Am Botanischen Garten in Bielefeld eröffnet eine ganz besondere Konditorei

Bielefeld. Für ihren süßen Zahn sind die Bielefelder bekannt. Nimmt doch die Stadt mit etwa 30 Konditoren deutschlandweit einen Spitzenplatz ein. Ist da überhaupt noch Platz für mehr? Die Neue im Kreis der lokalen Zuckerbäcker heißt Naira Runte, eine staatlich geprüfte Konditorin mit ungewöhnlicher Biografie. Auch ihre Torten sind nicht alltäglich. Ein sich windender Aal dekoriert mit Kaviar, die Shopping-Bag mit dem Logo einer Luxusmarke, eine Schatzkiste mit Goldmünzen oder ganz einfach: knallrote glänzende Herzen. Alle essbar, alle handgemacht und vor allem: süß. Ein paar Beispiele nur aus der Manufaktur der 45-Jährigen, die 2015 ihre Heimat Armenien verließ und der Liebe wegen nach Bielefeld kam. In Eriwan, der Hauptstadt, hatte Runte als Lehrerin und später in einem Entwicklungsprojekt gearbeitet. Außer Armenisch sprach sie Russisch und Englisch. Deutsch musste sie in der neuen Heimat erst lernen. Den Wechsel in die andere Kultur erleichtert hatte ihr neben dem Ehemann ihre Schwester, die ebenfalls in Deutschland lebte. Ihr Name: Astghik, was übersetzt so viel bedeutet wie Sternchen. Im fremden Land besannen sich die Geschwister auf eine alte Familientradition: Backen, so wie es auch die Mutter und die Großmutter immer gemacht haben, mit regionalen Zutaten. Ob Nüsse, Mandeln, Trauben, Kräuter oder Honig – Armenien ist eine wahre Schatzkammer, aus der sich Konditoren dort gern bedienen. Auch in Deutschland arbeiteten die Schwestern nahezu ausschließlich mit Produkten ihrer Heimat. Später wollten sie gemeinsam ein Café eröffnen, irgendwann. Davon träumten beide. Armenische Spezialitäten Die Dinge entwickeln sich anders. Astghik, die Schwester, wird unheilbar krank. Vor drei Jahren stirbt sie. Doch bringt das Naira nicht ab vom ursprünglichen Plan. &bdquo;Ich wollte diesen Traum unbedingt erfüllen“, sagt sie. &bdquo;Wenn die Erinnerung lebt, dann leben auch die Menschen weiter.“ Um ihr Ziel, ein eigenes Café, möglichst schnell zu erreichen, bucht sie Online-Kurse, darunter auch einige in ihrer Heimat. Die größte Herausforderung folgt, als sie sich bei der Handwerkskammer zur Prüfung zur Konditorin anmeldet. Anderthalb Jahre bleiben für die Vorbereitung. &bdquo;Leicht war es für mich nicht, die unterschiedlichen Fachbegriffe in deutscher Sprache zu lernen“, erzählt Runte. Als dann die Termine näher rücken, fällt der praktische Teil in die Zeit des Lockdowns, der Prüfer kommt ins Haus. Sechs Stunden lang muss die 45-Jährige den Mann von ihrem Können überzeugen. Sechs Stunden, in denen sie eine Blätterteigtorte backt und eine Gata, so heißt die armenische Kuchenspezialität aus fein gemahlenen Mandeln. Außerdem trumpft Runte mit einer Schwarzwälder Kirschtorte auf. Allerdings ist die in Armenien eher als Betrunkene Kirsche bekannt und enthält statt Kirschwasser einen original armenischen Cognac mit Namen Ararat. Dass sie übers Backen hinaus auch über theoretische und kaufmännische Kenntnisse verfügt, kann sie in zwei folgenden Blöcken dann in den Räumen der Handwerkskammer beweisen, nach dem Lockdown. Nach allen bestandenen Prüfungen ist Naira Runte offizielles Mitglied der Handwerkskammer für die Herstellung armenischen Spezialitäten Ein eigenes Café – die Erfüllung des Traums scheint nun greifbar nah. Passende Räume in der Stadt sind bald gefunden. &bdquo;Sternchen“ soll das Lokal heißen, benannt nach der Schwester. Doch ein weiterer Lockdown lässt den Plan platzen. Naira Runte will nicht so einfach aufgeben, hält hartnäckig an ihrem Plan fest und entscheidet sich dann für eine Konditorei mit Außer-Haus-Verkauf und Lieferservice. So lange, bis sie in weniger ungewissen Zeiten doch noch ihr Café eröffnen kann. Unterstützung bekommt sie von ihrem Mann. Ingo Runte, Mediziner am Evangelischen Krankenhaus (EvKB), lässt die erste Etage des gemeinsamen Einfamilien-Hauses nah am Botanischen Garten zu Gewerberäumen umbauen. Eine modern eingerichtete Back-Küche ist der neue Arbeitsplatz der frisch geprüften Meisterin. Und draußen vor der Tür wird nach Auflage der Behörde ein zusätzlicher Kundenparkplatz geschaffen. In der Nachbarschaft stecken sie Flyer in die Briefkästen, werben damit für die Konditorei &bdquo;Sternchen“.Personalisierte Kunstwerke besonders gefragt Das Echo ermutigt die Jung-Unternehmerin. Ihre personalisierten Arbeiten sind gefragt. Die Torte zum 25. Geburtstag einer jungen Frau, dekoriert mit deren auf Esspapier gedruckten Fotos – zum Anschneiden zu schade. Oder der Frühlingshut aus gewelltem grünen Fondant, unter dem eine Schoko-Buttercrème steckt. Oder das nachgebackene schwarz-weiße Logo einer Automarke, das eine Mutter ihrem Sohn als Beigabe zum ersten eigenen Fahrzeug schenkt. Anlässe, mit kreativem Gebäck zu überraschen, gibt es reichlich. &bdquo;Und was die Kunden wünschen, bekommen sie auch“, so Runte. Sogar den bereits erwähnten Aal, den ein Angler als Anerkennung für einen besonders guten Fang erhielt. Der Fisch ist nichts anderes als ein Kuchen mit bläulich schimmernder Glasur, der Kaviar dazu eingedickter Fruchtsaft. Und die Zuckerbäckerin, welche Sorte mag die am liebsten? &bdquo;Alles mit Nüssen, Honig und ein wenig Alkohol“, sagt sie, öffnet die Kühlschranktür und zieht eine Flasche heraus: Weinbrand aus ihrer Heimat. Ein anderer käme bei Naira Runte nicht in den Kuchen. www.sternchentorten.de

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