Seltene Einblicke: So arbeitet das Bielefelder Gesundheitsamt wirklich

Bielefeld. Zwei Männer in Tarn-Anzügen stehen unter dem Torbogen aus Backstein und rauchen. Am Himmel flackern rosafarbene Sonnenstreifen, die Straßenbeleuchtung wird in einigen Minuten abgeschaltet werden. Es ist kurz vor acht Uhr morgens. Eine Frau in zivil und Wintermantel drückt ihre Zigarette aus, zieht die Schultern hoch und eilt durch die Tür des riesigen Gebäudekomplexes: Hier befindet sich das Bielefelder Gesundheitsamt. In einem Bielefelder Altenheim wurden fünf Bewohner positiv auf Corona getestet. Heute sollen deshalb alle Bewohner und Mitarbeiter der Einrichtung abgestrichen werden. &bdquo;Schutzanzüge?“, Tobias und Anja (Namen der Mitarbeiter von der Redaktion geändert) wühlen in einem hohen grauen Büroschrank. &bdquo;Hier“, sagt Anja. Sie hält ein Päckchen in die Höhe, aus dem es blau herausschimmert. &bdquo;Obwohl, du musst den ganzen Tag dort bleiben, richtig? Dann nimm besser den weißen, der ist dünner, da schwitzt du weniger“. Tobias legt ein weißes Paket ganz oben in eine bereits voll bepackte Plastikkiste. Er wird heute die Testung in dem Bielefelder Altenheim beaufsichtigen. “Im Moment haben wir Kapazitäten für etwa 1.000 PCR-Tests pro Woche “, sagt Anja. Wir, das ist das Gesundheitsamt Bielefeld – unterstützt durch medizinisch geschulte Teams des Arbeiter Samariter Bundes (ASB). Tagsüber fahren diese Teams von Adresse zu Adresse, um diejenigen zu testen, die selbst nicht das Haus verlassen können. Wer kann, muss selbst ins Testzentrum fahren. Tobias, Jonas, Jana und Anja bilden zusammen das Team Test-Organisation. Wer wann und wo getestet wird, das organisieren sie. Zahl der Testungen elf mal höher als im Sommer &bdquo;Wo ist überhaupt dieses Heim?“, fragt Jonas. Der 26-Jährige hat in Bielefeld Health Communication (Gesundheitskommunikation) studiert. Er lenkt den VW-Caddy des Gesundheitsamtes durch die Bielefelder Straßen, wo sich die Reste des morgendlichen Berufsverkehrs vor den rot leuchtenden Ampeln stauen. Tobias zoomt auf seinem Handy in die Kartenansicht hinein und runzelt die Stirn. &bdquo;Du kannst über den OWD fahren, wenn du willst.“ Anja, die allein im Büro zurückgeblieben ist, kneift vor einer großen Excel-Tabelle auf ihrem Computer die Augen zusammen. Sie ist 35 und hat ein Kind, das zur Schule geht. &bdquo;Erst als die Schulen wieder geöffnet hatten, konnte ich diesen Job hier annehmen“, sagt sie und zuckt nachdenklich mit den Schultern. Im Sommer fing sie in der telefonischen Corona-Kontaktnachverfolgung an. Inzwischen leitet sie das Team Test-Organisation. In der Excel-Tabelle stehen Namen und Einrichtungen aller Personen, die im November getestet werden sollten – sowohl mobil, als auch stationär im Testzentrum in der Feldstraße: 15 mal Heime, 24 mal Kita und 64 mal Schule. &bdquo;Das ist die Anzahl der Gruppen – also zum Beispiel Wohngruppen, Schulklassen“, erklärt Anja. Sie steht auf, beträufelt einen Stapel Papierhandtücher mit Desinfektionsmittel und beginnt die Telefone damit abzuwischen. &bdquo;Allein in der 49. Kalenderwoche, also Anfang Dezember, haben wir 913 Menschen getestet“, sagt sie. &bdquo;Im August waren es insgesamt 81 Tests pro Woche.“ "Nah dran an den individuellen Tragödien" Für Kollege Tobias stehen in dem Bielefelder Altenheim heute allein 200 Abstriche an. Hinzu kommen weitere Tests an Privatadressen, um die sich die Teams des ASB kümmern. Jonas hat das Auto etwas abseits von dem Heim geparkt. Unter der geöffneten Kofferraumklappe hüpft Tobias auf einem Bein, während er vorsichtig in seinen weißen Ganzkörperanzug steigt. &bdquo;Sobald mehr als zwei Personen positiv sind, sprechen wir von einem Cluster“, erläutert Tobias. Er ist gelernter Chemisch technischer Assistent und studiert Chemie an der Uni. Auch er hat nämlich im Sommer als sogenannter Corona-Scout angefangen. Doch seine Erfahrungen in der Proben-Koordination waren gefragt und so fand er sich kurze Zeit später in Anjas Team Test-Organisation wieder. &bdquo;Ich finde die Arbeit sehr erfüllend“, sagt er, &bdquo;man sieht, dass man helfen kann aber man ist natürlich auch nah dran an den individuellen Tragödien.“ Unterdessen im Gesundheitsamt: Die Tür eines Raumes im Obergeschosse öffnet sich. Heraus dringt geschäftiges Murmeln, dazwischen Satzfetzen: &bdquo;Fieber und Gliederschmerzen Ja, ich kann Ihnen die Corona-Notruf-Hotline geben.“ Die Corona-Scouts sitzen vor ihren Rechnern und sprechen in ihre Headsets. Die positiven Corona-Befunde der Labore und Ärzte landen auf ihren Schreibtischen. &bdquo;Wir rufen die Betroffenen an, setzen sie unter Quarantäne, fragen, wie es geht, nehmen die persönlichen Daten auf und bitten um eine Liste ihrer letzten Kontakte“, sagt die Teamleiterin. Wichtig: &bdquo;Wenn wir mitbekommen, dass in einer Einrichtung mehrere Fälle aufgetreten sind, geben wir das ans Team &bdquo;Kita und Schulen“ oder ans Team &bdquo;Pflege und Krankenhäuser“ drüben in der Werner-Bock-Straße weiter.“ "Baby it's Covid outside" &bdquo;Drüben in der Werner-Bock-Straße“, das sind die kurzfristig durch die Stadt hergerichteten Büroräume. Jan, seit einigen Tagen Leiter der Teams &bdquo;Pflege und Krankenhäuser“ sowie &bdquo;Kita und Schulen“, geht von Büro zu Büro und wechselt hier und da ein paar Worte mit den Kollegen. Strahlend weiße Rigips-Wände wechseln sich ab mit großen Glastüren, dahinter die Schreibtische vor weiten Fensterfronten. Bürotüren sind mit bunten Plakaten und Postkarten beklebt &bdquo;Baby its Covid outside“ steht darauf oder &bdquo;Einmal mit Profis arbeiten“. Drinnen stehen Whiteboards vollgeschrieben mit Mindmaps, ToDo-Listen, Motivationssprüchen oder Dienstplänen. &bdquo;Es macht Spaß, mit den Teams hier zusammenzuarbeiten“, sagt Norbert Wörmann, seit Anfang Dezember Leiter der Abteilung Corona im Gesundheitsamt. &bdquo;Die Mitarbeiter sind unglaublich engagiert und blicken auch über den Tellerrand.“ Viele sind noch jung – vielleicht zwischen 20 und 30 Jahre alt. Aber es gibt auch ältere Vieles in der Abteilung Corona sei auch mithilfe dieser Menschen aufgebaut worden. &bdquo;Die Leute in den Teams arbeiten doch den ganzen Tag da, die sehen sofort, wenn Abläufe effizienter gestaltet werden können – ihre Vorschläge nutzen wir natürlich für Verbesserungen.“ "Wir sind nicht überfordert, wir haben nur sehr viel zu tun" Drüben in der Nikolaus-Dürkopp-Straße ist Tobias mittlerweile wieder da – er trägt jetzt wieder Alltagskleidung. Die Haare sehen verschwitzt aus, auf dem Gesicht rund um Mund und Nase zeichnen sich rote Striemen ab. Die Abdrücke der FFP3-Gesichtsmaske verschwinden nach stundenlangem Tragen so schnell nicht wieder. Tobias legt einen Stapel Brauner Briefumschläge mit der Aufschrift &bdquo;Eilt“ in einen Kühlschrank: Darin die Corona-Abstrichröhrchen mit den Proben der Heimbewohner. Jemand wird sie im Laufe des Nachmittags ins Labor Krone in Bad Salzuflen bringen. Etwa 24 Stunden später sind dann die Ergebnisse da. “Das Team Heim-Reha wird anhand der Ergebnisse entscheiden, wie es für das Altenheim weitergeht“, sagt Tobias. Ob ihn die Arbeit manchmal überfordert? &bdquo;Wir können unsere älteren Mitmenschen nur schützen, wenn wir die Ansteckungszahl reduzieren und das ist Aufgabe aller Bielefelder. Die Krankheit ist wirklich sehr schlimm“, sagt er – und: &bdquo;Nein, wir sind nicht überfordert, wir haben nur sehr, sehr viel zu tun.“ Lesen Sie auch: "Untragbare Zustände": Mediziner übt heftige Kritik am Bielefelder Gesundheitsamt | NW+ Corona-Abteilung der Stadt Bielefeld hat einen neuen Chef | NW+ Inmitten der Pandemie-Hochphase: Keine neue Corona-Infektion für Bielefeld gemeldet

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