Sichtprobleme: Bielefeld stoppt das Blitzen auf diesen 30er-Strecken

Bielefeld. Rechtsanwalt Siegfried Kammel ist kein Gegner von Tempo-Kontrollen. Wer zu schnell ist, der müsse dafür gerade stehen, sagt er. Aber wenn die Autofahrer gar nicht erkennen können, dass sei das Tempo reduzieren sollen, dann geht bei ihm der Puls hoch. &bdquo;Wir haben in Bielefeld mindestens zwei Stellen, wo Tausende Autofahrer geblitzt wurden, die Stadt aber nicht beweisen sagen kann, dass das entscheidende Verkehrsschild zu sehen war." Das Ordnungsamt hat seine Blitzer-Kontrollen inzwischen deshalb dort eingestellt. Artur-Ladebeck-Straße Im Mai 2020 sorgte Blitzer Guntram zwischen der Shell-Tankstelle und dem Restaurant &bdquo;Glück & Seligkeit" für ein wahres Blitzlichtgewitter. Seit Oktober 2019 herrscht dort wegen der Martinschule von 6.30 bis 17 Uhr Tempo 30. Erstaunliche 5.866 Verkehrsteilnehmer hielten sich bei der 16-tägigen Messung nicht ans Limit. Gut 366 Fotos pro Tag bedeuteten einen neuen Negativ-Höchstwert. Schild nicht immer sichtbar Aber haben die Autofahrer das Tempolimit überhaupt sehen können? Wegen der Stadtbahngleise links konnte nur ein Tempo-30-Schild auf dem Gehweg rechts aufgestellt werden – kurz vor der Tankstelle. Siegfried Kammel legte für zwei seiner Mandanten Einspruch ein: &bdquo;Die Stadt hat beide Verfahren eingestellt und Gerichts- wie Anwaltskosten erstattet", erklärt Kammel. Denn unmittelbar vor dem Verkehrsschild liegt ein Parkplatz: &bdquo;Parkt dort ein hoher Transporter oder ein Wohnmobil, ist das entscheidende Schild nicht zu sehen." Obwohl die Stadt die Beschilderung immer wieder kontrolliere, erklärt der Jurist, müsse sie eigentlich für jedes Bußgeld den Beweis erbringen, dass die Sicht aufs Schild frei war. &bdquo;Das geht nur, wenn dauerhaft ein Beamter als Zeuge vor Ort ist. Die stationären Blitzer kann das Amt dort im Prinzip nicht mehr einsetzen." Falschaussage Was Anwalt Kammel als &bdquo;richtig frech" bezeichnet, ist eine Stellungnahme der Stadt: Nachdem der Anwalt das Sichtproblem mit dem Parkplatz erläutert hatte, kam die Antwort des Ordnungsamtes, das Verkehrszeichen stehe "kurz hinter einer Einfahrt", so dass kein Wohnmobil dort parken und die Sicht versperren könne. &bdquo;Das ist eine Falschaussage, die vor Gericht durchaus Gewicht haben könnte." Tatsächlich steht das Schild zwischen dem Parkstreifen und Einfahrt und nicht hinter der Einfahrt. Das Verfahren dazu laufe noch. Herforder Straße Ganz ähnlich ist die Situation an der Herforder Straße. In dem Abschnitt vor der Hellingskampschule (zwischen Möbel Boss und Jöllheide) gilt ebenfalls seit geraumer Zeit Tempo 30. Auch hier verhindert die Stadtbahntrasse auf der linken Seite der zweispurigen Straße ein zweites Tempo-30 Schild. Direkt vor dem 30er Schild (hier gilt es von 7 bis 16.30 Uhr) ist zwar kein Parkplatz, aber eine Zufahrt zu einem kleinen Gewerbegebiet. &bdquo;Wenn hier ein Lastwagen bis an die Sichtlinie heranfährt, ist das Schild für die Autofahrer nicht mehr sichtbar", sagt Anwalt Kammel. Messungen eingestellt Laut Stefan Heiermann vom Ordnungsamt fallen insbesondere die Tempo-30-Abschnitte an der Artur-Ladebeck- und Herforder Straße negativ auf. Das liege auch an der Vierspurigkeit der Straßen, was den Eindruck einer Hauptverkehrsstraße erwecke und zum schnellen Fahren verleite. Der Leiter der Abteilung &bdquo;Verkehrsordnungswidrigkeiten fließenden Verkehr" bestätigt aber auch: &bdquo;Wir haben dort viele Aussagen, dass Lkws die Sicht versperrt haben sollen. Das Argument hat sich wohl herumgesprochen. Die Messtechnik wird kaum noch kritisiert." Man müsse diese Aussagen nicht immer glauben. Aber vor Gericht gelte der Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagten. &bdquo;Deshalb messen wir dort aktuell nicht mehr", sagt Heiermann. Auch wenn das Rechtsamt in den Verfahren beteuert, die Verkehrszeichen wurden nach den gesetzlichen Vorschriften aufgestellt. Neue Schilder müssen kommen Zumindest an der Artur-Ladebeck-Straße soll nun nachgerüstet und das juristische Dilemma damit behoben werden. In Kürze ist laut Heiermann damit zu rechnen, dass 200 Meter vor dem 30er-Abschnitt zusätzliche Hinweise auf das Tempolimit aufgestellt werden. Babenhauser Straße Eine andere Problemstelle bleibt nach wie vor der Tempo-30-Abschnitt an der Babenhauser Straße. Zwar hat das Amt für Verkehr inzwischen einen Zebrastreifen inklusive Mittelinsel zwischen dem Karl-Pawlowski-Seniorenheim und den beiden Supermärkten installiert. Aber das Temponiveau sei damit &bdquo;kein Stück besser geworden". Wie berichtet, missachten seit der Installation des Tempolimits auffällig viele Autofahrer das Tempolimit. Viele kritisierten, dass die Straße baulich verändert werden müsse, um das Temponiveau zu verringern. Doch die Zahlen sind nach Installation des Zebrastreifens im Vergleich zu vorher &bdquo;nur ein kleines Bisschen runtergegangen", so Heiermann. Carl-Severing-Straße Auch vor der Grundschule Quelle an der Carl-Severing-Straße herrscht Tempo 30. Im Gegensatz zu anderen Tempolimits gilt dieses hier aber rund um die Uhr – also auch nachts. Leser Stefan Rzepka wurde hier an einem Sonntagmorgen um 6.47 Uhr geblitzt: &bdquo;Mit 6 km/h zu viel, auf dem Weg zum Dienst, kostet 15 Euro. Das ist nicht schlimm, aber man kommt sich schon abgezockt vor." Kontrollen vor Schulen seien sinnvoll, so Rzepka aber nachts und frühmorgens seien dort keine Kinder unterwegs. &bdquo;Von einem Sicherheitsgewinn ist hier nicht auszugehen". Tatsächlich ist die Besonderheit dieses Abschnitts der Spielplatz, der sich ebenfalls dort befindet. Wie eine Sprecherin der Straßenverkehrsbehörde mitteilt, müssen Tempolimits vor Kitas und Schulen im Rahmen der Öffnungszeiten zeitlich begrenzt werden. Bei Spielplätzen sieht der Gesetzgeber aber keine Regelung vor. Also seien die Tempobeschränkungen vor Spielplätzen rund um die Uhr einzurichten.

Meistgelesen