Bielefeld. Es war ein trauriger 1. Mai im Tierpark Olderdissen: Die schwerkranke Wisent-Kuh Holle hatte immer mehr abgebaut, mittags dann entschied der Tierpark, sie durch einen Kopfschuss zu erlösen. Der laute Knall am besucherstarken Feiertag schockierte eine junge Frau, die mit einer Kindergruppe vor Ort war. Auch etliche andere Besucher äußerten sich im sozialen Netzwerk Facebook irritiert.
Warum der Schuss dennoch notwendig und nicht mehr aufzuschieben war, dafür hat Tierparkleiter Herbert Linnemann eine Erklärung. Seit sechs Tagen litt Holle bereits an einer rätselhaften Krankheit. „Das Tier fraß schlecht, lag teilweise flach mit dem Kopf auf dem Boden oder lehnte sich an den Zaun, weil es alleine nicht mehr stehen konnte."
Linnemann berichtet, dass die Zuständigen vor dem Schuss alles vorbereitet hatten. Die fünf bis zehn Menschen am Gehege seien informiert gewesen. Diesen sei daher bewusst gewesen, was passiert – besonders Familien hätten die Wahl gehabt, die Kinder beiseitezunehmen. Doch bei aller Vorsicht des Tierparks wurde eine junge Frau mit einer Kindergruppe vom Schuss überrascht.
Tier sollte nicht weiter leiden
Die Frau hat die Szenerie vom Parkplatz aus fotografiert und fragte die Lokalredaktion, ob die Aktion an solch einem belebten Tag nicht hätte aufgeschoben werden können. Um das Tier nicht weiter leiden zu lassen, sei das laut Linnemann aber nicht möglich gewesen.
Vor dem Schuss hatte Tierpfleger Markus Hinker die Kuh per Blasrohr betäubt, nachdem vorher die Bullen in einem anderen Gehegebereich separiert worden waren. Dann ging Linnemann extrem vorsichtig zur Kuh, „die Tiere sind unglaublich gefährlich".
Da die Kugel nicht quer zum Gelände fliegen sollte, stellte er sich steil über den Kopf des Wisents und erschoss es so, dass die Kugel in den Boden eindrang. Zur Sicherheit. Anschließend wurde der 450-Kilo-Kadaver per Seilwinde aus dem Gehege gezogen.
2010 kam das Tier aus Neumünster
„Und wir sind wieder zu den Menschen hin und haben weiter informiert. Das Schussgeräusch hatte für Aufsehen gesorgt", schildert Linnemann den weiteren Ablauf. Ein Schuss war unumgänglich, denn laut Linnemann gibt es für das Einschläfern von Wisenten kein Mittel." Das 13-jährige Tier war 2010 von Neumünster nach Olderdissen umgezogen – wie alle Wisente in Bielefeld gehörte Holle zu einem europäischen Zuchtprogramm, das in Polens Hauptstadt Warschau verwaltet wird.
Holle sollte mit Bulle Kurt, der vor neun Monaten als Nachfolger des verstorbenen Pronto nach Bielefeld gekommen war, für Nachwuchs sorgen. Die Jungtiere sollten teilweise auch ausgewildert werden. Sechs Mal bekam Holle ein Kind, dreimal konnte es über das Zuchtprogramm ausgewildert werden.
Aller Wahrscheinlichkeit nach war Holle wieder trächtig, etwa im Juni hätte es Nachwuchs gegeben. Was nun das Tier so schnell hat abbauen lassen, ist unklar. Der Kadaver liegt in Detmold, wird untersucht. In zwei Wochen könnte es Ergebnisse geben. Da aber die beiden Bullen, die mit ihr zusammenlebten, gesund sind, ist eine ansteckende Krankheit unwahrscheinlich.
Kurt wird bald alleine sein
Denkbar sei einiges, so Cheftierpfleger Markus Hinker: vom abgestorbenen Fötus im Körper bis hin zu inneren Verletzungen durch verschluckte Gegenstände wie Schrauben oder Nägel. Auch eine Vergiftung sei eine Möglichkeit. Auf Bulle Kurt, der bald vier Jahre alt wird, kommen nun einsame Monate zu – denn: Bevor eine neue Kuh über das Zuchtprogramm gefunden und vermittelt worden ist, muss zunächst Bulle Jostmeyer, der im Mai zwei wird, abgegeben werden.
Er wird geschlechtsreif – und dann wären Kurt und Jostmeyer (benannt nach dem pensionierten Veterinär der Stadt) Rivalen. Da Bullen schwerer abzugeben sind als Kühe, könnte es noch dauern. Im schlechtesten Fall müsste Jostmeyer sogar erschossen werden.