"Mutti’s Bierstube": Darum ist diese Bielefelder Schwulenkneipe eine Institution

Bielefeld. Stolz konnten sie schon immer sein, die Betreiber von "Mutti’s Bierstube" am Kesselbrink. Damals, bei der Eröffnung im Frühsommer 1972, war die Kneipe eine der ersten Schwulen-Bars in Deutschland. Es gab damals nur schon das &bdquo;Na und“ in der verbotenen Stadt hinter Telgte. Elisabeth Tix ("Mutter Tix") eröffnete "Mutti’s" unter ihrer Wohnung vor genau 50 Jahren. Und heute darf man sich getrost auf die Schulter klopfen, wenn man es schafft, eine Kneipe ein halbes Jahrhundert lang am Leben zu halten. Und dann auch noch eine so "exotische" Kneipe. Chapeau! Nach Tix übernahm sechs Jahre später Maria-Renate Dunkum als Wirtin die Geschäfte in der Bierstube. Sie galt als "Mutter der Bielefelder Schwulenszene". 20 Jahre lang hatte sie hinter dem Tresen stets ein offenes Ohr nicht nur für Männer. Neben ihr zapfte Ralf Köhne das Bier aus den Fass-Leitungen, dann übernahm er selbst die Leitung des Ladens – bis 2021. Jede andere alteingesessene Kneipe wäre spätestens dann in die Knie gegangen (siehe Stolander, aus dem ein Pizzaladen wurde oder das Bewekenhorn – nun ein Burgerbrater), nicht aber "Mutti’s Bierstube": Seit Ende letzten Jahres, also mitten im Corona-Winter, haben Leonard Kramer-Balgo und Steven Stark das Zepter und den Zapfhahn in die Hand genommen und führen "Mutti’s" in die zweite Hälfte des Jahrhunderts. Nach Coming-out aus der Wohnung geschmissen Neben Ralf Köhne gehört auch DJ Michael "Inge" Nagel zum Inventar der Nischenkneipe. Inges Geschichte spiegelt den noch sehr verkrampften Umgang mit Homosexuellen Anfang der 1980er Jahre wieder. "Nach meinem Coming-out schmissen mich meine Eltern aus der Wohnung und ich stand mit T-Shirt, Jeans und meinem Fahrrad vor ’Mutti’s’. Mehr hatte ich nicht". Er fährt fort: "Hier in Bielefeld habe ich das erste Mal in meinem Leben Schwule geortet." Am Kesselbrink hat er eine neue Heimat, eine, wie er sagt, "neue Familie"“ gefunden. Seit 36 Jahren legt er hier Platten auf, Barry White, UB40 oder Hot Chocolate ("You Sexy Thing") gehören zu seinen Standards. Die Zeiten waren damals anders. Auf der anderen Seite der schweren Eingangstür mit Sicht-Klappe standen schon Skinheads mit Pfefferspray in der Hand. Die couragierte Wirtin Dunkun, die von Ralf Köhne posthum als "Freigeist" bezeichnet wird, konterte mit heißem Öl aus der Schöpfkelle. Akzeptanz und Toleranz war für viele ein Fremdwort, Schwulsein war ein Grabenkampf. Auch der ein oder andere Molotow-Cocktail prallte vor die Tür des Lokals. Diese Promis waren schon da Man blieb sich treu und ließ sich nicht beirren. Cocktails bei "Mutti’s" heißen heute "Gebumster" oder "Blow Job mit Sahne", zum 30. Geburtstag packte man den ganzen Laden in Watte als Deko-Gadget. "Ich bin mit der Watte zum Ordnungsamt und hab’ ihnen beweisen müssen, dass die Watte nicht brennt", denkt Ralf Köhne gerne an die Zeit zurück und sicher auch an die Watte-Party. Er berichtet von Paradiesvögeln, die extra aus Köln anreisten, um bei "Mutti’s" zu feiern und er erzählt verklärt von Promi-Besuchen, etwa von Angelika Milster oder DJ Ötzi. "Hier bei ’Mutti’s’", betont er, ist jeder willkommen, egal ob er schwul oder hetero ist. Und es gibt klare Regeln: "Wenn eine ’Hete’ hier dreimal angemacht wird, dann schreite ich ein", erklärt Köhne. Im Eingangsbereich hängt ein DIN-A4-Zettel, auf dem steht, dass es verboten ist, Frauen anzubaggern – auf arabisch! "Das Leben ist bunt und bleibt bunt", richten die neuen Betreiber der Bierstube einen Blick nach vorn. Leo und Steven, der eine gelernter Elektriker, den andere Frisör, haben bei der Geschäftsübernahme baulich nur kosmetisch einiges verändert. Warum auch? Ihr Konzept: "Mutti’s bleibt Mutti’s".

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