Seltene Einblicke: So wunderschön war der Bielefelder Kesselbrink

Bielefeld. Eine Luftaufnahme des Kesselbrinks aus dem Jahr 1930 hat es Jochen Rath angetan. Der Platz habe zu dieser Zeit mit seiner Park-Gestaltung eine Aufenthaltsqualität gehabt, &bdquo;die heute noch geradezu verzweifelt, vor allem aber erfolglos gesucht wird", meint der Stadtarchivar. Zu sehen ist das beeindruckende Foto in Raths neuem Buch &bdquo;Bielefeld. Eine Stadtgeschichte". "Der Kesselbrink ist ein zentraler Ort der Begegnung und der sichtbaren Immigration, jetzt braucht er endlich erfolgreiche Innovation", sagt Rath und fügt grinsend an: "Manchmal ist es wirklich gut und hilfreich, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen." Noch ein Thema in diesem Buch erfreut sich derzeit großer Aktualität: Bielefeld als Fahrradstadt. So avancierte die Stadt bis kurz vor dem Ersten Weltkrieg zum drittgrößten Fahrrad-Fabrik-Standort im Deutschen Reich – 13 Prozent der Produktion kamen von hier. Nur Nürnberg und Brandenburg waren besser. Ein dritter zentraler Punkt des Buches, ebenfalls von aktueller Bedeutung: Die Gründerszene. &bdquo;Bielefeld ist schon immer ein Raum für Talente gewesen", sagt Rath. Als bekannte Unternehmer gingen zum Beispiel Hermann Delius, Carl Baer, Nicolaus Dürkopp und Theodor Calow hervor. Rund jede zehnte Spindel und Webmaschine lief gegen 1900 in Bielefeld. Die Textilherstellung wurde zum Motor der ganzen Stadt. Großen Anteil am industriellen Erfolg hatte auch der Anschluss an das Eisenbahnnetz im Jahr 1847. 176 Seiten, 7 Kapitel Das neue Buch &bdquo;Bielefeld. Eine Stadtgeschichte" ist vor allem eins: kompakt. Und genau das sei vom Verlag Friedrich Pustet aus Regensburg ausdrücklich gewünscht gewesen. Es richtet sich an Interessierte, die einen schnellen Zugang zu Bielefelds Geschichte wünschen. An Bürger und Besucher – und weniger an das Fachpublikum. 176 Seiten dick, gegliedert in 7 Kapitel.Darin schildert Rath vor allem Bielefelds Geschichte des Scheiterns und Aufstehens. Ein Beispiel: Der Bielefelder Jacob Diedrich Kurlbaum bewarb sich zweimal für das Amt des Bürgermeisters – stets ohne Erfolg. Enttäuscht wanderte er in die USA aus, um dort das erste preußische Konsulat zu gründen. Doch auch das traute man ihm nicht zu – eine Vita der Enttäuschung. &bdquo;Diese Geschichte gehören genauso zu Bielefeld dazu wie die Blütezeit während der Industrialisierung", sagt Rath. Zählte die Stadt bis ins Jahr 1800 noch rund 3.000 Einwohner, waren es am Vorabend des Ersten Weltkriegs bereits 70.000. &bdquo;Die Zahl ist mit der Industrialisierung durch die Decke geschossen." Die teilt Rath für Bielefeld in zwei Phasen auf: In der ersten seien viele Arbeitskräfte aus dem nahen Umfeld wie Heepen oder Senne nach Bielefeld zum Arbeiten gekommen – und abends wieder nach Hause zu ihren Familien gegangen. Der Migrationsanteil heute beträgt 38,6 Prozent In einer zweiten Phase siedelten sich viele Menschen aus anderen Regionen wie zum Beispiel dem Ruhrgebiet und Schlesien an. &bdquo;Zu dieser Zeit kamen viele Töchter polnischer Bergarbeiter nach Bielefeld, um Arbeit in der Textilindustrie zu suchen", sagt Rath. Heute weist die Stadt einen Migrationsanteil von 38,6 Prozent auf. Im Kapitel zur NS-Zeit zeigt Rath ein Porträt der damaligen Stadträtin Clara Delius, die mutig gegen das Hissen der Hakenkreuzfahne am Rathaus demonstriert hatte – erfolglos. Ende 2016 war der Verlag Friedrich Pustet auf Rath zugekommen. Das Buch ist Teil der Reihe &bdquo;Kleine Stadtgeschichten", die mittlerweile 45 Bände umfasst. Die größte Herausforderung für Rath sei es gewesen, Geschichten und Sachverhalte möglichst knapp zusammenzufassen. &bdquo;Ich biete einen Überblick. Vertiefende Literatur zur Stadtgeschichte bieten zum Beispiel die Werke von Reinhard Vogelsang." Im letzten Buchkapitel blickt er auf die heutige Situation Bielefelds. &bdquo;Die Stadt hat aktuell einen ganz guten Lauf", sagt der Stadtarchivar. Und in seinem letzten Satz vermittelt der Autor dann doch bewusst ein wenig Hoffnung: &bdquo;Pläne und Herausforderungen gibt es genug – sie sind in der Vergangenheit immer bewältigt worden". Erhältlich ist das Buch für 14,95 Euro im heimischen Buchhandel und direkt beim Verlag Friedrich Pustet.

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