Weihnachtsgeschichten vom Hauptbahnhof

Bielefeld. Einen Tag vor Heiligabend herrscht auf dem Bielefelder Bahnhof buntes Treiben. Wie Lastenesel bepackt schleppen Menschen, rucksackbepackt, schwere Koffer hinter sich her, wuchten sie die Treppen zu den Bahnsteigen hoch. Kinder nölen an der Hand, ist doch die nahende Ankunft des Christkinds kaum mehr auszuhalten. Unaufhörlich rollen die Züge ein, bringen Reisende zum Weihnachtsfest nach Bielefeld oder transportieren sie zu ihren Lieben weit weg. Leon und Theresa zeigen noch ein fröhliches Lächeln in ihrem Gesicht. Doch sie müssen sich jetzt trennen. Der Student fährt zu seinen Eltern nach Marl im Ruhrpott, die Studentin nach Warendorf zu ihren Angehörigen. &bdquo;Für meinen Opa habe ich noch schnell eine dicke Wochenzeitschrift gekauft. Er langweilt sich immer so", erzählt Leon. Kirchgang fällt aus Beide erwartet zu Hause ein traditionelles Weihnachtsfest. In Marl fällt der Kirchgang in diesem Jahr aus. Die Angst, Opa könnte sich anstecken, ist groß. Dafür bereitet die Mutter ein festliches Menü mit Wild und Fisch, dazu Semmelknödel, vor. Und bevor es an die Geschenke geht, wird zunächst das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach gehört, klassische Weihnachten eben. Und dann laufen schon ihre Züge ein und reißen das Paar bis zum zweiten Weihnachtstag auseinander. Kalt und zugig, wie sollte es sonst auf einem Bahnhof sein, ist es auf Bahnsteig 4. Adrian fällt sofort mit seiner großen Gitarre, die über seiner Schulter baumelt, auf. Ursprünglich kommt er aus der Nürnberger Ecke, macht aber gerade seinen Master-Abschluss an der Bielefelder Uni. &bdquo;Ich fahre jetzt über Hannover nach Würzburg. Dort holt mich mein Bruder ab, und dann geht es zu den Eltern ins Nördlinger Ries", erzählt Adrian, 29 Jahre alt. Er freut sich auf ein besinnliches Weihnachtsfest und hofft, notensicher die am Tannenbaum gesungenen Weihnachtslieder mit seiner Gitarre begleiten zu können. Als Belohnung soll es an Heiligabend russischen Kartoffelsalat mit Würstchen geben. Sein Koffer ist relativ klein. Die Schwester hat Geschenke für die Eltern besorgt. Welche, das kann er nicht sagen. Ab es käme von Herzen, schmunzelt Adrian und steigt mit freundlichem Gruß in den ICE Richtung Hannover. Das muss Liebe sein! Das muss Liebe sein! Innig aneinander gepresst stehen Harriet und Max auf dem kalten Bahnsteig. Der ICE, mit dem die junge Frau aus Frankfurt kam, hat schon lange den Bahnhof verlassen, als die beiden sich immer noch verträumt auf dem Bahnsteig küssen. Am Mittwochnachmittag ist Harriet in Lusaka, der Hauptstadt Sambias, gestartet. Mit dem Flugzeug ging es zunächst nach Addis Abeba, Äthiopiens Hauptstadt, und dann weiter nach Frankfurt. Für die Sambesierin ist es das zweite Weihnachtsfest in Bielefeld. Während eines Forschungsprojekts in Sambia hat Max sich hoffnungslos in die Ostafrikanerin verliebt und sie in ihn. &bdquo;In meinen großen Koffern befinden sich neben Geschenken viele dicke Kleidungsstücke", erzählt Harriet und lacht. Gestern waren es bei ihre zuhause noch 30 Grad. Während ihre Eltern dort das Weihnachtsfest mit Gesang und großem Barbecue begehen, erwartet sie bei Max ein klassischer Rinderbraten mit Rotkohl und Klößen. Am 15. Januar wird sie heimfliegen, Tränen werden wieder fließen, dann wegen des Abschiedsschmerzes. Tränen fließen Tränen fließen auch bei den Eltern von Linda. Ihre Tochter wohnt seit acht Jahren in Manchester. Vorsorglich ist sie bereits vor zwei Wochen mit ihrer drei Monate alten Tochter Lilli in Bielefeld eingetroffen und die Weihnachtsfeier wurde vorgezogen. Die junge Mutter hatte in dem von vielen Corona-Infektionen geplagten Großbritannien befürchtet, nicht nach Deutschland einreisen zu können. So wurde das Weihnachtsfest kurzum vorverlegt. Bei Rouladen, Rotkohl und Klößen feierte man nach eineinhalb Jahren endlich ein Wiedersehensfest. Und Lindas Eltern konnten ihre neugeborene Enkelin zum ersten Mal begrüßen. Frische Brötchen an Weihnachten: So öffnen die Bäckereien in Bielefeld Doch jetzt heißt es Abschied nehmen. Vom Flughafen Düsseldorf geht es nach Manchester, und Linda hofft, dort gegen 21 Uhr einzutreffen. Ihr Verlobter kann sie nicht abholen, der ist beruflich unterwegs und bringt als Pilot Passagiere an ihre Ziele. &bdquo;Ich hoffe, dass unsere kleine Familie gemeinsam am 1. Weihnachtstag feiern kann", sagt Linda. Ihr Zug läuft ein und die feuchten Augen bei allen, die sich jetzt trennen müssen, sind nicht zu übersehen. Auf den Weg machen sich auch Anna und ihre Kinder Elia und Leonhard. &bdquo;Meine Mama ist nicht mehr so mobil. Wir holen sie in Gelsenkirchen ab und feiern bei uns in Lemgo", strahlt sie über das ganze Gesicht. Im Bahnhof spürt jeder die Weihnachtsstimmung.

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