Bielefeld. Wenn die Hütten des Weihnachtsmarktes aufgebaut werden und die Tannen die strategischen Punkte in den Stadtteilen Bielefelds eingenommen haben, steht die wohl am heißesten ersehnte Premiere des Bielefelder Theaters auf der Agenda - das Weihnachtsmärchen. Eine liebevoll inszenierte Bühnenfassung des kleinen Ritters Trenk mit pfiffigen Eigenkompositionen erobert die Herzen von Kindern und Erwachsenen.
Ein höchst unterhaltsames Drama über Macht und Ohnmacht von Vorurteilen - ein Mutmachtheater für Kinder, eine unaufdringliche Mahnung an Erwachsene, Kinder nicht zu ducken.
Wenn Vorurteile auf dem Prüfstand stehen, steht die Welt Kopf. Dann erweisen sich gefürchtete Drachen mit einem Mal als Vegetarier, dann besiegt ein Gaukler den Ritter Wertolt Würgerich, dann stehen ganze Weltordnungen in Frage, etwa diese: "Leibeigen geboren, leibeigen gestorben, leibeigen ein Leben lang."
Der kleine Trenk von Tausendschlag, Sohn eines vom Würgerich drangsalierten Bauern, will das partout nicht einsehen. Und er hat Glück im Unglück. Der kleine Zink von Durgelstein, den sein ritterlicher Vater zum tapferen Kämpfer aufbauen will, pfeift darauf, denn er ist ein Angsthase. Kurzerhand tauschen Trenk und Zink die Rollen, und schon nimmt das Schicksal seinen Lauf. Trenk geht in die Ausbildung zu Hans vom Hohenlob; der einfältige Ritter hat eine Tochter, die frech gegen die Rolle aufbegehrt, die das Mittelalter für sie vorgesehen hat - Taschentücher besticken, Suppe kochen, Harfe üben. Thekla, diese Pippi Langstrumpf der Ritterzeit, streift lieber durch die Wälder und bringt mit ihrer Erbsenschleuder gefährliche Räuber zur Strecke.
Heimlicher Hauptdarsteller ist übrigens Ferkelchen, das Hausschwein der von Tausendschlags. Der Puppenspieler Christopher Schleiff führt das Schwein, lässt es tanzen und grunzen und gibt selber, mit seiner Melone auf dem Kopf, eine völlig skurrile Figur mit eingefrorenen Gesichtszügen, dass Samuel Beckett hier Pate gestanden haben muss.
Herz auf dem rechten Fleck
Guido Schikore gestaltet einen lausbubenhaften Trenk, der das Herz auf dem rechten Fleck hat und dessen Tapferkeit darauf gründet, dass ihm die Angst nicht fremd ist.
Judith Patzelt als Thekla scheint dem Berliner Görenmilieu entliehen zu sein. Sie ist die stärkste Figur in der Szenerie des kindlichen Aufbegehrens, patzig und überaus gewinnend. Felicia Spielberger spielt Zink, den Angsthasen mit wundervoll greinender Nörgelschnute. Zwischendurch schlüpft sie in die Rolle der dicken Köchin, und als Köhlermädchen ist sie die beherzte Anwältin des vegetarischen Drachens.
Georg Böhm, dem gleich sechs Rollen anvertraut sind, mimt unter anderem den Obergaukler, verleiht Dietz von Gurgelstein die komische Aura des gekränkten Vaters. Als blasierter Fürst segnet er schließlich die "moderne Ordnung" ab, die Trenk und Thekla durch kindlich-kreatives Ungestüm geschaffen haben.
Dominik Breuer bringt mit heiserer Stimme den klassischen Bösewicht Wertolt der Würgerich auf die Bühne.
Andreas Kloos ist eine glänzende, Jung und Alt ansprechende Inszenierung gelungen. Okarina Peter und Timo Dentler (Bühnenbild/Kostüme) sind für den variablen Riesenritterhelm auf der Bühne verantwortlich. Lars Ehrhardt und Johann Weiss haben eine rockig-modale Mittelaltermusik komponiert, die zu den Highlights der Inszenierung gehört. Das diesjährige Weihnachtsmärchen ist ein Loblied auf die Fantasie, die die Welt verändert.
´ Die nächsten Aufführungen: 25., 27., 28., 29., 30. November. Kartentel. (05 21) 55 54 44.