Einmaliges Angebot in OWL Wenn zu viel Speck auf den Rippen schwer krank macht

Bielefeld. Marius Müller-Westernhagen kann wirklich von Glück sagen, dass er ein so dünner Hering ist und damit schneller wäre. Schneller als jene, die er in seinem Song "Dicke" verunglimpft und ihnen mit den verarbeiteten Vorurteilen einen Bärendienst erweist. Damals, 1978, als das Lied herauskam, das sich so wunderbar zum Mitgrölen eignet und heute, da mehr als die Hälfte der Deutschen übergewichtig ist. Gegen deren Stigma kämpft Beate Herbig seit mehr als 20 Jahren. Sie ist Chefärztin der brandneuen Adipositas-Klinik am Klinikum Rosenhöhe, die ab Januar 2022 in die praktische Arbeit einsteigt. "Dicke haben schrecklich dicke Beine / Dicke ham'n Doppelkinn / Dicke schwitzen wie die Schweine / Stopfen, fressen in sich 'rin", singt MMW. Damit wird unterstellt, dass alles nur eine Willenssache ist. Gemäß dem Motto "Wenn Du Dich einfach mal anstrengst, würdest Du auch abnehmen". "Deshalb", sagt Beate Herbig, "ist bei den Betroffenen Versagen das vordringliche Gefühl." Vor allem in einer Gesellschaft, in der Schlanksein das Ziel ist, Diätwahn alltäglich und schon Kinder dank sozialer Medien ein gestörtes Körpergefühl entwickeln. Auch die Genetik spielt eine Rolle Dabei, sagt die Medizinerin, seien Übergewicht, Adipositas und Essstörungen komplexe, oft chronische, nicht heilbare Erkrankungen, die von vielen Faktoren beeinflusst würden - keine Abweichung vom Schönheitsideal. Essen, Ernährung und Lebensweise gehören natürlich dazu, aber auch Genetik, andere Erkrankungen oder Medikamente. "Es gibt auch eine große Verknüpfung von Adipositas und Diabetes Typ 2", erklärt Herbig. Und zu viel Speck macht dann noch zusätzlich krank: Gelenk- und Lebererkrankungen, Bluthochdruck, Schlafapnoe, Herzinfarkt, Schlaganfall, seelische Erkrankungen - und Unfruchtbarkeit bei jungen Frauen. Ab wann ist man denn nun zu dick? Der Body-Maß-Index ist ein wesentlicher Maßstab und dient der Abschätzung des Körperfettanteils. Er setzt das Körpergewicht ins Verhältnis zur Körpergröße (kg/m2). Beispiel: Eine Frau mit 1,70 Meter Größe und 73 Kilo Gewicht hätte einen BMI von 25,3 - und hätte damit schon leichtes Übergewicht. Je nach Höhe des errechneten Werts unterscheidet die Deutsche Gesellschaft für Ernährung fünf Kategorien: Untergewicht (BMI weniger als 18,5), Normalgewicht (18,5-24,9), Übergewicht (Adipositas Grad I, 25-29,9), extremes Übergewicht (Grad II, 30-40) und massive Adipositas (Grad III, mehr als 40). Darum ist der BMI nicht alles Doch weil der BMI nicht alles ist, steigen die Patientinnen und Patienten in der Bielefelder Adipositas-Klinik auch auf eine spezielle "Waage", die die Körperzusammensetzung misst - Wasser, Fettanteil, Muskelmasse und mehr werden auseinanderdividiert. Die spaßeshalber gerne herangezogenen "schweren Knochen" sind damit raus. Auch das Alter spielt eine Rolle, der Stoffwechsel ändert sich und damit auch die Zusammensetzung unsers Körpers. Mehr Infografiken finden Sie bei Statista Zwei Drittel aller deutschen Männer sind übergewichtig, die Hälfte aller Frauen hat einen BMI von über 25. Knapp ein Viertel der Deutschen liegt über 30 und hat damit extremes Übergewicht. "Mehr als 1,4 Millionen Deutsche haben einen BMI von über 40", schildert Beate Herbig. Von den rund 7,5 Millionen Typ-2-Diabetikern seien die meisten adipös. "Jahrzehntelang hat man weltweit das alleinige Augenmerk auf den Fettverzehr gelegt", erklärt die Chefärztin. "Dabei ist übersehen worden, dass die massive Zunahme von leicht verdaulichen Kohlehydraten reichlich dick macht." Dazu zählen Weizenbrötchen, aber auch Kartoffeln oder Nudeln. "Auf alle Fälle Finger weg von fettreduzierten Lebensmitteln, da wird Fett oft durch Zucker ersetzt", rät die Adipositas-Spezialistin. Der Zuckerkonsum ist insgesamt für sie das wesentlichere Problem. "Fast 80 Prozent der verarbeiteten Lebensmittel habe Zuckerzusätze, weil Zucker auch ein Geschmacksträger ist." Fettleber wird zum Problem Der Körper braucht zwar Zucker, weil einer seiner Bausteine, die Glucose, von jeder Zelle als Energiequelle benötigt wird. Aber der zweite Baustein, die Fructose (auch in Obst enthalten), wird ausschließlich in der Leber verarbeitet. "Und ein Teil dort in Fett umgewandelt", schildert Beate Herbig. Eine Fettleber ist die Folge, mit Leberzirrhose als möglichem Endstadium. "In den USA wird in Kürze die Fettleber Hauptgrund für eine Transplantation sein, noch vor Alkohol oder Krebs." Mehr Statistiken finden Sie bei Statista Schwer übergewichtige Menschen werden in der neuen Adipositas-Klinik umfassend beraten. "Wir geben dieser hochstigmatisierten Gruppe von Patienten ein empathisches Zuhause", verspricht Beate Herbig für ihr Team, zu dem auch Oberarzt Sherif Metwalli und Koordinatorin Stefanie Wirtz gehören. Ein Ort, wo sie sich angenommen fühlen könnten und ihnen ohne Vorverurteilung begegnet werde. Und, wenn es der nachhaltigen Behandlung dient, werden sie dort auch operiert, beispielsweise der Magen verkleinert oder mit einem Bypass-Verfahren umgangen. Gebe es klare Voraussetzungen und Indikationen müsse die OP auch von den Krankenkassen bezahlt werden. Vor 20 Jahren in Hamburg Fachklinik aufgebaut Beate Herbig ist von Hause aus Viszeralchirurgin, spezialisiert auf Bauchchirurgie, seit 1997 auf die Behandlung von adipösen Patienten. Vor 20 Jahren hat sie in Hamburg eine Adipositas-Klinik aufgebaut, die nach ihren Worten heute zu den größten Fachzentren in Deutschland gehört. In Deutschland wird ihrer Ansicht nach zu selten und zu spät operiert, obwohl es wissenschaftlich erwiesen sei, dass Menschen mit einem BMI ab 40 es nicht aus eigenen Stücken schaffen, langfristig abzunehmen - mit allen negativen Folgen für ihren Organismus. Warum sie von der Alster in den Teutoburger Wald gewechselt ist? "Der Liebe wegen", sagt die 62-Jährige und lacht. Fünf Jahre sei sie gependelt, zuletzt mit zunehmenden Widerwillen. Dann sei das Angebot aus Bielefeld gekommen, hier ein Adipositas-Zentrum aufzubauen. Michael Ackermann, Geschäftsführer des Klinikums Bielefeld, ist jedenfalls froh, die ausgewiesene Expertin gewonnen zu haben. So habe das medizinische Leistungsspektrum der Rosenhöhe erneut weiterentwickelt werden können. Und das Angebot wird schon gut nachgefragt: Der Sprechstunden-Kalender für Januar ist bereits voll. Hier finden Sie den direkten Kontakt zur Adipositas-Klinik Bielefeld An der Rosenhöhe gibt es auch Adipositas-Selbsthilfegruppen AdipositasHilfe Deutschland e.V.

Mehr zum Thema