Neubau Echter Hingucker: Das ist das ungewöhnlichste Parkhaus in Bielefeld

Bielefeld. Parkhäuser sind in der Regel keine Hingucker. Nüchterne Zweckbauten, die viel Platz brauchen und in die Höhe ragen. Und zur Klimarettung tragen sie auch nicht wirklich bei. Aber das könnte sich ändern - zumindest ein bisschen. Das hat mit Fassaden aus Stoff zu tun. Das neue Schüco-Parkhaus an der Schücostraße 10 hat eine solch ungewöhnliche Fassade, die vor allem im Dunkeln zum echten Hingucker wird. Farbige Lichteffekte lassen überall Spitzen hervortreten, denn der Kubus ist von einem Gewebe umhüllt, dessen Unterkonstruktion so konzipiert ist, dass sich ein 3D-Effekt einstellt. Ein Vorzeigeobjekt für den heimischen Spezialisten für Systemlösungen bei Fenster, Türen und Fassaden. Facid nennt sich dieses Fassadensystem, dass natürlich nicht nur bei Parkhäusern, sondern bei Gebäuden aller Art zum Einsatz kommen kann. Und die Bezeichnung "Stoff" ist für die verwandten technischen Textilien viel zu banal. Sie können nicht nur gut aussehen und vor Sonne schützen, sondern auch helfen, klimaschädliches Kohlendioxid einzusparen, Autoabgase einzufangen oder Energie zu produzieren. Mit Blick auf den Klimawandel interessante Zukunftsperspektiven. Gestaltung und Nachhaltigkeit "Textile Architektur gibt es schon sehr lange", erklärt Henning Kühn. Der Diplom-Ingenieur ist Technischer Projektleiter bei Schüco für Sonnenschutz und textile Fassaden. Seit den 1950er Jahren werde damit gearbeitet. "Angefangen hat es mit Zeltbau und der Überdachung mit gebogenen Dächern", sagt Kühn. Schirme, Sonnensegel und textile Hüllen bezeichne man als klassischen Membranbau. Technische Textilfassaden gibt es ebenfalls schon mehrere Jahrzehnte, aber erst so nach und nach wachse die Erkenntnis, welche Vorteile sie bei Gestaltung und Nachhaltigkeit haben können. Das 18 Meter hohe, achtstöckige Schüco-Parkhaus mit seinen 732 Stellplätzen ist von fast 3.000 Quadratmetern teflonbeschichtetem Glasfasergewebe faltenfrei umspannt. Die Unterkonstruktion aus Stahl und Aluminium sowie ein patentiertes Spannsystem geben der Hülle ihre drei- oder zweidimensionale Form. Sobald es dunkel wird, schaffen eine LED-Beleuchtung und bewegungsabhängige Innenbeleuchtung die Lichteffekte. "Wir haben das Parkhaus mit dieser besonderen Hülle und den verdrehten Teilflächen versehen, um zu zeigen, was geometrisch möglich ist", betont Henning Kühn. Polyester-Gewebe, die ebenfalls verwandt werden, haben den Vorteil, dass man sie bedrucken kann. Zudem stellen beide eine hohe Recycling-Fähigkeit in Aussicht. Freie Durchsicht von innen nach außen Tagsüber sei das Gewebe transparent, es bleibe eine freie Durchsicht von innen nach außen. "Das ist so ähnlich wie in Bussen", erklärt Henning Kühn. "In den Scheiben gibt es doch diese Pünktchen-Folie, die die Sonne abhalten soll. Hindurchsehen kann man trotzdem." So ähnlich funktioniere das auch beim Mikrogewebe. Man habe einen effektiven Sicht- und Sonnenschutz, aber trotzdem die gewünschte Transparenz. Forscher arbeiteten mit Augenärzten zusammen, um das Gewebe so zu entwickeln, dass es das Auge nicht stört. Deshalb sei es auch kein Problem, Fensterflächen mit dem Hightech-Gewebe zu überspannen. "Der Energieeintrag ins Gebäude kann aber durch die hinterlüfteten Fassaden deutlich reduziert werden." Der Kamineffekt lasse die Wärme nach oben abziehen. Dieser Kühlungseffekt könne gerade in den sich immer mehr aufheizenden Städten hilfreich sein. Denn was sich weniger aufheizt, muss an heißen Tagen weniger gekühlt werden. Jan Serode ist Architekt und forscht zu textilen Fassaden. Er steht in engem Kontakt zu Schüco und Henning Kühn. Für die von Schüco gelieferte Textilfassade des Herforder Küchenherstellers Eggersmann habe er beispielsweise errechnet, dass durch deren Einsatz pro Jahr zusätzlich 1,4 Tonnen Kohlendioxid eingespart werden können, weil die Klimageräte entsprechend weniger arbeiten müssen, schildert Kühn. Umgekehrt sei es im Winter durch adaptive Fassaden möglich, Wärmeeinstrahlung bis auf Gebäudeaußenwand und Fenster durchdringen zu lassen. Minisolarzellen werden eingewoben Jan Serode und sein Team forschten aber auch in Richtung Photovoltaik und Solarthermie, erzählt Henning Kühn. Es gebe bereits Prototypen von Textilfassaden zur Strom- und Wärmegewinnung. Dazu habe man aus alten Photovoltaikanlagen Kugelsolarzellen aus Silizium hergestellt, die in die Textilien eingewoben werden. Damit habe auf großen Flächen tatsächlich Energie erzeugt werden können. "Darin steckt ein Riesenpotenzial", ist sich der Schüco-Ingenieur sicher, "aber das Verfahren ist kompliziert und in der Industrie noch nicht einsetzbar." Eine andere Funktion von Textilfassaden funktioniert hingegen schon ganz gut: Schadstoffe aus der Luft zu filtern. Der Hamburger Shoppingriese ECE, der auch das Loom gebaut hat, hat in seiner Heimatstadt für ein Pilotprojekt eine 30 Quadratmeter große Fläche zur Verfügung gestellt. Auf Basis der Doktorarbeit von Jan Serode hat Schüco die Fläche mit einer Facid-Bespannung versehen, die mit Titandioxid (TiO2) beschichtet ist. Diese Beschichtung, erläutert Henning Kühn, binde durch einen photokatalytischen Prozess Autoabgase (Stickoxide) aus der Luft und lagere diese als Nitrat am Gewebe ab. "Der nächste Regen wäscht das einfach ab. Oder man fängt das Nitrat auf und produziert daraus Pflanzendünger", schildert der Fachmann.Textil bindet Autoabgase aus der Luft Erste Messungen hätten gezeigt, dass TiO2-beschichtete Gewebe in der Lage seien, rund 30 Prozent Schadstoffe aus der Luft zu filtern. Weil alle Beteiligten von dem Ergebnis überzeugt seien, werde noch in diesem Jahr ein Objekt mit etwa 500 Quadratmetern bespannt. "Schüco und ECE arbeiten hier mit der Stiftung Lebendige Stadt zusammen", erklärt Henning Kühn. Diese Fassade werde dann in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Jülich über ein Jahr lang unter die Lupe genommen, um aussagekräftige Messergebnisse zusammenzutragen, welche Auswirkungen das aufs Stadtklima haben kann. Schüco produziert weder die Stoffe, bedient sich zumeist des größten Herstellers von Texilgewebe in Frankreich, Serge Ferrari, noch stellt die Firma die Aluprofile selbst her. "Wir bieten die einzigartige Systemtechnik, helfen bei der Planung und lassen die Ware nach den Wünschen der Kunden passgenau konfektionieren", schildert Henning Kühn die Arbeit des Systemanbieters. Mit Facid habe Schüco ein bisher in Deutschland einmaliges Angebot. In Bielefeld kommt es demnächst beim Bau des "Lenkwerk No. 1" zum Einsatz und in Gütersloh noch einmal am "Gleis 13". Dort, am ehemaligen Güterbahnhof wird nach dem "FitX"-Gebäude der Schüttflix-Tower mit Textil umspannt.

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