Abschied von Bielefelds coolstem Bezirksamts-Chef

Bielefeld. Es war ein flüchtiges, aber fröhliches Publikum, das an einem sonnigen Herbsttag 2016 in Bus oder Auto am absurden Kleinkonzert bei Käse und Rotwein im Senner Schafkreisel vorbeifuhr - und viele drehten ungläubig gleich noch eine zweite Runde. Das musikalische Happening mit dem Duo Gilbert Bender und Heino Lamm gehörte zu den ungewöhnlichsten Aktionen von Eberhard Grabe. Der Bezirksamtschef von Senne und Sennestadt ist wohl einer der unkonventionellsten Beamten in Bielefeld. Durch seine zahlreichen Verbindungen, oft genug "auf dem kleinen Dienstweg", hat er in beiden Stadtbezirken vieles möglich gemacht. Nun geht er in den Ruhestand. Und kann es selbst kaum glauben. Wie kann so jemand Beamter werden? Ein normaler Bürojob am Schreibtisch, eine geregelte Arbeitszeit von 8 bis 17 Uhr - das wäre für den gebürtigen Ummelner ("Ich bin Ummeln immer treu geblieben"), Jahrgang 1955, nie etwas gewesen. Aber wie kann so jemand ausgerechnet Beamter werden - und das bis zur Pension durchhalten? Die Erklärung liegt im Grabeschen Mix aus Glück, Engagement und eigener Arbeitsinterpretation. Warmer Steinhäger zum 90. Geburtstag Anfangs verlief alles ganz normal: Fachhochschule für offene Verwaltung, Bundeswehr, Heiligabend 1976 dann die Zusage der Stadt Bielefeld. "Das war wirklich ein Weihnachtsgeschenk", erinnert sich 65-Jährige. Beginn im Bezirksamt Brackwede - "Das war damals ein richtig großes Amt, eine ganz andere Welt" -, Abstecher ins Sozial- und Bauamt, 1980 ins Hauptamt, als "Hilfsreferent" des Oberbürgermeisters und Stadtdirektors. "Ein Glücksfall", sagt Grabe. Allerdings: "Es war jeden Tag Anzug angesagt. Das war für mich ein Kulturschock." Am schlimmsten hat er den warmen Steinhäger in Erinnerung, den er bei einem 90. Geburtstage serviert bekam. Dort im Namen der Stadt mit Blumen zu gratulieren gehörte zu seinem Aufgabenprofil. Auch samstags oder sonntags: "Da wurde man wichtig mit Chauffeur hingebracht." Einsparmöglichkeiten in der Stadtverwaltung In einer Projektgruppe mit der damaligen Stadtkämmerin Monika Kuban hat der Vater von zwei Töchtern, heute 34 und 38 Jahre alt, dann Einsparmöglichkeiten in der Stadtverwaltung erarbeitet. Darunter, schon damals: die Reduzierung der Stadtbezirke und -ämter. "Danach mochten uns unsere Amtsleiter nicht mehr so", erzählt Grabe schmunzelnd. So wechselte er 1992 erneut nach Brackwede, wo er erstmals in seiner Laufbahn direkt mit "richtigen Bürgern" in Berührung kam. "Da weiß man, wofür man wirklich da ist." Als Schriftführer begleitete er die Sitzungen der Brackweder Bezirksvertretung. "Die fingen damals um 15 Uhr an und dauerten mitunter bis Mitternacht." Für den "Konzern Stadt" Betriebe konzipiert Unter Oberbürgermeisterin Angelika Dopheide (SPD) wechselte Grabe 1997 ins sogenannte Projektbüro MTP und half mit, städtische Betriebe wie den Immobilienservicebetrieb und den Umweltbetrieb zu konzipieren, die damals gegründet wurden - Stichwort "Konzern Stadt". Dann kam mit Eberhard David (CDU) ein neues Stadtoberhaupt. "Für mich bedeutete das wieder, ab nach Brackwede." Dort wurde Grabe 1999 Stellvertreter von Amtsleiter Egon Schäffer ("Das war ein Traum"), organisierte unter anderem große Feste wie Brackwede verwöhnt und den Brackweder Frühling mit. Mit dem Trecker die Einladung zum Bauernball bekommen Bis unvermittelt ein Anruf aus der Zentralverwaltung kam - und Eberhard Grabe 2004 zum Leiter des Bezirksamts Senne befördert wurde. "Als da Karl Ludwig Sudhölter, mit dem ich zur Schule gegangen bin, mit dem Trecker vor der Tür hielt und mir die Einladung für den Senner Bauernball brachte - mit Theater vorweg -, da dachte ich wirklich, wo bist du hier denn gelandet?" In seiner ersten Bezirksvertretung bekam er zu hören: "In Senne ist alles anders". Und das war, so fand Grabe sehr schnell heraus, genau sein Ding: für den Stadtbezirk gemeinsam etwas schaffen, Dinge über den kleinen Dienstweg möglich machen, Probleme ganz praktisch und ohne Umweg über Anträge lösen. Daneben mischte er zusammen mit dem Kulturkreis die Senner Veranstaltungsszene kräftig auf: Dessen Umsatz stieg von anfangs 15.000 auf zuletzt über 100.000 Euro. Wie Rock on the Beach immer größer wurde Aus dem Freibadfestival Rock on the Beach - "Das war eine Oldie-Veranstaltung" - machte Grabe zusammen mit Joscha Conze und weiteren Aktiven ein riesiges Open-Air-Festival mit Tausenden von Besuchern aus der ganzen Region. "Zuletzt haben wir noch einen draufgesetzt mit Rock on the School, weil die Bühnen ja eh schon standen." Für die neue Konzertreihe "Musik im Knast" holte er die Philharmoniker ins Gefängnis, für den Französischen Nationalfeiertag die kultigen Musiker &bdquo;Les Galops" auf den Museumshof. &bdquo;Wir saßen im August in der Altstadt von Concarneau, da baute sich vor uns eine Straßenband auf", erinnert er sich. &bdquo;Wir haben dann eineinhalb Stunden zugehört, weil es einfach so gut war." Grabe, des Französischen nicht mächtig, fragte die drei jungen Männer aus Troyes in Englisch, ob sie nicht einmal in Bielefeld auftreten wollten – eine Stadt, von der keiner von ihnen je gehört hatte. &bdquo;Ich habe es nicht geglaubt, dass sie sich wirklich melden." Zusammenlegung beider Bezirksämter vorgeschlagen 2011 wurde der Ummelner auch Bezirksamtsleiter in Sennestadt ("Aber ohne doppeltes Gehalt, wie manche vermutet haben"). Und verschreckte die Bezirkspolitiker gleich zu Beginn mit dem Vorschlag, die Amtsgebäude zusammenzufassen mit einer Dependance im Sennestadt-Pavillon. Grabe: "Das war natürlich geboren aus dem Zwang, Geld, also Miete, zu sparen." Als Resultat habe es einen Aufschrei gegeben - denn der Sitz des Bezirksamts, das Sennestadthaus, sei im Stadtbezirk ein Symbol für dessen Eigenständigkeit. Daran rüttelte man nicht, und so blieb es bei zwei Bezirksämtern. Grabe holte dann das Projekt "Kulturelle Stadtentwicklung" nach Sennestadt, hob mit der Bärenplatzbühne ein neues Format aus der Taufe, unterstützte den Sennestadtverein bei der großen Ausstellung "Vor Ort": "Morgens haben wir die berühmte schwebende Hecke geschnitten". Die kurze Zeit später im Bullerbachtal von Schülern abgefackelt worden sei. Ins Homeoffice auf Hof Ramsbrock gezogen Ende dieses Monats wird Eberhard Grabe verabschiedet, die Bezirksvertretung Senne am Donnerstag ist seine letzte. Aktiv für den Stadtbezirk aber bleibt er weiterhin: als "kooptiertes Vorstandsmitglied" im Förderverein Ramsbrocks Hof, wo er während der Coronazeit kurzerhand sein Homeoffice eingerichtet hatte. Und an dessen Entwicklung von der heruntergekommenen Immobilie, die die Stadt eigentlich verkaufen wollte, zum Vorzeige-Landschaftshof er maßgeblich beteiligt war. Auch im Senner Kulturkreis will er weiterhin aktiv bleiben. "Und wenn es da etwas zu zapfen gibt - kein Problem."

Meistgelesen