"So etwas habe ich noch nie erlebt": Rewe-Supermarkt überraschend gekippt

Senne. "So etwas habe ich noch nie erlebt in der Bezirksvertretung", sagt Gerhard Haupt. "Ich wusste nicht, was ich sagen sollte - mir sind wirklich für einen Moment die Gesichtszüge entgleist." Was Sennes langjährigen Bezirksbürgermeister und erfahrenen Politiker so fassungslos und wütend macht, ist die Ablehnung des seit rund zwei Jahren geplanten Nahversorgungszentrums an der Windelsbleicher/Ecke Friedrichsdorfer Straße durch SPD, Grüne und Linke. Und die Folgen, die das für den Stadtbezirk, seine Bewohner und die künftige politische Zusammenarbeit haben könnte. Denn es geht um mehr als "nur" einen Bebauungsplan. Ablehnung bei gleicher Stimmenanzahl Mit einem Abstimmungspatt von sechs zu sechs Stimmen - auf der einen Seite die SPD, bei der mit Illona Neumann ein erfahrenes Mitglied fehlte, und die Grünen, auf der anderen CDU, die zwei Mitglieder weniger waren, und die FDP - endete der Tagesordnungspunkt "Sonderbaufläche großflächiger Einzelhandel Breipohls Hof" in der Sitzung der Bezirksvertretung (BZV) am Donnerstagabend: Gleichstand bedeutet Ablehnung. Damit ist die gesamte Planung obsolet: der Rewe-Lebensmittelmarkt ebenso wie der Sparkassen-Neubau - als Ersatz für die Filiale an der Buschkampstraße, die seit rund einem Jahr dicht ist -, die kleine Geschäftszeile mit Platz für das Brillenstudio, das derzeit behelfsmäßig in einem Container logiert, und für die Musikschule, die seit rund drei Jahren nicht mehr in ihr altersschwaches Gebäude an der Windelsbleicher Straße investiert hat. Auch der von vielen lang ersehnte Kreisverkehr wird nicht gebaut - der Investor, so heißt sich, habe sich daran mit einer Kostenübernahme von rund 50 Prozent beteiligen wollen. Auf die lange Bank geschoben ist zudem die Verbindung vom Erdbeerfeld zur Windelsbleicher Straße. "Sie haben stumpf abgelehnt" Doch der Scherbenhaufen, den Rot-Rot-Grün mit der Abstimmung produziert hat, ist noch um einiges größer. Denn in der Sitzung wurde auch das gemeinschaftliche Vorgehen der Bezirkspolitik bei größeren Projekten abrupt beendet. Gerhard Haupt vergleicht die Planungen mit dem Bund fürs Leben: Beim Aufstellungsbeschluss lerne man sich kennen, beim Entwurf folge die Verlobung und bei der Aufstellung, die nun anstand, werde geheiratet. "Aber hier hat die Braut bei der Hochzeit nein gesagt, sich umgedreht und ist gegangen." Zwei Jahre lang habe man immer wieder drüber gesprochen und noch das ein oder andere eingearbeitet. In der Abschluss-Sitzung dazu am Donnerstag habe er gefragt, ob es noch Wortmeldungen gebe, niemand habe etwas gesagt, daher habe er abstimmen lassen. "Und dann haben sie das einfach stumpf abgelehnt." "Ich würde hier nicht mehr investieren" CDU und auch FDP fragen sich irritiert, wie es im politischen Miteinander in Senne nun weitergehen soll. Um in einem so kleinen Stadtbezirk etwas voranzubringen, sollten alle an einem Strang ziehen, meint Haupt. Über Unstimmigkeiten könne man reden, selbst in der Sitzung sei das noch möglich gewesen. Der Beschluss hätte sogar noch einmal verschoben werden können. "Aber dann sowas - und das in der dritten Sitzung des Jahres - wie soll das denn weitergehen?" Der Bezirksbürgermeister verweist auch auf den Investor, der sich auf die Zusagen aus Politik und Verwaltung, auf das übliche Prozedere, verlassen habe. "Welcher Investor kommt denn noch nach Senne, wenn man in letzter Sekunde alles absagt? Ich jedenfalls würde hier nicht mehr investieren." "Großflächige Versiegelung nur mit Wohnbebauung" Die Grünen standen den Planungen immer kritisch gegenüber. Und die Senner SPD? Die sei sich der Tragweite ihrer Entscheidung durchaus bewusst gewesen, sagt ihr Vorsitzender Ridvan Ciftci. Doch einer solch großflächigen Versiegelung im Herzen der Senne ohne Wohnbebauung - dem habe man einfach nicht zustimmen können, selbst wenn der Investor schon Fakten geschaffen habe. Er erinnert außerdem an die bereits zwei Jahre alte Umsatzanalyse - eine aktuelle gebe es nicht- , nach die nahen Netto- und Edeka-Filialen sowie die kleineren Geschäfte am Markt durch den neuen Nahversorger mit einem Umsatzverlust in Höhe von 600.000 Euro im Jahr hätten rechnen müssen, plus 2,5 Millionen Euro für Aldi am Altstandort. "Das passt vorn und hinten nicht." SPD-Bezirksmitglied Michael Schnitzer ergänzt: "Ein Discounter nach dem anderen reiht sich an der Windelsbleicher Straße und verändert das Erscheinungsbild des Stadtbezirks in negativer Weise.“ Das sei eine Verschandelung Sennes, wo auf der anderen Seite bezahlbarer Wohnraum fehle. Die Sozialdemokraten wollten stattdessen eine Verbindung von Nahversorgung und Wohnraum. "Wir stehen zu dem vom Stadtentwicklungsausschuss – unter Zustimmung der CDU – beschlossenen Leitlinien für den großflächigen Einzelhandel", so Cifti. Und die sähen vor, dass grundsätzlich mehrstöckig gebaut werden soll, um neuen Wohnraum zu schaffen. Stadtentwicklungsausschuss entscheidet über neue Senner Brache Was jetzt aus der neuen Senner Brache wird, ist offen. Der Stadtentwicklungsausschuss, der den BZV-Beschluss noch kippen kann, berät am 2. Februar darüber. Ebenso wie über den B-Plan "Wohnen am Fechterweg". Dem haben die Senner am Donnerstag zugestimmt. Dort sollen acht Einfamilienhäuser, ein Mehrfamilienhaus und drei Baukörper für Gewerbe und Wohnen entstehen.

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