Unfassbar: 12 große Wohnungen in Bielefelder Toplage stehen seit 2015 leer

Bielefeld. Gut 1.500 Quadratmeter leerer Wohnraum seit sieben Jahren - in bester Altstadt-Lage am Kunsthallenpark. Das klingt skandalös. Zwölf Wohnungen, jede 120 und mehr Quadratmeter groß. 50 Menschen könnten im Haus Obernstraße 53-55 leben, dem prächtigen Tor zur Altstadt mit der L'Osteria im Erdgeschoss. Ältere Bielefelder sprechen vom Dixi-Haus, nach einem Musik-Lokal aus den 70ern. Das 1905 erbaute Haus brannte 2011, seither steht es fast leer. Vier Klagen laufen noch Nach viel Hickhack sollte das um ein Geschoss erweiterte und historisch sanierte Haus 2015 wieder bewohnbar sein. Reibereien mit dem Bauamt und dem Architekten gab es, geblieben sind die Reibereien mit dem Architekten, der heute im Ruhestand ist - und dessen Nachfolger Jürgen Pohlmann den Auftrag 2016 nach eigener Aussage nicht mit übernommen hatte. Der damalige Architekt selbst reagiert auf Anfragen nicht. Vier Verfahren liegen bei Gericht, betont Eigentümerin Isabel Ermisch aus Göttingen. Es geht zweimal gegen den Architekten und zweimal gegen Baufirmen. Ermisch mit Blick auf den Architekten: Es handele sich um "eine Schadensersatzklage infolge mangelhafter Architektenleistung - in erster Linie infolge unzureichender Bauüberwachung und aufgrund von Planungsfehlern -, sowie um eine Honorarrückforderungsklage". Die Mühlen der Justiz Erhebliche Mängel seien der Grund, vor allem im Dachbereich. Stichwort: Wassereinbrüche. Es seien sogar Leistungen abgerechnet worden, die nicht erbracht worden seien. Bis September 2016 hatten Architekt und Handwerker laut Ermisch Zeit fürs Nachbessern, das sei nicht geschehen. Ermisch: Es war "eine sogar recht großzügige Fertigstellungsfrist". Gelder seien zurückbehalten worden. Nun mahlten die Mühlen der Justiz, "bekanntlich langsam", so Ermisch, auch mit Blick auf Corona. "Man hat sich verrannt" Ein Mann, der seit Jahren mit dem Vorgang vertraut ist, kritisiert: "Es wurde von allen Seiten versäumt, sich einmal gemeinsam hinzusetzen und die Probleme abzuräumen." Kompromissbereitschaft habe gefehlt, nun liege alles vor Gericht. Die Eigentümer, eine Erbengemeinschaft, für die Ermisch steht, hätten eine hohe juristische Affinität und seien deshalb "weniger menschlich, sondern mehr juristisch unterwegs". Es gebe eine große Hartnäckigkeit, "man hat sich wohl verrannt". Rechnerisch sind Mieten in Millionenhöhe futsch, das Problem wächst und wächst. Die Chancen auf Einigungen schwinden. Bemerkenswerte Streitbarkeit Darüber schüttelt auch Wolfgang Dewitz, Chef der L'Osteria, den Kopf: "Wäre man konsens- und lösungsorientiert, hätte man hier viele Jahre früher Wohnraum haben können." Doch ständig werden Anwälte engagiert. Eine Psychologische Praxis, die zwischendurch über mehrere Jahre einziger Mieter im 2. Obergeschoss war, bekam den Mietvertrag nicht verlängert. Auch hier: juristischer Zoff. Kein Einzelfall. Dewitz sagt nur: "Ich habe mit dem Architekten und vielen der Handwerker auch zusammengearbeitet, teilweise bis heute, und bezüglich derer Qualitäten kann ich nichts Schlechtes sagen." Es scheint also eine gewisse Streitbarkeit Teil des Dilemmas zu sein. "Das ist verwerflich" Fakt ist: Der gesellschaftliche Schaden ist enorm. Frank Strothmann (CDU, Vorsitzender des Stadtentwicklungsauschusses), erfährt über die NW-Anfrage von dem Vorgang, er sagt: "Sozialpolitisch und sozialökonomisch ist das verwerflich." Er wolle keine Schuld zuweisen, dafür kenne er die Hintergründe nicht. Er betont: "Einerseits steht Eigentum eindeutig über allem, andererseits verpflichtet es aber auch." Heißt: Angesichts von knappem Wohnraum seien jahrelange Leerstände untragbar. "Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir von der Politik und der Stadt aus mit den Eigentümern ins Gespräch kommen". Ob diese Initiative etwas bringt? Fraglich. Denn, so Ermisch: "Solange der verantwortliche Architekt und dessen Versicherung nicht einsichtig sind, sondern neben den bereits vorliegenden Sachverständigenexpertisen, die durch drei öffentlich bestellte und vereidigte Bausachverständige erstellt wurden, noch auf weitere gerichtliche Gutachter bestehen, sind uns leider die Hände gebunden. Würden wir in dieser Situation die vorhandenen Mängel auf eigene Veranlassung beseitigen lassen, würden wir uns sogar wegen Beweisvereitelung strafbar machen." "Absolut unverständlich" Klingt verfahren, verhärtet. Architekt Jürgen Pohlmann, der das Büro vom beklagten Architekten übernahm: "Alle am Bau Beteiligten stellen sich die Frage, warum es damals nicht fertig gestellt worden ist." Die Sanierung sei "zu 95 Prozent abgeschlossen" gewesen, nur Restarbeiten im Dachbereich seien offen gewesen. "Seitens der Eigentümer ist nicht einmal eine Vermietungsabsicht erkennbar." Für ihn ist absolut unverständlich, wie hart und lange der Disput geführt wird. "Bauamt ist sehr kooperativ" Wer Schuld daran ist? Schwer zu klären. Finanzielle Probleme oder Streit bei den Eigentümern gibt es nicht, so Ermisch. "Wir sind finanziell solide aufgestellt und ziehen an einem Strang." Auch mit dem Bauamt gebe es keine Probleme, es sei "sehr entgegenkommend und kooperativ" und "über die bestehenden Schwierigkeiten informiert". Das Bauamt bestätigt letzteres. Deshalb stehe &bdquo;eine Bauzustandsbesichtigung zur abschließenden Fertigstellung noch aus“. Am Ende scheint es so zu sein, dass Anwälte und Versicherungen (Architektenhaftpflichtversicherung) den Vorgang dominieren. Leidtragend: Wohnungssuchende. Zwar ist es wahrlich kein sozialer Wohnungsbau, aber jeder, der hier hinzieht, hinterlässt woanders Wohnraum, der vielleicht größer und bezahlbarer ist. Und damit wertvoll für Bielefeld, so Politiker Frank Strothmann.

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