Mitbewohner schwärzt 84-Jährigen an - jetzt soll der seinen Führerschein abgeben

Bielefeld. Wenn Friedhelm Redeker stinkwütend ist, poltert er schon einmal los. Die jüngste Eskalation in einem Nachbarschaftsstreit macht den 84-Jährigen fassungslos: Der Mitbewohner habe dem Ordnungsamt gemeldet, Redeker sei im Straßenverkehr eine Gefahr für die Allgemeinheit. &bdquo;Aus heiterem Himmel, dabei habe ich in 60 Jahren nie einen Unfall gebaut. Es gab auch keinen besonderen Anlass." Jetzt soll der Senior seinen Führerschein abgeben – und weigert sich. &bdquo;Wie kann das denn rechtens sein?" Seit 18 Jahren wohnt der Bielefelder mit seiner Frau im Westen der Stadt. Vor zwei, drei Jahren sei der neue Mieter im Haus eingezogen. &bdquo;Das Verhältnis ist seitdem schwierig. Der mag uns nicht leiden", sagt Redeker. Wegen Beleidigungen kam es 2019 zu einem Schiedsverfahren mit dem Mitbewohner. Immer wieder gab es Ärger. &bdquo;Auch weil ihm wohl mal mein Auto im Weg stand." Vielleicht sei das der Auslöser gewesen. Nachbar verrät sich selbst Ende Juli erhält das Ehepaar jedenfalls plötzlich Post vom Ordnungsamt: Die Fahrerlaubnis des Bielefelders soll auf den Prüfstand. &bdquo;Da bin ich fast hintenüber geschlagen." Schnell ist dem Senior klar: &bdquo;Mein Mitbewohner hat mich denunziert. Als er mich neulich hinterm Steuer gesehen hat, hat er sich verraten und gesagt: ,Wieso fahren Sie Auto, das dürfen Sie doch gar nicht mehr." Dass er nicht mehr fahren könne, sei eine &bdquo;hundsgemeine Behauptung", wettert Redeker. &bdquo;Es gibt so viele Leute, die krank noch Auto fahren. Ich bin bei Behördengängen, Arztbesuchen und beim Einkaufen darauf angewiesen." Seine Frau habe zwar einen Führerschein, aber überhaupt keine Fahrpraxis. Besonders ärgert ihn, dass offenbar das eingereichte ärztliche Gutachten seines Kardiologen Grundlage dafür sein soll, dass er den Lappen verliert. &bdquo;Die Herzgeschichte ist doch schon 22 Jahre her." Bereits 1997 war der gelernte Industriekaufmann durch einen Herzinfarkt, auf den eine langwierige Behandlung und drei Bypässe folgten, zum Frührentner geworden. Viele Krankheiten können den Führerschein kosten Mit dem Alter ist jedoch manche Einschränkung hinzugekommen: Das Gehen ist beschwerlich. Und sehen tue er auch nicht mehr gut, räumt Redeker ein. Der Graue Star. &bdquo;Im Februar steht deshalb eine Augenoperation an." Dann werde sein Sehen wieder deutlich besser sein. Die Summe der verschiedenen Krankheiten ist es, die die Beamten beim Ordnungsamt hellhörig machte. Peter Egert ist hier Abteilungsleiter bei der Führerscheinstelle. Er erklärt, dass sich seine Behörde einschalte, wenn von Krankheiten wie Diabetes, Epilepsie, Herz- und Kreislauferkrankungen oder Altersdemenz die Rede sei. &bdquo;Auch wenn es heißt, jemand könne nicht mehr richtig gehen oder sehen, müssen wir das nachprüfen." Solche Mitteilungen würden meistens von der Polizei an das Amt gemacht, manchmal auch von Ärzten. &bdquo;Es wenden sich aber auch Privatpersonen an uns." Ausschlaggebend sei dann, ob gefährliche Situationen konkret geschildert oder Krankheiten detailliert beschrieben würden. Mehrere Schritte zum Führerscheinentzug Rechtliche Grundlage ist dabei die Fahrerlaubnisverordnung. Laut dortigem Paragrafen 11 kann die Behörde ein ärztliches Gutachten anfordern, &bdquo;werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisbewerbers begründen". Hinterlegt ist hier auch die Liste der Krankheiten, bei denen das Fahrvermögen auf den Prüfstand muss. Obendrein hat die Bundesanstalt für Straßenwesen einen &bdquo;Begutachtungskatalog für Fahreignung" aufgestellt, der den Behörden &bdquo;Entscheidungshilfen" zur &bdquo;vorbeugenden Gefahrenabwehr" gibt. Krankheiten seien dennoch nicht automatische Ausschlusskriterien, auch nicht das Alter einer Person, betont Egert. &bdquo;Wir müssen aber sicherstellen, dass Patienten gut eingestellt sind." In einem ersten Schritt schicke die Führerscheinstelle den Betroffenen deshalb Fragebogen zu, die Haus- oder Facharzt ausfüllen müssten, erklärt der Abteilungsleiter. Deren Beurteilung ist entscheidend für einen Führerscheinentzug. &bdquo;Für uns ist der Führerscheininhaber dabei immer der direkte Ansprechpartner, nicht der Arzt." Ärgerlich für Redeker: Sein Kardiologe habe den Fragebogen ungefragt direkt ans Amt geschickt. &bdquo;Das ist eine Verletzung der Schweigepflicht", sagt der Senior. Diese ärztliche Beurteilung, glaubt er, habe den Ausschlag gegeben. Egert widerspricht: &bdquo;Von Bedeutung ist nicht allein ein Faktor, sondern immer der allgemeine Gesundheitszustand." Denn Einschränkungen könnten auch kompensiert werden. Zum Beispiel durch &bdquo;eine sicherheits- und verantwortungsbewusste Grundeinstellung" wie es im Leitfaden der Bundesanstalt heißt. Redeker fährt so schon vorsorglich nicht mehr nachts oder bei schlechten Sichtverhältnissen. Rund hundert solcher Fälle beschäftigten 2019 die Führerscheinstelle Auch Egert betont: &bdquo;Wir entscheiden immer im Einzelfall über den Entzug der Fahrerlaubnis aufgrund körperlicher Gebrechen oder Krankheiten." Rund hundert solcher Fälle habe seine Stelle im Jahr 2019 bearbeitet. &bdquo;35 Personen haben freiwillig verzichtet, bei 13 mussten wir den Führerschein entziehen." Gut 50 Prozent hätten nach einer Prüfung des Gesundheitszustands weiterfahren dürfen. Auch Redeker hätte noch die Möglichkeit, einen Fahreignungstest zu machen und sich von einem Verkehrsmediziner untersuchen zu lassen – für 700 bis 800 Euro. &bdquo;Das können wir uns von unserer kleinen Rente doch nicht leisten", sagt der 84-Jährige. &bdquo;Und ich sehe es auch nicht ein. Ich habe ja nichts falsch gemacht." Bielefelder wendet sich an den Oberbürgermeister Redeker wirft dem Ordnungsamt dagegen Schikane vor: Dort habe man die Polizei darauf angesetzt, seine Wohnung &bdquo;zu stürmen und mich einzuschüchtern". &bdquo;Plötzlich standen am 19. Dezember zwei Autos mit drei Uniformierten vor der Tür, die sich Zugang zur Wohnung verschafften", erzählt er. Hintergrund war ein verbaler Ausrutscher: Redeker hatte kurz zuvor im Telefonat mit dem Ordnungsamt gesagt, in Fällen wie seinem sei es schon zum &bdquo;Hausmord" gekommen. Beim Amt verstand man dieses Schlüsselwort als Drohung und schickte die Beamten, um Redeker zu ermahnen - eine solche "Gefährdungsansprache" ist eine etablierte Polizei-Taktik zur Gewaltprävention. Für Redeker eine unverhältnismäßige Reaktion: &bdquo;Sie hielten mir vor, ich sei aufbrausend. Aber ich muss mich doch verteidigen dürfen", sagt er verzweifelt. (nachträgliche Ergänzung 13. Januar) Bis zum 23. Dezember hätte er eigentlich seinen Führerschein abgeben müssen. Freiwillig. Er hat den Termin verstreichen lassen – und sich jetzt an den Oberbürgermeister gewandt.

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