200 Kilo Drogen verkauft: Seltener Einblick in Bielefelder Familien-Clan

Bielefeld. Mehr als vier Jahre lang sollen Mitglieder eines polizeibekannten Bielefelder Familien-Clans einen schwunghaften Drogenhandel in der Stadt betrieben haben. Nach einer großen Polizeirazzia im März sind nun die Ermittlungen der Fahnder und der Staatsanwaltschaft so gut wie abgeschlossen. Sie gehen davon aus, dass das Familienoberhaupt und drei seiner Söhne mehr als 200 Kilo Rauschgift verkauft und damit 750.000 Euro eingenommen haben. Über ein Jahr lang hatten Ermittler der Drogenfahndung die Beschuldigten bereits im Visier. Sie überwachten zahlreiche Familienmitglieder und andere Tatverdächtige am Telefon, verfolgten ihre Fahrzeuge und oberservierten am Ende neun verschiedene Objekte - acht davon in Bielefeld, eines in Spenge. Mitte März warteten Fahnder wie SEK-Einheiten noch auf eine letzte Drogenlieferung von fünf Kilo Marihuana und 108 Gramm Kokain, um dann an der Gutenbergstraße im Bielefelder Westen sowie an den acht anderen Objekten zuschlagen zu können. Insgesamt holten die Beamten 60 Kilo Rauschgift und große Bargeldsummen aus Verstecken und Drogendepots in den neun Objekten. Auch wurden sechs Fahrzeuge, darunter mehrere Luxus-Limousinen sichergestellt. Update, 28. August: Wie Familienmitglieder der Beschuldigten gegenüber der Redaktion betonten, sei ein Großteil der Anschuldigungen gegen die Familienmitglieder nicht zutreffend. So sei der Großteil der 60 Kilo Drogen bei einem Komplizen sichergestellt worden. Auch seien im Fall der Familie nur ein älterer Chevrolet und ein Renault Clio beschlagnahmt worden. 200 Kilo Marihuana und Haschisch sowie zwei Kilo Kokain Erst die anschließenden Ermittlungen deckten aber das ganze Ausmaß des kriminellen Handels auf. Staatsanwaltschaft und Polizei gehen davon aus, dass zunächst Önül S. (32, alle Namen geändert, Namen sind der Redaktion bekannt) mit einem Komplizen im großen Stil Handel mit Marihuana, Haschisch und Kokain betrieben. Önüls Vater Ali (53), Familienoberhaupt des polizeibekannten kurdisch-jesidischen Clans, soll dabei stets die Kontrolle über alle Geschäfte behalten und die Drogenlieferungen im Hintergrund mitorganisiert haben. Das ist das Ergebnis der Ermittler. Deshalb gehen die Behörden von Beginn an von einer bandenmäßigen Vorgehensweise aus. Später - 2017 und 2018 - sollen auch zwei weitere Söhne (33, 19) Alis unter seiner Zustimmung in das brummende Geschäft eingestiegen sein. Handys abgehört, Autos verfolgt, Gebäude observiert Alle vier Familienmitglieder kamen nach der Razzia in Untersuchungshaft - außerdem der erwähnte Komplize. Anderen Beschuldigten - unter anderem der Ehefrau des Familienoberhaupts - konnten die Ermittler keine konkreten Vorwürfe machen. Die Polizei sprach anschließend von einem großen Erfolg. Durch abgehörte Telekommunikation, Auswertung der sichergestellten Beweise und umfassende Aussagen von Insidern gehen die Behörden inzwischen davon aus, dass die Bande seit Anfang 2015 gut 200 Kilo Marihuana und Haschisch sowie gut zwei Kilo Kokain verkauft haben. Ihr Gewinn soll bei gut 750.000 Euro gelegen haben. Unter den Augen der Behörden chatteten sie munter weiter Die großen Lieferungen kamen teilweise aus Holland und möglicherweise aus Norddeutschland. Die Drogenkuriere fuhren mit gestohlenen Kennzeichen vor. Trotz der umfassenden Polizeiüberwachung sind einige der Lieferanten bis heute unbekannt, heißt es aus gut unterrichteten Quellen. Weil die mutmaßlichen Täter ahnten, dass ihre Telefone abgehört werden, waren sie für die Absprachen auf Handy-Chats umgestiegen, die von den Behörden nicht überprüft werden können. Sie unterhielten sich quasi unter den Augen der Polizei munter weiter, ohne dass die Behörden davon etwas mitbekamen. Die Drogenkuriere versteckten die gelieferte Ware in bereitgestellten Fahrzeugen oder sollen sie direkt am Wohnhaus der Familie S. abgegeben haben, wo die heiße Ware in Zwischendecken oder in einem Keller verschwanden. Größere Lieferungen wurden auch auf einem abgelegenen Parkplatz am Schloßhof ausgetauscht, heißt es aus Ermittlerkreisen. Ende 2018 soll das Familienoberhaupt in Spenge eine Immobilie gekauft haben. Die Kripo geht davon aus, dass er dies tat, um dort eine versteckte Marihuanaplantage einzurichten. Als es Monate später auch dort zur Durchsuchung kam, sollen vor Ort Gerätschaften gefunden worden sein, die für den Drogenanbau geeignet sind. Bedrohung, Prostitution, Einbruch, Sozialversicherungsbetrug Am Rande der Observationen wurden noch einige andere Straftaten offenkundig. So konnten mehrere Einbrüche aufgeklärt werden, die auf das Konto des drogenabhängigen Familienmitglieds Gökan S. (33) gehen sollen. Der Versuch, unter Androhung von Gewalt eine Minderjährige zur Prostitution zu zwingen, soll ebenfalls noch strafrechtlich verfolgt werden. Zur Überraschung aller Behörden bezogen die beschuldigten Familienmitglieder alle Hartz-IV-Leistungen. Da sie aber offensichtlich über unverhältnismäßig hohe finanzielle Mittel verfügten, wurde auch wegen Sozialversicherungsbetruges ermittelt. Bei einer früheren Razzia 2008 hatte die Polizei in dem Haus der Familie S. bereits eine Babytasche voller scharfer Waffen gefunden. Trotzdem soll der Tatvorwurf gegen das Familienoberhaupt wackelig sein Allerdings soll die zuständige Kammer des Landgerichts Mängel in der ursprünglichen Anklage der Staatsanwaltschaft angemerkt haben. Wie Gerichtssprecher Guiskard Eisenberg bestätigte, wurde daraufhin diese Anklage zurückgezogen. Eine zweite soll inzwischen auf dem Weg sein. Insbesondere der Nachweis, dass Familienoberhaupt Ali S., der stets im Hintergrund agiert habe, führender Bestandteil der Bandenorganisation gewesen sein soll, soll auf tönernen Füßen stehen. Das Verfahren gegen den ebenfalls schwer belasteten Komplizen wurde von der Staatsanwaltschaft abgetrennt. Strafmaß nicht unter fünf Jahren Haft Rechtsanwalt Carsten Ernst, Strafverteidiger des Hauptbeschuldigten Önül S. (32), spricht von "schwerwiegenden Vorwürfen gegen seinen Mandanten". Ob in diesem Fall wirklich bandenmäßiges Verhalten vorzuwerfen sei, das müsse im Laufe des langen und umfangreichen Verfahrens erst bewiesen werden. Bandenmäßiger Drogenhandel in "nicht geringer Menge", wie er in diesem Fall angenommen wird, wird nicht unter fünf Jahren Haft bestraft. Dieser Deliktbereich ist typischer Bestandteil von Clan-Kriminalität. Trotzdem zeigen NRW-Zahlen, dass Bielefeld diesbezüglich kein ernsthaft großes Problem hat. Während Polizei und Staatsanwaltschaft vor allem Drogenhändler - wie in diesem Fall - verfolgen und bestrafen wollen, sieht der Bielefelder Suchtmediziner Ulrich Pfaff im Verbot von Marihuana und in der staatlichen Repression von Suchtkranken einen wesentlichen Grund für das offenbar florierende kriminelle Phänomen.

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