Warum ein Insekten-Vernichter für Insektenschutz ausgezeichnet wird

Bielefeld. Der Mann verkörpert einen enormen Widerspruch: Einerseits verkauft er Ungeziefer-Spray, Fliegenklatschen und Mücken-Stopp, andererseits setzt er sich intensiv für den Insektenschutz ein. Am Donnerstag gewann er in Berlin sogar den Unternehmerpreis &bdquo;Mein gutes Beispiel" der Bertelsmann Stiftung. 51 ist Hans-Dietrich Reckhaus heute. Als er 46 Jahre alt war, wurden die Weichen in seinem Leben neu gestellt. Da hatte er in St. Gallen die Zwillinge Frank und Patrik Riklin – beide Künstler – getroffen. Er hatte sie für eine Aktion des mittelständischen Sennestädter Unternehmens gewinnen wollen, &bdquo;aber als sie mir die Idee ,Fliegen retten in Deppendorf’ vorstellten, habe ich das Atelier verlassen". Klar war: &bdquo;Es geht nicht weiter mit uns, denn ich bin ein Fliegen-Töter." Von wegen Fliegen mit der Dorfbevölkerung sammeln und in ein Fliegen-Paradies umsiedeln, bis sie eines natürlichen Todes sterben. Und dann noch Fliegen-Paradiese bauen und so. Vergiss es. "Dann ergriff die Idee Besitz von mir" Reckhaus ging zum Auto, setzte sich hinein, wollte starten. Dachte aber noch etwas nach – eher noch pikiert über die spinnerte Idee der Künstler. Aber: &bdquo;Im Auto hat man ja einen sehr eigenen, kleinen Raum für sich, und in diesem ergriff die Idee Besitz von mir." Reckhaus: &bdquo;Ich weiß ja, dass meine Produkte viele Insekten auf dem Gewissen haben – und ich fragte mich, warum ich nicht auch welche retten sollte?" Reckhaus: &bdquo;Ich sah den roten Faden, aber ohne einen Businessplan dahinter." Reckhaus ist aber nicht nur ein unkonventioneller Mensch in konventioneller Kleidung, er ist auch Chef von 50 Mitarbeitern, ist in die Fußstapfen seines Vaters und Firmengründers getreten, und ist verheiratet. &bdquo;Als ich mich entschieden hatte, was zwei Tage und Nächte dauerte, musste ich viele Gespräche führen, um das wirklich machen zu können." Mit der Hausbank, &bdquo;damit die mir nicht plötzlich die Kreditlinie kürzt". Mit Kunden, Mitarbeitern und der Ehefrau. Reaktionen? Seine Frau sagt nur: &bdquo;Hans, das kannst Du nicht machen." Punkt. Für sie, die Kunstgeschichte studiert hat, war das Ende der künstlerischen Fahnenstange erreicht, wenn der Insektentöter Insektenretter werden sollte. Reckhaus: &bdquo;Ich hatte eine fast schlaflose Nacht." Es gab ein weiteres Gespräch. Morgens habe seine Frau nur gesagt: &bdquo;Dann eben Fliegen retten." 902 Fliegen gerettet 902 Fliegen wurden vor vier Jahren gerettet – 901 später beerdigt. Eine, Erika, war die Sieger-Fliege, sie durfte mit zwei Depppendorfern in ein Fünf-Sterne-Hotel in Bayern reisen, bis sie starb. Präpariert steht sie nun in der Firmenzentrale. Auf dieser hat Reckhaus eine Ausgleichsfläche bauen lassen; ein Insekten-Paradies auf dem Dach. Doch längst ist er über diese Ebene hinaus. Im Projekt &bdquo;Insect Respect" wirbt er für jene Tiere, die er mit seinem Geschäftsmodell tötet. Wissenschaftler sind beteiligt: Am Donnerstag trafen sich 45 Experten im Naturkundemuseum, darunter Schwergewichte wie Wolfgang Wägele (Zoologisches Forschungsmuseum Bonn), Georg Petschenka (Institut für Insektenbiotechnologie Gießen) und Anant Patel von der FH Bielefeld. Bereits seit 2016 sind Namu und Reckhaus enge Partner. Längst wird Reckhaus nicht mehr verspottet und löst Ärger aus, längst wird er überwiegend gefeiert, gewürdigt, respektiert. Ab und zu noch ein böser Leserbrief – dem aber stehe &bdquo;regelmäßige Fanpost" gegenüber. Sein Stichwort ist die Kompensation. Wissenschaftler bescheinigten ihm, dass sie gelinge – nicht eins zu eins, nicht für 100 tote Fliegen 100 lebende. &bdquo;Es sind dann aber zehn Motten, zehn Bienen, zehn Milben, zehn . . ." Er rüttelt wach. Und gibt sich dabei selbst durchaus nicht als Insekten-Messias. &bdquo;Ich bin sensibler geworden, tagsüber schlage ich nicht nach Mücken, da wedele ich sie weg, aber nachts hau auch ich mal drauf." Fakt sei: Er denke über den Wert der Insekten nach – und dazu will er verführen. Zur Not auch unkonventionell. So trägt er Manschettenknöpfe in Form einer kugelig-dicken Hummel. Nur Fliege, die trägt er nicht.

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