Bielefelderin ist gefangen in den eigenen vier Wänden

Bielefeld. Den ganzen Tag zu Hause verbringen zu müssen, hat in den Lockdown-Monaten vielen Menschen zu schaffen gemacht. Doch was für die meisten ein Ausnahmezustand war, ist für Carola Schnell trauriger Alltag. Die Bielefelderin kann ihre Wohnung allein fast nie verlassen, ein spontaner Ausflug ist für sie undenkbar - und dabei ist die 56-Jährige eigentlich alles andere als eine Stubenhockerin. Seit einem schweren Motorradunfall 1982 hat sich für die lebensfrohe Frau alles verändert. Nur zwei Tage, bevor sie ihre Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten beginnen sollte, verlor die damals 17-Jährige die Kontrolle über ihr Motorrad und prallte auf gerader Strecke gegen einen Baum - nur zwei Kilometer vor ihrem Ziel, dem Haus ihrer besten Freundin, mit der sie einen Tag am See verbringen wollte. Bielefelder (17) nach Unfall mit Mountainbike querschnittsgelähmt Zehn Wochen lang lag sie im Koma, es folgte ein Jahr im Krankenhaus und in einer Reha-Klinik. "An das erste halbe Jahr nach dem Unfall kann ich mich kaum erinnern. Ich musste alles neu lernen, konnte nicht mehr sprechen, laufen oder lesen", so Schnell, die damals eine Gehirnquetschung und mehrere Knochenbrüche erlitten hat. Einmal die Wildkatzen in Olderdissen besuchen Auch heute noch spürt die Bielefelderin die Auswirkungen des Unfalls. Sie ist chronische Schmerzpatientin, hat eine Gehbehinderung und leidet unter Adipositas. Berufstätig ist sie schon lange nicht mehr, zu oft sei sie krank gewesen. "Ich habe mich ins Leben zurück gekämpft und bin stolz darauf, nie aufgegeben zu haben. Aber ich würde auch so gern wieder am Leben teilhaben, ich fühle mich sehr isoliert und langweile mich oft", so Schnell. Dabei gebe es einiges, das sie gern machen würde: "Ich möchte so gern mal wieder in die Innenstadt oder in einen Park. Auch Besuche im Restaurant oder bei Freunden fehlen mir." Früher sei es ihr großer Traum gewesen, sich irgendwann eine Harley Davidson zu kaufen. "Heute wünsche ich mir so sehr, einmal die Wildkatzen in Olderdissen sehen zu können", so die 56-Jährige, die sich gern auch ehrenamtlich engagieren würde. Etwas mit Tieren, Kindern oder auch älteren Menschen könne sie sich gut vorstellen - Hauptsache, sie komme mal wieder raus. Doch all das ist für sie derzeit unvorstellbar. Ihre Gehbehinderung werde immer schlimmer, selbst mit ihrem Rollator könne sie nur noch wenig Meter zurücklegen. Seit einigen Jahren ist Carola Schnell deshalb auf einen Elektro-Rollstuhl angewiesen. Das Problem: Das 140 Kilogramm schwere Gerät passt nicht in ihren Golf, den sie vor 18 Jahren gekauft und auf Handgas umgerüstet hat. Gelähmt nach schwerem Unfall: Bielefelder Handballerin wirft ihren allerletzten Siebenmeter "Egal wo ich hinfahre, ich muss immer einen Parkplatz in der Nähe finden und kann auch dann nur wenige Meter gehen. Mittlerweile fahre ich eigentlich nur noch mit, wenn mein Lebensgefährte einkaufen fährt. Nur, damit ich wenigstens mal ein bisschen raus komme", so Schnell. Selbst das sei nun jedoch schwierig: "Aufgrund meiner Luftnot und Platzangst kann ich unter der Maske kaum atmen. Dann muss ich oft stehen bleiben und mich anlehnen, um mir den Schweiß von der Stirn zu wischen. Im Supermarkt ist das schwierig, so oft habe ich schon von anderen Kunden gehört, ich stehe im Weg oder solle mich mal beeilen." ÖPNV keine echte Alternative Ein wenig Freiheit und Lebensqualität könnte ihr ein neues Auto verschaffen. Ein kleiner Transporter, ähnlich eines VW Caddy, müsste es sein, denn es muss nicht nur der Rollstuhl, sondern auch ein Lift dafür herein passen. Außerdem kommt nur ein Automatikfahrzeug infrage, das auf Handgas umgebaut werden kann. Doch so ein Fahrzeug kann sich die Rentnerin nicht leisten. "Es wäre so schön, wenn ich ein gebrauchtes Auto finden könnte oder es jemanden gibt, der mit ein Auto günstig umbauen kann", sagt Schnell. Laut eigenen Aussagen habe sie bereits alles versucht, um Zuschüsse zu bekommen - es sei jedoch alles abgelehnt worden, da sie kein Auto brauche, um zur Arbeit zu kommen oder ansonsten öffentliche Verkehrsmittel nutzen könne. "Aber was mache ich denn, wenn im Bus kein Platz mehr ist, weil zum Beispiel schon ein anderer Rollifahrer mitfährt? Außerdem muss ich aufgrund von mehreren Magen- und Darm-OPs häufig auf die Toilette. Wenn dann ein Bus mal Verspätung hat, kann ich nicht so lange warten", so die Rentnerin, die unter der Isolation zu Hause immer mehr leidet. Früher habe sie sich die Zeit immerhin noch mit Stricken oder Häkeln vertreiben können. "Nachdem ich gestürzt bin und mir dabei die Sehne in der Hand angerissen habe, kann ich aber nicht mal mehr das machen", berichtet sie. Nun bestehe ihr Alltag daraus, fernzusehen, am Computer zu sitzen, zu lesen oder sich mit einem Rätselheft zu beschäftigen - ein Albtraum für die lebensfrohe 56-Jährige, die gern noch so viel von der Welt sehen würde.

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