Zehn Jahre Oberbürgermeister Clausen – eine Bilanz

Bielefeld. Im zweiten Anlauf klappte es 2009. Pit Clausen, damals SPD-Fraktionschef im Rat, schaffte den Sprung ins Amt des Oberbürgermeisters. Im Rat musste er sich aber auf zwei knappe Mehrheiten stützen, erst die Ampel von Rot-Grün mit der FDP, dann die Paprika mit Bürgernähe und Piraten. Vor zehn Jahren trat Clausen sein Amt an, brachte einiges auf den Weg, holte sich aber politisch auch manch blutige Nase. Eine gemischte Einschätzung: STADTWERKE ALS ANKER Angesichts leerer Kassen setzte Clausen früh auf den Anker Stadtwerke. Der Rückkauf der Anteile von Bremen sicherte der Stadt wieder den vollen Zugriff auf die Versorgungstochter, auch wenn der Preis mit 200 Millionen Euro hoch war. Eine wichtige strategische Entscheidung. Denn nur so ließ sich trotz hoher Schulden noch manch Projekt anschieben. Der OB will dies auch für die Verkehrswende nutzen. Doch es birgt große Risiken, die sonnigen Zeiten der Stadtwerke sind nach Grohnde vorbei. Fazit: Die Tochter schafft Gestaltungsspielraum, wird auf Dauer aber teuer. DER SCHULDENBERG Wie viele Großstädte schlidderte Bielefeld in die Schuldenfalle. Mehr als eine Milliarde Euro drückt den Kämmerer. Seit Jahren muss die Stadt sich größere Ausgaben von Detmold erlauben lassen. Der versuchte Sparkurs löste Kritik aus, wirkte nur langsam. Ohne Steuererhöhungen kam der OB nicht aus, zum Ärger von Bürgern und Wirtschaft. 2020 soll es erstmals wieder schwarze Zahlen geben, auch dank der guten Konjunktur. Doch die nächste Rezession droht. Fazit: Der Schuldenberg führte nicht zu Stillstand, aber der Spielraum bleibt eng. Die VERKEHRSWENDE Die Umweltspur auf dem Jahnplatz ist Symbol für die Mängel in der Klimapolitik und den neuen Ehrgeiz des Oberbürgermeisters, eine Mobilitätswende einzuleiten, die Lebensqualität in der Stadt erhöht. Das soll Autofahrer zum Umstieg auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel bewegen. Vorfahrt für Stadtbahn, Busse, Radfahrer und Fußgänger. Das erfordert hohe Investitionen, bei denen die Stadt am Tropf der Fördertöpfe hängt. Viel wird mit heißer Nadel gestrickt wie am Jahnplatz. Ideen wie ein Fahrrad-Boulevard auf der Artur-Ladebeck-Straße sorgen teils für Kopfschütteln. Die Kritik wächst. Fazit: Bielefeld macht sich auf einen wichtigen Weg, stolpert aber an vielen Stellen. Das Debakel der LINIE 5 Als 2014 die Linie 5 von Sennestadt nach Heepen in einer Bürgerbefragung abgelehnt wurde, war das wohl die bitterste Niederlage für Clausen in seiner Amtszeit. 217 Millionen Euro sollte sie kosten, zehn Millionen Fahrgäste im Jahr bringen. Am Ende stimmten 53,4 Prozent der Wähler gegen die Stadtbahnlinie. Das gescheiterte Projekt war ein herber Rückschlag für die Mobilitätspläne Clausens und ist für ihn bis heute eine verpasste Chance, die Verkehrswende ernsthaft nach vorne zu bringen. Denn ohne das Großprojekt geht es nur in kleinen Schritten voran. Ein großes Manko: Ein schlüssiges Gesamtverkehrskonzept fehlt. Fazit: Clausen und Ex-Stadtwerke-Geschäftsführer Wolfgang Brinkmann hätten sich mit der Linie 5 ein Denkmal gesetzt. Am Ende standen sie als große Verlierer da. DIE WIRTSCHAFT Bielefeld profitiert vom Wachstum. Mehr Einwohner, mehr Umsatz, mehr Beschäftigte, mehr Steuereinnahmen. Das liegt eher an der Konjunktur als am Rathaus. Doch der OB hat trotz linker Mehrheiten im Rat die Entwicklung nicht abgewürgt. Allerdings sind Gewerbeflächen knapp, siedeln sich eher Autohäuser als Industrie an und scheiterte Bielefeld bei groß verkündeten Interventionen gegen den neuen Porta-Markt in Gütersloh oder das Gerry-Weber-Outlet in Halle. Fazit: Bielefeld muss aufpassen, den Anschluss nicht zu verlieren. Kesselbrink und Co Viele Bielefelder hadern eher mit ihrer Stadt. Dabei ist die Altstadt zum Schmuckstück geworden. Aber an anderen Stellen hakelt es. Am Jahnplatz stören nicht nur die Dächer. Ob die Stadtreparatur mit der geplanten Umgestaltung hilft, bleibt abzuwarten. Immerhin passiert etwas. Am Kesselbrink wurden zig Millionen verbuddelt. Doch die Anfangseuphorie ist dahin, er ist eher zum Problemplatz geworden. Der OB schaltete sich vor drei Jahren ein, ohne den großen Durchbruch zu erreichen. Fazit: Die Stadtgestaltung bewegt sich schleppend, teils fehlt das Augenmaß. DIE WISSENSCHAFTSSTADT Die Hochschulen wachsen rasant. Das bringt viele Impulse, schafft aber neue Herausforderungen. Der Ausbau am Campus Nord liefert Zündstoff. Bei der Medizin-Fakultät hatte sich Clausen lange gesperrt. Am Ende behielten seine Kritiker Recht. Heute sagt der OB: &bdquo;Es ist ein Glücksfall für die Stadt." Beim Haus der Wissenschaft, das Hochschulen in die City holen soll, legt sich Clausen ziemlich ins Zeug. Doch das Vorzeigeprojekt verzögert sich, frühestens 2022 kann es an den Start gehen. Fazit: Bei der Medizin-Fakultät machte Clausen lange keine gute Figur, beim Haus der Wissenschaft hakelt es und am Campus schlingert die Stadt noch bei ihrem Kurs. BUNTES BIELEFELD Clausen ist kein trockener Aktenfresser. Er gibt sich locker, offen, hört zu, zeigt sich als Oberbürgermeister mit Hund. Ein Sonderrecht im Rathaus, das nicht alle gut finden. Er geht auf Bürger zu, aber zu wenig, sagen die in den Stadtbezirken. Wichtig sei ihm ein &bdquo;buntes Bielefeld", betont er immer wieder, zeigt sich offen für Lesben, Schwule und Migranten. Die Flüchtlings-Unterbringung war eine Herausforderung. Bielefeld reagierte schnell, Konflikte hielten sich in Grenzen. Viel verdankte es hilfsbereiten Bürgern. Fazit: Clausen setzt sich für eine offene Stadt ein, schafft es aber nicht, alle mitzunehmen.

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