Deshalb gibt es in Bielefeld so viele Corona-Tote

Bielefeld. Anders als im Frühjahr, als in Bielefeld verhältnismäßig wenig Coronafälle und Coronatote registriert wurden, lag zuletzt der Inzidenzwert bei den Positivtests über 200. 21 Menschen sind laut Statistik allein im November an oder mit Corona gestorben – da nicht obduziert wird, bleibt das unklar. Die Hintergründe dazu. Schwere Verläufe &bdquo;Bielefeld hatte im Vergleich während der ersten Welle relativ geringe Zahlen", sagt Thomas Vordemvenne, Ärztlicher Direktor des Evangelischen Klinikums Bielefeld (EvKB). Jetzt sei die Situation eine andere. Die Zahlen sind in den vergangenen Wochen gestiegen. Das bringe vermehrt schwere Verläufe mit sich, einen konstanten Anteil an Menschen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen – oft über mehrere Wochen. &bdquo;Die Erkrankungen sind oft schwerer, dauern länger, und es sind deutlich mehr Organe betroffen", sagt Carsten Obermann aus dem Leitungsteam der Klinik für Anästhesiologie, operative Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie des Klinikums Bielefeld. Zwar seien auch sonst im Herbst Patienten mit Grippe auf der Intensivstation behandelt worden und es habe auch Todesfälle gegeben – aber nicht in dieser Dimension. Kaum Grippefälle Tatsächlich gibt es in den Krankenhäusern bisher kaum Grippekranke und keine Grippetoten. Doch die Influenza-Saison beginnt in der Regel erst richtig um den Jahreswechsel, so dass eine Bilanz noch verfrüht wäre. &bdquo;Aber Hoffnung diesbezüglich besteht aus den Erfahrungen von der Südhälfte der Erde: Dort geht die Influenza-Saison normalerweise von Juli bis September, ist da dieses Jahr aber nahezu ausgefallen", berichtet Bertram Ruprecht, Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Beatmungsmedizin am Klinikum Bielefeld. In Australien habe es nur etwa sieben Prozent so viele Grippefälle wie im Jahr davor gegeben, Todesfälle an Grippe sogar nur fünf Prozent so viele wie im Jahr zuvor. Von ähnlichen Erfahrungen berichten Neuseeland, Südafrika und Südamerika. Alter der Gestorbenen Der Altersdurchschnitt der an oder mit Corona Gestorbenen in Bielefeld beträgt nach Information des Gesundheitsamtes aktuell 81 Jahre. Der jüngste sei 50 Jahre, die älteste 97 Jahre gewesen. Etwas weniger als die Hälfte davon (15 der 32 Verstorbenen, 46,9 Prozent) sind laut Auskunft der Stadt weiblich. Die Lebenserwartung in Deutschland liegt im Mittel laut Statistischem Bundesamt aktuell bei 81 Jahren – Männer werden 78,6 und Frauen 83,4 Jahre alt. Das eher kuriose Phänomen des durchschnittlich höheren Alters der Coronatoten rechtfertig jedoch keine validen statistischen Interpretationen, weil dafür die Gruppe der Toten zu klein ist; es unterstreicht allerdings, dass das Coronavirus SARS-CoV-2 vor allem für Alte und Hochbetagte ein zusätzliches Lebensrisiko darstellt. &bdquo;Trotzdem gibt es auch bei jüngeren Menschen sehr schwere, lebensbedrohliche Verläufe", sagt Vordemvenne. Vorerkrankungen Viele offizielle Coronatote haben Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, der Lunge oder Übergewicht – aber nicht alle, sagen Klinikvertreter. Da sei auch ein 80-Jähriger dabei, &bdquo;der vorher kerngesund war". Der zweite Coronatote in Bielefeld war 57 Jahre alt und hatte keinerlei Vorerkrankungen. Die Aufenthaltsdauer bei einem schweren Verlauf, oft am Ende mit Beatmung, gehe nicht selten über mehrere Wochen. Einige der älteren Patienten hätten per Patientenverfügung definiert, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen möchten. Auch das spiele bei der Anzahl der Sterbefälle eine Rolle. Sterbequote 2020 Die Zahl der Gestorbenen im Jahr 2020 steht statistisch bis Ende Oktober fest. Laut Statistischem Landesamt sind in Bielefeld demnach bisher 2.926 Menschen gestorben. Pro Monat schwanken die Werte in der Regel zwischen fast 400 in den Wintermonaten und rund 150 in den Sommermonaten. Gemittelt liegt der Wert mit Blick auf das vergangene Jahrzehnt bei durchschnittlich rund 300 Gestorbenen pro Monat. Davon ausgehend würden noch 600 Todesfälle für November und Dezember hinzukommen, so dass für 2020 in Bielefeld von einer Sterberate von gut 3.500 Menschen ausgegangen werden kann. Damit läge die Sterbequote 2020 bisher leicht unter oder gerade im Jahresdurchschnitt: 2019 gab es 3.547 Tote. Ein Jahr zuvor starben 3.748 Bielefelder – vermutlich eine Folge der starken Grippewelle damals. Auch 2016 war die Sterbequote mit 3.728 vergleichsweise hoch, in den Jahren bis 2013 lag sie sonst meist zwischen 3.400 im Jahr 2014 und gut 3.600 im Jahr 2017. Miteinberechnet werden muss die veränderte Bevölkerungszahl sowie die Alterszusammensetzung. Bielefeld ist zuletzt bei den Einwohnern gewachsen auf nun rund 341.000 Einwohner. 2013 waren es noch 328.000. Zugleich ist der Altersdurchschnitt durch Zuzüge etwas gesunken. Klinik-Kapazitäten 113 Patienten werden aktuell wegen oder mit Corona in einer der drei Bielefelder Kliniken behandelt, 43 davon auf der Intensivstation, 22 davon werden beatmet (Stand 1. Dezember). &bdquo;Die Zahlen gehen gerade leicht zurück", sagt Georg Rüter, Geschäftsführer des Franziskus-Hospitals. &bdquo;Die streckenweise sehr hohe Zahl von beatmeten Patienten bringt alle hier involvierten Mitarbeiter an die Grenzen ihrer Belastbarkeit", ergänzt Rüter. Bei alledem stehe aber das Wort Triage, also die Selektion, wer mit welcher Priorität behandelt wird, wer bei knappen Plätzen eine Beatmung bekommt und wer nicht, nicht zur Debatte. Das Klösterchen mit seinen Verbund-Hospitälern in Herford und Rheda-Wiedenbrück verlagert regelmäßig Ressourcen und notfalls auch Patienten, um die volle Versorgung zu gewährleisten. Die Ausstattung mit Beatmungsgeräten sei ohnehin nach der Aufstockung durch die Landesregierung nach wie vor ausreichend groß. &bdquo;Wir schaffen das – noch", sagt auch Thomas Vordemvenne. Allerdings sei man in Spitzenbelastungen, wie vor etwa einer Woche, teilweise an die Grenzen gekommen.

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