Sennestadt/Mitte. Die Hände einfach in den Schoß zu legen ist für sie undenkbar. Da juckt's in den Fingern. Noch vor dem Frühstück huscht das Garn durch die Hände von Elke Joergensen, verschlingt sich Masche um Masche zu einem pummeligen Hamster oder einem schüchternen Außerirdischen. Wenn die Sennestädterin häkelt, macht sie keine halben Sachen.
"An manchen Tagen muss ich mich richtig zwingen, die Häkelnadel aus der Hand zu legen und meine Hausarbeit zu machen oder im Schrebergarten Unkraut zu rupfen", gesteht sie herzlich lachend. Gleich nach dem Aufstehen gehe der erste Griff zum Tee, der zweite zur Häkelnadel. So startet die 73-Jährige in den Tag. Das Häkeln ist ihr Lebensinhalt, ihre tägliche Belohnung, ihre große Leidenschaft und "schon fast eine Sucht", scherzt Joergensen. Es ist diese Lebensfreude, die die Rentnerin ausstrahlt, die auch ihren Schöpfungen anzusehen ist.
Schon als Grundschülerin lernte Joergensen von der Großmutter, wie man Taschentücher umhäkelt. Diese Anfänger-Disziplin hat sie längst hinter sich gelassen. Ebenso das Mützenhäkeln. "Das gibt mir nicht so viel Befriedigung." Stattdessen entstehen unter ihren emsig häkelnden Händen Charaktere. Zwei schafft sie pro Woche.
Figuren mit Eigenleben
Da ist der etwas verlegen dreinschauende Storch mit den unbeholfen langen Beinen. Da ist die Ameise mit dem leichten Silberblick. Da ist der kecke Hase, dessen Rucksack man selbst ein- und auspacken kann. Joergensen häkelt energische Rüssel, schiefe Fühler, kurze Ponyfransen. Sie häkelt erstaunte Glubschaugen, ein verlegenes Grinsen, eine vorwitzige Nase. Diese in Garn geknotete Mimik haucht ihren Figuren Eigenleben ein.
In den Händen von Klinikclown Lakritze alias Kirsten Bohle fängt dann auch die kleine Ameise mit den schiefen Fühlern gleich an zu zappeln und zu flirten. Kollege Mütze alias Franz Potthoff hat es der quietschgrüne Außerirdische angetan. Rund 50 Häkelfiguren hat Joergensen auf dem Ledersofa zusammengesetzt - fürs Abschiedsfoto, bevor sie zu den Klinikclowns umziehen. 50 weitere Figuren hat "Dr. Clown" in einem ersten Schwung erhalten.
Puppen für Menschen mit Demenz und ein grüner Sorgenfresser
Lakritze und Mütze sind von den 100 Neuzugängen hin und weg. "Das ist einfach Wahnsinn!" Joergensens kleine Häkelwunder sind das wohl tollste Geschenk, das die Bielefelder Klinikclowns je bekommen haben. "Es ist super, dass die Figuren so weich sind, man Arme und Köpfe bewegen kann", sagt Clownin Lakritze. "Das ist für uns ideal, weil man sie für Puppenspiel-Techniken einsetzen kann."
Denn die Häkelfiguren made in Sennestadt sollen die Mitarbeiter von "Dr. Clown" auf Kinderstationen, auf die Onkologie in Bethel, in Krankenhäuser und Seniorenheime begleiten - und dabei vermitteln. "Wenn wir zum ersten Mal Kontakt mit den Menschen aufnehmen, können die Tiere Brückenbauer zu sein", erklärt Lakritze.
Rund 30 Besuche pro Monat machen die Bielefelder Clowns. "Eine unserer Ideen ist auch, die größeren Figuren als Maskottchen an ganze Stationen zu geben." Andere sollen einzeln verschenkt werden oder die Clowns als feste Teammitglieder unterstützen.
Auch besondere Situationen wurden bedacht
Für diese besonderen Situationen und Orte hat Joergensen alles bedacht: Die Augen der Figuren sind kindgerecht, Tiere und Puppen waschbar bei 30 Grad. Es gibt Greiflinge für Kleinkinder, Puppen für Demenz-Erkrankte und einen Sorgenfresser, dem man auf Papierzetteln notiert Sorgen ins Maul legen kann. "Ich habe selbst sehr viel Zeit im Krankenhaus verbracht", erklärt Joergensen. Sie weiß, wie schön "so ein Trösterchen" sein kann.
Inspiration für ihre Werke findet die Rentnerin auf Internetseiten und in Häkelgruppen bei Facebook. Vieles entstehe nach Vorlage, Details improvisiert sie.
Als die Clowns eingepackt haben, bleibt unter anderem ein grüner Drache im Wohnzimmer zurück. "Ich habe Lieblinge. Von denen kann ich mich noch nicht trennen."