Ratten-Alarm: Nager tauchen massenhaft an der Bielefelder Oberfläche auf

Bielefeld. Tote Tiere liegen sichtbar herum. Eine Familie in Gadderbaum hatte eine Ratte im Haus. Jogger berichten am Ententeich am Quellenhofweg von mehreren herumlaufenden Ratten. Viele Bielefelder klagen über eine Rattenplage. Nahe der Bethel-Hauptverwaltung liegt eine Ratte tot herum, an der Artur-Ladebeck-Straße (Höhe HUK Coburg) auch, gegenüber von Oetker stehen mittlerweile zwei Fallen am Rand des Radweges, im Ravensberger Park werden die Nager regelmäßig gesehen, an den Stauteichen und am Obersee sowieso. Überall in der Stadt drängen die Nagetiere aus der Kanalisation an die Oberfläche. Problematisch ist dabei auch, dass das Rattengift oft nicht mehr wirkt, davon berichtet der Umweltbetrieb. Ratte im Baum Lange hieß es: In Großstädten kommen auf jeden Bürger drei bis vier Ratten. Macht eine Million bis anderthalb Millionen in Bielefeld. Doch das wird mittlerweile als zu hoch gegriffen bewertet, sagt Andrea Marten vom Umweltbetrieb. Wie viele es auch immer sein mögen, viele Bürger erleben dieses Jahr gefühlt eine Art Ratten-Plage. Karin Böttger und Georg Döge leben nahe der Deckertstraße, auch sie haben Ratten im Garten. Döge: "Ich hörte ein Rascheln, sah in unseren Baum - und von da aus schaute mich groß eine fette Ratte an." Böttger: "Ich denke, das Tier kommt aus der Kanalisation." Beide finden das widerlich, möchten die Ratten nicht bei sich am Haus haben. Beobachtet haben sie, dass die Tiere in vielen Gärten das Vogelfutter wegfressen. Böttger: "Abends habe ich jetzt auch schon eine Ratte auf der Deckertstraße gesehen." In Sennestadt war bereits im März von Bürgern eine Rattenplage moniert worden. Mehr Rückzugsräume Während in anderen Städten bereits explizit von einer Rattenplage die Rede ist, geben sich die Experten vom Umweltbetrieb zurückhaltender. Dass es etwas mit heißen Sommern zu tun haben könnte, sieht Sprecherin Andrea Marten so nicht. "Unsere Leute sagen, dass es in den Kanälen nicht mehr Ratten gibt als sonst." Zudem sei den Ratten dort egal, wie warm es draußen sei. In Leipzig wird das anders gesehen. Dort geht man davon aus, dass die Ratten wegen geringer Niederschläge viel mehr Rückzugsräume in der Kanalisation finden. Oberirdisch sind es mehr Was Marten für Bielefeld bestätigen kann, ist, dass es oberirdisch mehr Ratten gibt. Da könnten sich warme Sommer auswirken: Es wird viel gegrillt, es bleibt viel liegen in den Parks. Menschen sind mehr draußen, lassen entsprechend mehr fallen und liegen. Abfälle duften fröhlich vor sich hin, sind leicht zu entdecken. Ratten haben eine bessere Nase als Hunde. Hinzu komme, dass immer mehr Menschen tierlieb handelten - Vogelfutter hängt das ganze Jahr draußen, Igel werden mit Katzenfutter gefüttert, Hühner im Garten gehalten und gefüttert. Das hilft den Vögeln, Igeln und Hühnern, aber eben auch den Ratten. Essensreste und Tierfutter - "ein Festmahl", sagt Marten. Der Tisch ist reich gedeckt. Oft auch auf dem Komposthaufen. Rattengift zu schwach Ihre Kollegen, die die Ratten auf öffentlichem Grund bekämpfen, berichten aber auch von einem anderen Problem. Neue EU-Regeln gelten fürs Rattengift. "Das ist mittlerweile zu schwach, es hilft nicht mehr wirklich", so Marten. Noch schwächer sei das, was der Bürger kaufen könne. Es laufe wohl bald auf Schlagfallen hinaus, "aber Ratten sind schlau", gibt Marten zu bedenken. In Baumärkten haben sich Fallen längst vom Nischenprodukt zum gut verkauften gemausert. Ein zäher Kampf Wie zäh der Kampf gegen Ratten ist, zeigen Zahlen zu ihrer Vermehrung auf: Immerhin bis zu acht Mal im Jahr können Ratten sich vermehren - und das heißt dann: Jedes Mal werden bis zu 18 Baby-Ratten geboren. Macht rechnerisch 136 Ratten. Aber selbst wenn es nur halb so viele sind, wären das noch immer fast 70 neue Ratten; pro Weibchen. Dass die Nager und ihre Parasiten (Rattenfloh) laut Niedersächsischem Landesamt für Verbraucherschutz 120 Krankheiten übertragen können, macht das alles nicht besser. Bekannteste übertragene Krankheit ist die Pest - aber auch Typhus, Cholera und Ruhr sind im Angebot. Feinde haben Ratten dabei wenige: Katzen wagen sich im Allgemeinen nicht an sie heran, Greifvögel gibt es in der Stadt eher wenige, Füchse auch. Marder und Hunde könnten sie erwischen, doch Ratten sind schlau. Ergo werden sie schnell mehr. Das Landesamt rechnet vor: Eine Ratte könne rechnerisch im Jahr fast 2.000 Ratten produzieren, da die Babys schnell geschlechtsreif sind und es Hunderte Kindeskinder binnen zwölf Monaten geben könne. Köder sind heikel Dagegen kommt die Stadt schwer an. In einer Info-Vorlage vom Umweltbetrieb für die Politik stellt der Betrieb klar, dass er "zur Rattenbekämpfung verpflichtet ist". Im öffentlichen Kanalsystem werde gegen die Nager vorgegangen. Reagiert werde auf Zuruf (also Bürgerbeschwerden) - und auch von sich aus. Werde Kot entdeckt, werde mit Giftködern reagiert. Solange die Köder gefressen würden, werde immer wieder neu ausgelegt. Doch das ist durchaus heikel: Ratten sind nicht doof, sehen sie, dass eine stirbt, fressen sie hier nicht mehr. Der Tod muss verzögert eintreten. Woanders. Oberirdisch, so der Umweltbetrieb, werde nur mit Ködern in markierten Köderboxen gearbeitet - und diese festgedübelt, wenn sie in der Nähe von Kinderspielplätzen oder Schulhöfen auslägen. 304.000 Euro Kosten Fünf Mitarbeiter in zwei Kolonnen seien für die Ratten zuständig, 2018 hätten sie 2.300 Arbeitsstunden geleistet - und an fast 400 Standorten mehr als 10.000 Köder ausgelegt. Kosten: fürs Personal 292.000 Euro und für die Köder 12.000 Euro. Von diesen 304.000 Euro seien 80 Prozent in Anti-Ratten-Einsätzen unter der Erde investiert worden, 20 Prozent in oberirdische Einsätze. Bleibt also vor allem das eigene Handeln: Sorgfältiger Umgang mit Müll, vielleicht doch Tiere füttern, wenn sie es unbedingt brauchen - und vor allem keine Essensreste ins Klo kippen. Da schwimmt es den Ratten in der Kanalisation direkt vor die Schnauze - danke sagt da die Ratte. Wer ein Problem mit Ratten hat, kann die Stadt anrufen: Telefon 0521-510.

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