Public Viewing in Kneipen und Bars: Ein bisschen WM-Boykott in Bielefeld

Bielefeld. Seit Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer wird diskutiert: Sollte man in diesem Jahr aufgrund von Menschenrechtsverletzungen im Vorfeld der WM auf Public Viewing und Fußballabende verzichten? Eine Straßenumfrage zeigt: Die Bielefelder sind unschlüssig. Und auch in der Gastronomie gibt es unterschiedliche Sichtweisen. Schalten die Bielefelder überhaupt ein? "Wahrscheinlich schon. Sollte man nicht machen, aber es fällt schwer", sagt Niklas Stürz. Die Deutschlandspiele schaue er sich an, das Finale auch. Auf die anderen verzichtet der selbsternannte Fußballverrückte erstmals - als Reaktion auf die Umstände der WM. Die dramatischen Arbeitsbedingungen in Katar machen den 24-Jährigen nachdenklich. "Eigentlich wäre es richtig, gar nicht zu gucken. Aber es bringt auch nicht so viel." (function(d, s, id) { var js,ijs=d.getElementsByTagName(s)[0]; if(d.getElementById(id))return; js=d.createElement(s);js.id=id; js.src="//embed.scribblelive.com/widgets/embed.js"; ijs.parentNode.insertBefore(js, ijs); }(document, 'script', 'scrbbl-js'));Ähnlich sieht es die 18-jährige Antonia Stieghorst. "Würde man gemeinschaftlich sagen, ich boykottiere das, würde ich's machen." Im Sportunterricht hatte sie mit ihrer Klasse über die WM diskutiert. "Die meisten sagen, es gibt ein moralisches Problem, aber wenn die anderen die Spiele nicht boykottieren, mach ich das auch nicht", so die Schülerin. Nur ein Klassenkamerad habe vor, die Spiele nicht zu schauen. Bisher kein Public Viewing angemeldet "Weder staatlich noch vom Klima her haben die Spiele da was zu suchen", sagt hingegen Jürgen Jaehnke. Der 63-jährige Musiklehrer sei "eher angewidert, dass Sport nach Geld und politischen Verwicklungen an dritter Stelle" stehe. Große öffentliche Veranstaltungen zur Fußballweltmeisterschaft sind in Bielefeld bisher nicht bekannt. "Es gibt in diesem Jahr keine Aktionen von Bielefeld Marketing im Rahmen der Fußball-WM", sagt Stadtsprecher Daniel Steinmeier. So war es schon bei den vergangenen Turnieren. Eine Kombination aus Public-Viewing und Weihnachtsmarkt ist nicht geplant. Anträge für größere Aktionen von Gastronomen seien beim Ordnungsamt bisher nicht eingegangen. Bielefelder Gastronomen im Zwiespalt Die "Neue Schmiede" wird keine WM-Spiele zeigen. Das teilte eine Sprecherin der Bodelschwinghsche Stiftungen mit. Aus ethischen Gründen werde davon Abstand genommen. Auch im Rockcafé Bielefeld bleibt der Fernseher aus. Der Brand im Golden-Tulip-Hotel im vergangenen Juli hatte das Café in Mitleidenschaft gezogen. "In diesem Jahr werden wir nicht mehr zurückkehren", sagt Inhaber Niklas Meyer. Im "3Eck" liegt es schlicht am Zeitpunkt: Das Weihnachtsgeschäft kommt der Übertragung in die Quere. Schon jetzt überschneiden sich Weihnachtsfeiern mit den WM-Spielen. "Das können wir nicht machen", sagt Schichtleiter Ibrahim Sulo. Im "Howzit" wird es "keinen Komplett-Boykott" geben, sagt Max Meis, einer der Betreiber. "Wirklich Bock haben wir nicht", so Meis, der der WM kritisch gegenüber steht. Eine große Fanaktion gibt es daher nicht. Bewerben werde er andere Spiele, Rugby etwa und Frauenfußball, in der Hoffnung, dass Gäste sich dafür interessieren. "Aber wenn zehn Leute reinkommen und sagen, macht mal bitte das Deutschlandspiel an, dann machen wir das auch." Im "Three Sixty" werden alle Spiele der deutschen Nationalmannschaft gezeigt, sagt Betriebsleiterin Nadja Stüwe. "Wir sind eine Sportsbar, das ist unser Konzept", so Stüwe. Zwar sehe man die Situation in Katar kritisch. "Aber das ist ein grundsätzliches Problem, was uns im Alltag beschäftigt: Wie werden unsere Handys hergestellt? Wie wird Kleidung produziert?" Man sei auf das Geschäft angewiesen. Welche Spiele sonst übertragen werden - etwa, wenn Deutschland früh aus dem Turnier ausscheidet - kommuniziert die Sportsbar über ihre Facebook- und Instagram-Kanäle. "Bar Celona"-Betriebsleiter Georgios Koukiotis zeigt auf zwei Leinwänden und sechs Fernsehern alle Deutschlandspiele, andere Spiele nach Bedarf. Auch das Café Milestones und der Harmsmarkt werden WM-Spiele übertragen. Alternativen für WM-Verweigerer: Zu früheren WM hatte das Fan-Projekt Bielefeld Public Viewing veranstaltet - in diesem Jahr haben sie sich dagegen entschieden. "Bei dieser WM ist das anders. Die Vergabe war schon irregulär, die Stimmen wurden gekauft", sagt Jörg Hansmeier vom Fan-Projekt. Er kritisiert die Umstände vor Ort, vor allem die "sehr intolerante Regierungshaltung gegenüber Minderheiten, das Verbot von Homosexualität und die vielen Toten". Seit der WM-Vergabe 2010 sind mehr als 15.000 Menschen nicht-katarischer Staatsangehörigkeit gestorben. Wie viele Opfer auf das WM-Projekt zurückzuführen sind, wird nicht veröffentlicht. Offiziell sind laut FIFA drei Arbeiter aufgrund von Arbeitsunfällen beim Stadionbau gestorben. Statt Spiele zu übertragen, organisiert das Fan-Projekt verschiedene Veranstaltungen. Los geht es in der Woche vor der WM: Am Dienstag, 15. November, läuft im Kino Lichtwerk der Film "The Workers Cup". Zwei Tage später lädt der Verein zum Vortrag "Die beste WM aller Zeiten?!" mit der Initiative "Boycott Qatar", die anschließend zur Podiumsdiskussion einladen. Der Titel bezieht sich auf FIFA-Präsidenten Gianni Infantino, der die WM in Katar schon vorab als Turnier der Superlative ankündigte. Der Eintritt ist frei. Doch es soll nicht nur Kritik geübt werden. Für Fußballfans ist eine Alternativveranstaltung während der WM geplant: Am 22. November liest Autor Michael Stoffl aus "In 90 Minuten um die Welt". Stoffl, der weltweit Fußballspiele besucht, berichtet von seinen Erlebnissen.

Meistgelesen