrachters an sexuellen Dingen abzielt“ als Pornografie. Bielefelder Schwulenreferat klebt Banane über die entscheidende Stelle Die Richter bezeichneten dieses Plakat demzufolge als pornografisch. Dann aber gab die Uni ein Gutachten bei ihrem eigenen Professor für Strafrecht in Auftrag und der bezeichnete das Plakat als &bdquo;sexualpädagogisch wichtige Präventionsmaßnahme“. Die Staatsanwaltschaft stellte daraufhin das Verfahren im Oktober wegen Geringfügigkeit ein. Sie blieb also bei der Auffassung, dass es Pornografie zeige, verfolgte aber die Verantwortlichen nicht mehr. Kurz darauf hing das Plakat wieder – allerdings mit einer aufgeklebten Banane an entscheidender Stelle. Heute ist es wieder unzensiert auf dem Rang oberhalb der großen Unihalle zu sehen – übrigens direkt neben dem Feministischen Referat, das mit mehreren Plakaten gegen Sexismus an der Uni protestiert. Dabei bezeichnet auch die Urheberin – die Deutsche AIDS-Hilfe – das Motiv als &bdquo;nicht jugendfrei“. Sie bietet es im Internet zum Download an: allerdings nur für Erwachsene. Plakatmotiv löst auch Zensur-Debatte im WDR aus Bleibt die Frage: Ist eine Uni kinderfreie Zone? Im Februar 1992 hatte eine Lehrerin an dem Plakat Anstoß genommen, nachdem sie mit ihrer Klasse auf dem Weg zum Uni-Hallenbad daran vorbeigekommen war. Tatsächlich stellt Paragraf 184 des Strafgesetzbuches das Verbreiten pornografischer Inhalte an Minderjährige unter Strafe. Das gilt auch an einem Ort, der Personen unter 18 Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann. Die juristische Auseinandersetzung um das von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung finanzierte Plakatmotiv blieb nicht der einzige Skandal. Im Juni 1992 trug der schwule TV-Star Corny Littmann die beiden Liebenden in seiner Sendung &bdquo;Schmidt Mitternachtsshow“ auf dem T-Shirt. Der WDR kippte daraufhin – im Gegensatz zu allen anderen Sendern – aus &bdquo;inhaltlich juristischen Gründen“ die Ausstrahlung. Der spätere Präsident des Hamburger Fußballclubs FC St. Pauli kritisierte die Entscheidung als "unglaubliche Zensur im öffentlich-rechtlichen Fernsehen". Kritiker zeigt Bielefelder Plakat selbst Und heute? Folgt mit Klaus Kelles Beitrag im Jahre 2022 nun der zweite Aufschrei der Empörung? Selbst der 63-jährige Kelle gibt zu bedenken, dass man das Pornografie-Gesetz mit der Erfindung des Internets und des Smartphones getrost in die Tonne treten könne. Sexualität und Pornografie seien &bdquo;überall präsent, auch bei jungen Schülern auf dem Schulhof“. Trotzdem fehlen dem Erfinder des rechtskonservativen Netzwerks &bdquo;Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz“ Empörung und Proteststürme bei der Uni-Leitung. Klaus Kelle kommt daher zu dem Schluss, dass auch er das Plakat zeigen könne – um aufzuzeigen, was an den vom Bürger finanzierten Hochschulen &bdquo;als normal gilt“. Er endet seinen Aufsatz zu dem Porno-Plakat mit dem folgenden Zitat: &bdquo;Der Verlust der Scham ist ein sicheres Anzeichen für beginnenden Schwachsinn“. Er schreibt das Zitat dem Psychoanalytiker Siegmund Freud zu. Doch diesen Satz hat Freud laut dem Blog &bdquo;Falsche Zitate“ nie gesagt. Das erste Mal werde das &bdquo;Kuckuckszitat“ Freud 1959 fälschlicherweise zugeschrieben, und zwar in einem Buch des bekennenden Nationalsozialisten Kurt Ziesel. Es folgten viele andere. Seit 1983 wird das Zitat &bdquo;besonders in rechtsextremen Kreisen verbreitet“, heißt es in dem Blog. Das Schwulenreferat der Uni Bielefeld hat bisher nicht auf die Fragen der Lokalredaktion zu dem Plakat reagiert.

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