"Leute werden im Privaten weiterfeiern": Gastronomen zerlegen die Sperrstunde

Bielefeld. Katharina Friesen und Benjamin Stücke blicken besorgt auf dieses Wochenende. Es wird das erste sein, an dem sie ihre Bar "Plan B" um 23 Uhr schließen müssen. Nicht nur der drohende Umsatzverlust treibt sie um. Sie zweifeln vor allem am Sinn der sogenannten Sperrstunde, die von der Landesregierung vorgeschrieben wird. "Es gibt derzeit nirgendwo einen so kontrollierten Raum wie in der Gastronomie", sagen sie. Die zwei Betreiber glauben: Ab 23 Uhr werden die Feiernden weiterziehen, um dann im privaten Raum zu feiern - unkontrolliert. Bereits am vergangenen Wochenende bekamen die zwei Gastronomen die Folgen der Sperrstunde zu spüren, obwohl sie da noch gar nicht galt. "Wir wurden quasi von der neuen Regelung überrumpelt." Entgegen einer ersten Aussage galt die Sperrstunde dann doch erst ab Anfang der Woche. Dennoch hätten viele Gäste bereits am Samstagabend gedacht, dass sie um 23 Uhr die Bar verlassen müssten. "Wir haben an dem Wochenende Gäste verloren", sagt Stücke. Bei einigen seiner Gäste habe er große Unwissenheit und Unsicherheit festgestellt. Und bei einigen wenigen auch Ignoranz, was das Thema Sperrstunde angeht. Seit Oktober führen Stücke und Friesen auch das Restaurant Stadtgasthaus. Dort glauben sie im Gegensatz zur Bar Plan B, dass sie die Sperrstunde nicht so hart treffen wird. Die neue Regel ist Teil der Corona-Schutzverordnung des Landes NRW. Die gibt es seit Mitte Oktober. Die Stadt Bielefeld setzt sie vor Ort um. Die Sperrstunde zwischen 23 und 6 Uhr gilt bei einem Inzidenzwert von über 50. In Bielefeld entspricht das 168 Neuinfektionen innerhalb einer Woche. Der Wert liegt in der Stadt seit einer Woche über diesem Grenzwert; am Samstag beträgt er sogar 90,1, was 301 Infizierten pro Woche entspricht. Erst, wenn der Wert mindestens eine Woche lange unterschritten wird, können die Einschränkungen wieder aufgehoben werden. Ministerpräsident Armin Lascht sagte dazu jüngst: &bdquo;Der Schlüssel zum Erfolg gegen die zweite Welle ist die deutliche Reduzierung von sozialen Kontakten." Werden sie die Gäste dann privat treffen? Doch werden die Kontakte durch eine Sperrstunde reduziert - oder lediglich verlagert? "Es gibt gerade nirgends einen kontrollierteren Raum als die Gastro", sagt Benjamin Stücke - und nennt Beispiele: geschlossene Theke, Tisch-Abstände, Personal mit Masken, Desinfektionsmittel. All das gilt längst im Plan B. "Und natürlich kommt auch regelmäßig das Ordnungsamt vorbei." Dieser sichere Raum werde nun ab 23 Uhr aufgegeben. Viele Gäste würden sich am Wochenende aber überhaupt erst um diese Zeit aufmachen, um zu trinken und zu feiern. Der Betreiber glaubt, dass sich viele Gäste künftig nach 23 Uhr privat treffen werden. Für Feiern in den eigenen vier Wänden gelten bislang keine verschärften Corona-Regeln, da der Staat an dieser Stelle in die Privatsphäre eingreifen müsste. Dafür gibt es bislang keine Rechtsgrundlage. Stücke: "Man nimmt den Gastro-Besuchern jetzt einen geschützten Raum. Es kann sein, dass mit der Sperrstunde genau das Gegenteil erreicht wird von dem, was man sich erhofft." Andreas Büscher aus Bielefeld ist Präsident des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes OWL. Er sagt: "Wer jetzt feiert, geht in der Regel nicht um 23 Uhr ins Bett." Es sei in jedem Fall derzeit besser und sicherer, in der Gastronomie zu quatschen und zu trinken - "als bei einer privaten Ansammlung irgendwo im Keller". Büscher könne die Sorgen der Clubs und Bars sehr gut verstehen. "Sie haben zuletzt neue Konzepte entwickelt und sich viele Gedanken gemacht." Zugleich sagt Büscher: "Es ist wirklich schwer, eine Aussage zu treffen." Einzelne Einschränkungen seien immer noch besser, als wenn "alles zugemacht würde". Das wäre eine Katastrophe für die Branche. "Uns wird die Hälfte der Leute fehlen" Die Betreiber des Plan B gehen davon aus, dass sie durch die Sperrstunde nur ein Viertel des sonstigen Umsatzes genieren werden. "Ich glaube, dass uns die Hälfte der Leute fehlen wird", sagt Friesen. Betreiber müssten unter diesen Umständen überlegen, ob es sich lohnt, überhaupt zu öffnen. "Dann wird's irgendwann schwer für uns." Die Gastronomen rechnen damit, dass es in der Branche eine Pleitewelle geben wird. Vor diesem Hintergrund sehen sie die jetzt geltenden Einschränkungen umso kritischer: "Es ist nicht mal haltbar, dass sich bislang reihenweise Menschen in Restaurants und Bars angesteckt haben." Die Gastronomie allein werde das Infektionsgeschehen nicht stoppen können.

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