Ein Unentschieden - zum Heulen schön

Bielefeld. Irgendwie hat die ganze Geschichte vom 19. Mai 2012 schon 1993 begonnen. Allerdings konnte Matze Räber, korrekter Vorname Martin, das damals noch nicht ahnen. Er war gerade 36 Jahre alt und Trainer des Handball-Regionalligisten HC 93 Bad Salzuflen geworden, als ihn der 17-jährige Nachwuchsspieler Pierre Limberg mächtig beeindruckte. &bdquo;Pierre war für die Klasse einfach zu schmächtig. Ein halbes Jahr später hatte er sich das körperliche Format antrainiert – ich konnte ihn in der Rückrunde problemlos einsetzen." Limbergs gesunder Ehrgeiz und dessen Handballverständnis führten Räber und Limberg 19 Jahre später zu Räbers emotionalstem Moment seiner langen und mit Aufstiegen gepflasterten Laufbahn. Räber sagt: "Alleine mach ich das nicht!" Ein halbes Jahr zuvor, am 14. November 2011 hat der Drittligist TSG Altenhagen-Heepen bei einem Punktestand von 5:17 seinem einstigen Erfolgstrainer Helmut Bußmeyer den Laufpass ausgestellt. &bdquo;Es hat unterschiedliche Auffassungen bei der Trainingssteuerung gegeben", sagt Abteilungsleiter Heinrich Rödding. Co-Trainer Matze Räber übernimmt. &bdquo;Bitter war", sagt der heute, &bdquo;dass Helmut der Meinung war, ich hätte zu seiner Entlassung beigetragen. Das war aber nicht so." Räber und Bußmeyer hatten beim TSV Altenhagen in den Achtzigern zusammengespielt. Räbers Mission ist eindeutig: Klassenerhalt. Doch der sagt erst einmal: &bdquo;Alleine mache ich das nicht!" Er brauche einen Ansprechpartner. Und findet ihn im nun 36-jährigen TSG-Kreisläufer Pierre Limberg. Die alte Bad-Salzuflen-Connection. &bdquo;Die Mannschaft war völlig am Boden,ohne Selbstvertrauen" Räber sagt: &bdquo;Die Mannschaft war völlig am Boden, ohne Selbstvertrauen." In der Weihnachtspause verordnet das Duo dem Team &bdquo;eine komplett neue Saisonvorbereitung", erinnert sich Räber. &bdquo;Das war schon eine Nummer, in der Rückrunde zu zeigen, dass wir uns nicht geschlagen geben." Räber und Limberg holen 17:17 Punkte, die TSG steht mit nun 22:34 Zählern immer noch am Abgrund, auf dem gleichen 13. Platz wie bei Bußmeyers Entlassung. Zwei Punkte vor Eintracht Hagen und dem roten Strich, der die Abstiegsrelegation bedeutet. Am letzten Spieltag, dem 19. Mai 2012, hat die TSG den Matchball beim siebtplatzierten VfL Edewecht. Die TSG braucht einen Punkt. Die Hoffnung auf ein Backe-backe-Kuchen-Spiel stirbt schnell Doch die Hoffnung auf ein Backe-backe-Kuchen-Spiel der Niedersachsen stirbt schnell. Mit 22:14 führt Edewecht in der 37. Minute. Die TSG am Boden. Es folgen 23 Spielminuten, die in Tränen enden. Räber stellt die Deckung um, beordert Benjamin Richter vor die Abwehr. Der Youngster, Torhüter Pascal Welge und der überüberragende Daniel Meyer mit allein 13 Toren führen die TSG nach dem 14:22 zu einem 14:5-Tore-Lauf und damit zum 28:27. Der Edewechter Ausgleich 20 Sekunden vor Schluss ist unerheblich. Schlusspfiff. Gerettet. Matze Räber sinkt auf die Knie. Geschlagen von den Anstrengungen und der Anspannung der vergangenen Monate – und der vergangenen 23 Minuten. Sein emotionalster Moment dauert etwas länger, er treibt ihn zunächst in den Kabinentrakt. Allein. Zurück in der Halle findet er Pierre Limberg. Beide umarmen sich herzlich und sagen – nichts. Räber hat vorsorglich die Brille abgenommen. Die Tränen rollen. Das Geheimnis dieses Erfolges? &bdquo;Da ist es mir irgendwie gelungen, an die Spieler zu appellieren. Das lernt man jedenfalls nicht mit der B-Lizenz." Benjamin Richter, nebenbei bemerkt, ist der Sohn von Räbers altem Kumpel Manni Richter, mit dem er 1983 im Trikot des TBV Lemgo in die Bundesliga aufstieg. Sachen gibt’s. "Ich war als Trainer nach meinem Schlaganfall schon weg vom Fenster" So ganz kann Räber acht Jahre später seinen Gefühlsausbruch von Edewecht noch nicht einordnen. Scham oder doch ein bisschen Stolz? &bdquo;Naja, es war halt sehr emotional", sagt er und rückt das rein sportliche Erlebnis in den großen Zusammenhang: &bdquo;Ich war nach meinem Schlaganfall 2007 ja eigentlich schon weg vom Fenster was die Trainertätigkeit betrifft." Es ging noch einmal gut aus. 2011 hatte er gerade die letzte seiner Reha-Maßnahmen abgeschlossen. Dass er noch einmal hochklassig ins erste Glied rücken würde, war damals absolut nicht geplant, schon gar kein Showdown in Edewecht. "Noch einen Kaffee für euch?" &bdquo;Die ganzen emotionalen Momente im Handball", sagt Räber versonnen, &bdquo;verdanke ich sowieso nur meiner Frau Karin, die immer alles mitgemacht hat." Seit Räber 22 war, sind sie ein Paar. Also hat die ganze Geschichte irgendwie schon 1979 begonnen. Wie aufs Stichwort tritt Karin ein in die gute Stube in Altenhagen und fragt: &bdquo;Noch einen Kaffee für euch?" Und Matze Martin Räber lächelt.

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